Zukunftswald im Kreis Göppingen
Wilder Westen auf dem Hohenstaufen

Umgestürzte Bäume, Schneisen der Verwüstung oder Dschungelfeeling: Was ist los auf dem Kaiserberg, fragen sich Ausflügler. Mutet der Aufstieg zur Burgruine doch eher einem urbanen Dschungel an als einem aufgeräumten Wanderweg. Haben hier Mutwillige das Grün zerstört? Und vernachlässigt der Forstbezirk den wilden Wald? Wir sind der Frage nachgegangen.

Etwas unordentlich sieht es oberhalb der Kirche schon aus. Waldgästen fallen neben Baumstümpfen, verrottendes Totholz und hier und da kahle Stellen auf. Doch schauen Wanderer genauer hin, erblicken sie dicht an dicht: saftige Jungtriebe, Moose überziehen Boden und Stämme, Stauden und Gräser sprießen und begrünen den Waldboden. Und wer genau hinhört, hört es schwirren und summen. Bienen, Hummeln und Spinnen beleben den Wald (wieder). Denn der ist alles andere als tot – nur ein bisschen wilder als früher. „Und das ist gut so“, sagt Jürgen Sistermans-Wehmeyer vom Forstbezirk Schurwald.

Gewollte Unordnung

„Die Unordnung ist gewollt“, so der Förster. Denn der Klimawandel zwinge dazu, die Wälder den neuen Bedingungen anzupassen. „Wir brauchen mehr hitzeresistente Bäume“, sagt der Fachmann und spricht von Zerr-, Flaum- oder Ungarischer-Eiche, statt von Rotbuchen und Tannen. Bis 2050 will Forst BW den Wald auf den Klimawandel vorbereiten.

Die „Anstalt des öffentlichen Rechts“ bewirtschaftet seit 2020 mehr als 300.000 Hektar Staatswald und ist damit der größte Forstbetrieb im Land. Im Zuständigkeitsbereich des Forstbezirks Schurwald werden jedes Jahr rund 40.000 Bäume neu gesetzt. „Um unser Ziel zu schaffen, müssten wir aber mindestens das Doppelte pflanzen“, betont Sistermans-Wehmeyer, der für Öffentlichkeitsarbeit, Naturschutz und Waldpädagogik zuständig ist. Doch fehlende geeignete Setzlinge und Personalmangel erschweren, das Klimaziel zu erreichen. Denn durch zunehmende Frühjahrsdürren wächst längst nicht jeder Baum an.

Vier Grad heißer

Doch zurück zum Hohenstaufen: Bis in 75 Jahren wird es bis zu vier Grad heißer in der Gemeinde sein. Den Prognosen der Klimaforscher folgend, wird der Staufen zum Weinbaugebiet. Beate Schwarz, Geschäftsführerin (DU: willkommen in der Umwelt) ist Vorsitzende des Vereins Berg-Hohenstaufen und weiß um den Wandel. Naturverbunden ist es ihr ein Anliegen, den grünen Göppinger Hausberg als solchen zu erhalten. „Der natürliche Umbau des Waldes findet schon heute statt“, so die Unternehmerin. Sie weiß: Diese natürliche Sukzession dauert bis zu 500 Jahre. Zeit, die wir durch den menschgemachten Klimawandel nicht mehr haben.

Die Forstliche Versuchsanstalt in Freiburg beobachtet seit 30 Jahren, welche Baumarten es immer schwerer in Süddeutschland haben und welche für eine wärmere Zukunft mit längeren Trockenphasen und wenig Niederschlag besser geeignet sind. Das Ergebnis: Reine Tannen- und Fichtenwälder wird es bis in 25 Jahren nicht mehr am und um die drei Kaiserberge geben. Arten wie Esche und Buche sterben jetzt schon. „Die Buche ist durch Hitze und tropische Nächte im Dauerstress, bekommt Sonnenbrand und treibt nicht mehr aus“, verdeutlicht Revierleiter Kai Struppek, der das elf Hektar große Areal des Hohenstaufen betreut. Pilze wie das aus Asien eingeschleppte Falsche Weiße Stengelbecherchen, er ist für das Eschentriebsterben verantwortlich, oder Halimasch befallen und zersetzen die Wurzeln der Esche. Die so den Halt in der Erde verliert und zur tonnenschweren Waffe mutiert, die spontan umfallen kann.

