„Bloß it hudla“ – Entschleunigung im Allgäu

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Vier Tage war ich auf der Suche nach dem Erfolgsgeheimnis der Allgäuer, bis ich schließlich im Gallorömischen Tempelbezirk des Archäologischen Parkes Cambodunum in Kempten auf die lautmalerisch griffige Erfolgsformel dieses sagenhaft schönen Landstriches stieß: „Bloß it hudla“, prangte da in breiten Lettern auf dem T-Shirt eines männlichen Allgäuer Prachtexemplares. Was sich im ersten Moment wie die Unmutsäußerung eines um sein Essen geprellten afrikanischen Stammeshäuptlings in Burkina Faso anhörte, ist in Wirklichkeit die schwäbische Kampfansage an moderne Großstadthektik, U-Bahn-Lärm und powershoppende Girlies in überfüllten Innenstädten. Ergänzt wird die lakonische Parole durch das philosophisch tiefgründige Oxymoron „Mr ka it schnell gnuag langsam do“. Noch Fragen offen? Übersetzt bedeutet das allgäuische Gedankenkonglomerat so viel wie „Nur keine übertriebene Hektik. Die Probleme lassen sich am besten durch Entschleunigung lösen.“ Viele große Männer der deutschen Geschichte handelten nach diesem Erfolgsrezept. Wäre aus Helmut Kohl jemals ein erfolgreicher Kanzler geworden, wenn er es in der Kunst des Aussitzens und Abwartens nicht zu einer bis dahin nie da gewesenen Meisterschaft gebracht hätte? Der Altkanzler war ein bekennender „Nicht-Hudler“. Selbst sein Nachfolger entdeckte wenig später die Vorzüge einer „Politik der ruhigen Hand“. Das führte bei mir schnell zur Erkenntnis: Kohl und Schröder verbrachten jede freie Minute zwischen Bundestag und UN-Sicherheitsratssitzungen im Allgäu. Auch meine eigene, in den Jahren gereifte strukturkonservative Wesensart fand in den Hügeln und Bergen zwischen Lindau und Schongau ein ideales geographisches Zuhause. Untergebracht in Bad Oberdorf (Bad Hindelang) erkundete ich Schritt für Schritt das Allgäu und seine Menschen. Mein Fazit: Der Allgäuer ist nicht nur weit besser als sein Ruf („maulfaul“, „eigenbrötlerisch“): Nein, er könnte geradezu als Prototyp einer neuen Menschengattung figurieren. Denn: Der Allgäuer ist präzise. Kein überflüssiger sprachlicher Zierrat, nicht eine einzige redundante Silbe – der Allgäuer spart, wo er nur kann. Das macht den Umgang mit ihm ungeheuer angenehm. Die gesparte Zeit investiert er in sorgfältige Hand- und Schnitzarbeiten und Landschaftspflege. Die Ergebnisse können sich sehen lassen, ihre Schöpfer haben etwas kauzig Liebenswertes an sich. Zu empfehlen sind unbedingt Massagen eines original allgäuischen Physiotherapeuten, der sich auch nach mehrmaligen Schmerzbekundungen eines larmoyanten Flachländlers nicht vom dornenreichen Weg der Entkrampfung, Entschleunigung und Entspannung abbringen lässt. Denn auch das konsequente Ignorieren der Befindlichkeiten des Anderen scheint mir ein wesentliches Erfolgsrezept in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – selbstverständlich nur, wenn sie – wie in diesem Fall geschehen – mit einer fundierten seelisch-verbalen Begleitung („Es ist doch nur zu Ihrem Besten, sonst lassen sich Ihre maximalen Verspannungen nicht lösen“) einhergeht. Zu meinem Besten war auch die Kräuterschlacke, die ich vom Knie abwärts aufgetragen bekam. Sie roch etwas streng, aber die 15 Minuten im Ruheraum brachten wieder den von mir inzwischen als unverzichtbar angesehenen „Nicht-Hudla-Effekt“.

Wenn ich gerade nicht tränenreich auf der Massagebank lag oder in der Chill-Out-Area „Quelldorado“ (eine geniale Bezeichnung für einen Swimming-Pool, der die Ausmaße 2 x 2 Meter hat!!) relaxte, dann unternahm ich Ausflüge ins nahe gelegene Umland. Besonders schön: Lindau am Bodensee! Bayerns Zugang zum „Schwäbischen Meer“ und westlicher Vorposten des Allgäus besticht durch italienisches Flair und eine pittoreske Hafenkulisse. Ein Hauch von Avalon liegt über dem Bodensee, wenn sich der Nebel sanft und „nicht-hudelig“ übers Wasser legt. Ein Kuriosum am Rande: Der Hafen befindet sich nicht im Eigentum der Stadt Lindau. Bis 2002 war er im Besitz der Deutschen Bundesbahn, dann wurde er an die Konstanzer Stadtwerke verkauft. Ein Spaziergang rund um die Insel Lindau lässt erahnen, aus welch stolzer reichsstädtischer Vergangenheit sich das aktuelle Selbstbewusstsein der Lindauer speist. Ebenfalls ein Muss für jeden Allgäu-Besucher: Kempten! Die größte Stadt des Allgäus bietet Kunst, Kultur und Geschichte auf engstem Raum. Eine Führung durch die Residenz gewährt einen Einblick in die spannungsgeladene Historie mit dem konfliktreichen Nebeneinander von Reichsstadt und höher gelegener Bischofsstadt, das in einem blutigen Gemetzel während des Dreißigjährigen Krieges gipfelte.

Auch kulinarisch wurde ich verwöhnt wie selten zuvor. Probieren Sie die „Allgäuer Trilogie“ in der „Oberen Mühle Hindelang“ (Bad Oberdorf) und Sie wissen, wovon ich spreche. Und wenn mich heute jemand fragt, wo das Allgäu beginnt, dann antworte ich ihm mit der schönsten geographischen Dialekt-Definition, die mir jemals begegnet ist: „S Allgai fengt do a, wo d’Schumpa scheaner sind wia d’Fähla“ („Das Allgäu beginnt dort, wo die jungen Rinder schöner sind als die Mädchen“). „Bauer sucht Frau“ lässt grüßen!

myheimat-Team:

Joachim Meyer aus Friedberg

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