"Der Status quo wäre in Ordnung"
Ein Interview mit Thomas Wörle (Wirtschaftsförderung der Stadt Aichach)

Wirtschaftsförderer Thomas Wörle | Foto: Stadt Aichach
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myheimat: Herr Wörle, im Frühjahr gab es eine erfreuliche Nachricht zu vermelden, eine Zusage für die Ansiedlung der Außenstelle der Technischen Hochschule Augsburg. Aichach bekommt also ein Technologietransferzentrum mit dem fachlichen Schwerpunkt „digitales und nachhaltiges Planen und Fertigen im Bauwesen“. War die Entscheidung für Aichach ein Zufall?

Wörle: Die Entscheidung für die Ansiedlung des Technologietransferzentrums in Aichach ist ein Glücksfall. Ein Zufall war es sicher nicht. Die ersten Aktivitäten aus Sicht der Stadt Aichach fanden schon im Oktober 2022 statt. Es wurde eine Anfrage an die Stadt Aichach gestellt, ob es in Aichach Räumlichkeiten für solch ein Vorhaben gäbe. Da der Erste Bürgermeister Herr Habermann und ich kurz zuvor bei einem Firmenbesuch bei Züblin-Timber waren, kam der Gedanken auf, dass das gut zusammenpassen könnte. So kam es zu einer ersten Kontaktaufnahme mit Züblin-Timber und das Projekt war seitdem mit dem Standort Aichach verknüpft. Dass es aber letztendlich tatsächlich umgesetzt wurde, dazu leisteten viele Akteure einen bedeutenden Beitrag.

myheimat: Welche Bedeutung hat das TTZ für den Wirtschaftsstandort Aichach?

Wörle: Die Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Aichach ist sehr groß. Aichach ist in der Baubranche überregional durch Unternehmen wie Züblin-Timber oder auch Schlagmann schon sehr bekannt. Doch es gibt im Baubereich in Aichach und dem Umland auch viele engagierte nicht ganz so große Unternehmen, die hochwertige Leistungen erbringen. Für diese passt der fachliche Schwerpunkt „digitales und nachhaltiges Planen und Fertigen im Bauwesen“ perfekt. Denn das TTZ am Standort Aichach bietet Unternehmen die Möglichkeit, für ihre tägliche Arbeit innovative Lösungen im Massivbau und im digitalen Holzbau in enger Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis zu entwickeln. Das dabei entwickelte Know-how für konkrete Anwendungsfälle und neue Produkte und Verfahren stärkt die hiesigen Unternehmen und wird weit über den Wirtschaftsstandort Aichach hinaus Interesse wecken.

myheimat: Mit Sport Anneser verlor Aichach ein Traditionsgeschäft am Unteren Stadtplatz. Es konnte noch kein Nachfolger gefunden werden. Auch zeichnet sich wegen Insolvenz die Schließung des Modegeschäfts Rübsamen am Stadtplatz ab. Wie stellt sich aus Ihrer Sicht die Situation des innerstädtischen Einzelhandels in Aichach am Ende des Jahres 2023 dar?

Wörle: Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Wenn man nur den Status quo betrachtet, dann wäre die Situation in Ordnung. Viel interessanter ist aber die Frage, ob sich hinter den gegenwärtigen Schließungen grundsätzliche Veränderungen ankündigen?

myheimat: Dürfen wir da nachfragen, was meinen Sie damit konkret?

Wörle:
Sie haben nach der Situation „innerstädtischer Einzelhandel“ gefragt. Ich denke, dass man, um die Situation überdenken zu können, den Begriff zuerst genauer untersuchen sollte, vor allem was wir als Aichacher darunter meinen. Als Erstes denken wir in Aichach bei innerstädtischem Einzelhandel oft nur an den inneren Stadtkern und da meist an Modegeschäfte, mit dem zweiten Gedanken an die Dienstleistungen, weswegen die Innenstadt auch aufgesucht wird und mit einem dritten Gedanken ganz allgemein an die Attraktivität der Innenstadt. Betrachten wir nun den Einzelhandel und die Dienstleistungen. Grundsätzlich werden Handel und Dienstleistungen durch Angebot und Nachfrage geregelt. Das heißt, das passende Angebot findet entsprechende Nachfrage und umgekehrt. Wenn jetzt der innerstädtische Einzelhandel schwächelt, zum Teil durch Schließungen komplett ausscheidet, ist in dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage definitiv etwas gestört. In Zeiten der fast totalen Preistransparenz bekommt der Einzelhandel mit standardisierten Produkten meist einen deutlichen Preisdruck zu verspüren. Meist kann der Handel bei den online angebotenen Preisen nicht mehr mithalten und die Nachfrage, also wir Konsumenten, nehmen andere Kanäle zum Einkauf wahr. Das ist dann schon ein strukturelles Problem. Diesen Preisdruck aufzufangen, ist schwer. Eine Stellschraube sind dabei, unter anderem die Fixkosten der Immobilien. Vielleicht werden sich daher zum Beispiel die Mieten der veränderten Situation anpassen müssen. Eine andere Möglichkeit ist, dass Händler ihr Angebot mit einer individuellen Beratungsleistung verknüpft anbieten. Dass das erfolgreich funktioniert, zeigen einige Geschäfte in Aichach, sogar in der Bekleidungssparte. Im Dienstleistungsbereich finde ich das Verschwinden der Bankfilialen ganz bemerkenswert. Es gab mal vier Bankfilialen am Stadtplatz. Momentan gibt es noch eine Bankfiliale und zwei Räumlichkeiten mit Geldautomaten. Hier ist die Problemlage ein wenig anderes. Für Banken ist es wirtschaftlich nicht mehr darstellbar, ihre Dienstleistungen in vielen Filialen anzubieten und daher schließen sie ihre Filialen – und das leider meist in bester Innenstadtlage. Von Konsumentenseite gäbe es schon Nachfrage, aber eben kein Angebot mehr. Auch das ist ein strukturelles Problem. All diese Bankkunden suchen wegen ihrer Bankgeschäfte deswegen jetzt nicht mehr den Stadtplatz auf und fehlen als Frequenz. Was ich mit den zwei Beispielen zeigen möchte, ist, dass da niemand etwas falsch gemacht hat. In den wenigsten Fällen haben die Akteure vor Ort was falsch gemacht. Unser aller Verhalten hat sich halt geändert und das ist wohl die Ursache für den Wandel. Diesem Wandel sind alle Städte, ob kleiner oder größer ausgesetzt. Das ist kein Aichacher Phänomen. Manchmal zu hörende Aussagen, da und dort sei alles viel besser, kann ich daher nichts abgewinnen.