Totholz ist Heimat für Spinnen

„Dem wirken wir entgegen“, sagt Struppek. Etwa durch das Fällen kranker Bäume, die im Wald verbleiben und während ihres Verfalls ein feuchtes Klima am Boden schaffen. Der tote Stamm wirkt wie ein Schwamm, gibt nach und nach Wasser und Nährstoffe an die Umgebung ab und ermöglicht so, dass neues Grün gedeiht. Das Querlegen der Stämme dient als Erosionsschutz. Auch Tiere profitieren von der gewollten Wildnis. So bieten Stauden oder Totholz eine Heimat für Spinnen, Mäuse und Insekten. Eine Verjüngung des Waldes findet von allein statt. Ferner schaffen es mehr Sonnenstrahlen auf den Waldboden, wenn die kranken Bäume fallen. Wer im Mai den Hohenstaufen erklimmt, sieht dort viele Zitronenfalter, die sich auf Distel und Schneeball wärmen.

„Bäume aus Baumschulen sind für den Umbau des Waldes selten geeignet“, erklärt Struppek. Deren Wurzeln würden intensiv mit Wasser und Nährstoffen versorgt, und seien es daher nicht gewohnt, sich in die Erde zu graben. Was allerdings nötig ist, denn nur so entsteht ein tiefes Wurzelwerk, dass den Baum standhaft hält. „Pflanzen, die hingegen ohne fremde Hilfe durch biologische Verjüngung wachsen, sind resistenter und suchen sich ihr Wasser“, so Struppek, dessen These 2019 belegt wird: So sind deutschlandweit fast 90 Prozent der 250 Millionen gesetzten Jungpflanzen vertrocknet.

1711 erstmals Nachhaltig

Dass Wälder nachhaltig bewirtschaftet werden, ist ein alter Hut. 1711 wird der Begriff der Nachhaltigkeit für den Wald erstmals verwendet. Die Holznachfrage ist seinerzeit enorm. Vor allem der Bergbau, das Holz stützt die tiefen Stollen, und die Glasherstellung fressen die heimischen Wälder. Aus der Not heraus wächst die Erkenntnis, nicht mehr Holz zu nutzen als nachwächst. Parallel werden Flächen aufgeforstet. So steigt der Waldanteil in Deutschland seit damals von weniger als 20 Prozent auf aktuell 33 der Landesfläche. Der Hohenstaufen, einst kahler Hügel, wird übrigens erst um 1900 aufgeforstet und seit 40 Jahren naturnah bewirtschaftet.

Sistermans-Wehmeyer weiß: „Nur ein Mischwald hat Zukunft“. Baumarten wie Linde, Walnuss, Spitzahorn, Eibe oder Eichen werden bis in 30, 40 Jahren die neuen Heimatbäume im hohenstaufener Wald. Der nicht mehr so hoch wachsen wird. Verschärfter Wassermangel – schon heute sterben alte Bäume, weil das Wasser die Kronen nicht mehr erreicht – wachsen künftige Wälder wohl nur noch zehn bis 20 Meter hoch. Die Hälfte der heutigen Walddachhöhe.
Der Hohenstaufen ist zudem ein Extremstandort. Viel Sonne und Felsen erschweren es dem Gehölz. Ostwinde trocknen das Plateau aus. Die vorhandenen Buchen und Eschen rund um die Ruine werden diesem Klima nicht standhalten. „Wenn wir heute reagieren, wird in ein paar Jahren das Dach des Hohenstaufen wohl eher von Libanon Zedern und Kastanienbäumen verschönert“, sagt Sistermans-Wehmeyer. Dessen Forstbezirk dafür allerdings nicht zuständig ist. Das Plateau verantwortet die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten des Landes.

Sommer der Verführungen 2023

Führung „Wald der Extreme!“ am 5.August 2023 von 14 bis 16 Uhr mit Jürgen Sistermans-Wehmeyer vom Forstbezirk Schurwald. Treffpunkt: Kirche Hohenstaufen (Göppingen). Plus Code: PPV8+5G Göppingen

Bürgerreporter:in:

Michael Sudahl

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