myheimat: Was wird dann nach Ihrer Meinung passieren?

Wörle: Also um das klar vorweg zu sagen: Ich würde mir eine pulsierende Innenstadt wünschen – mit Geschäften aller Art, mit Lokalen zum Essen oder Kaffeetrinken, mit einem breiten Dienstleistungsangebot. Aber wie es kommen wird, weiß ich nicht, aber, dass es nicht so bleibt, wie es war, zeigen die Veränderungen. Vielleicht wird es aber mit sinkenden Mieten für neue Unternehmer interessant, ein Geschäft mit ganz anderen Produkten oder Dienstleistungen am Stadtplatz zu eröffnen. Im weiteren Sinne ist das ja auch ein Motiv, das sich hinter Pop-up Stores findet.

myheimat: Welchen Beitrag kann die „Stadt“ in dem Wandel leisten?

Wörle: Das grundsätzliche Verhalten von uns Konsumenten kann die „Stadt“ nicht ändern. Die „Stadt“ kann den Wandel bis zu einem gewissen Grad begleiten und mitgestalten. Und die Stadt tut bereits viel, um mit diversen Aktivitäten die Attraktivität der Innenstadt beizubehalten, ja sogar zu erhöhen. Auch die ganzen Arbeiten und Überlegungen um eine Neu- oder Umgestaltung des Stadtplatzes haben nichts anderes zum Ziel, als die Innenstadt attraktiv zu erhalten, auch wenn es momentan zu dem Thema einen breitgefächerten Diskurs gibt. Als ganz wichtiges Instrument hat die „Stadt“ schon über viele Jahre hinweg durch die Sortimentsbeschränkung einen Schutzschirm über den innerstädtischen Einzelhandel gespannt. Die Sortimentsbeschränkung schließt den Einzelhandel in den Randbereichen aus. Man stelle sich nur vor, wie schwierig es für den innerstädtischen Einzelhandel gewesen wäre, würde es großflächigen Einzelhandel in den Gewerbegebieten geben.

myheimat: In unserem letzten Jahrbuch-Interview sprachen wir über explodierende Energiekosten, Materialknappheit, unterbrochene Lieferketten und Ukrainekrieg. Sie sagten damals, dass sich das wirtschaftliche Umfeld noch nicht so sehr eingetrübt habe, wie man es hätte erwarten können. Inzwischen sieht das britische Wirtschaftsmagazin „Economist“ Deutschland aber schon wieder als den „kranken Mann Europas“. Der ifo Geschäftsklimaindex befand sich 2023 ebenfalls im Sinkflug. Mit welchen Augen blicken Sie selber am Ende des Jahres 2023 auf die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland?

Wörle: Da möchte ich keine Prognose wagen. Die Zukunft vorauszusagen, können die vielen wissenschaftlichen Experten auch nicht, aber die müssen halt eine Prognose abgeben. Und ich bin immer wieder erstaunt, dass sie es jedes Jahr wieder machen, obwohl sie so oft falsch liegen, bzw., dass die verschiedenen Experten und Institute in ihren Einschätzungen so weit auseinander liegen. Wie Sie es in der Frage angedeutet haben, prognostizieren viele Institutionen Deutschland eine nicht so rosige wirtschaftliche Situation im nächsten Jahr, aber zeitgleich klettern die Aktienkurse sehr deutlich. Ist das alles nicht erstaunlich und verwirrend? Den Aichacher Unternehmen geht es gut, was die aktuellen Steuerschätzungen unterstreichen.

myheimat: Im Herbst 2016 wurde Aichach im Rahmen der internationalen Kampagne „Fairtrade Towns“ (www.fairtrade-towns.de) als Stadt des fairen Handels ausgezeichnet. Anlässlich der Titelerneuerung organisierte die Steuerungsgruppe eine kleine Feier am Stadtplatz vor dem Alten Rathaus. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Aichach?

Wörle: In erster Linie wird durch die erneute Auszeichnung unterstrichen, dass Aichacher sich für den Gedanken des fairen Handels engagieren. Dies ist in den letzten Jahren mit unterschiedlichen Aktionen gelungen. In finde es aller Ehren wert, sich für diese Gesinnung einzusetzen.

myheimat-Team:

Joachim Meyer aus Friedberg

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