"Turner mit Chauffeur"

Wilhelm Noll wurde mit seinem Freund Fritz Cron 1954 und 1956 Weltmeister in der 500 ccm Klasse der Seitenwagen.
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  • Wilhelm Noll wurde mit seinem Freund Fritz Cron 1954 und 1956 Weltmeister in der 500 ccm Klasse der Seitenwagen.
  • hochgeladen von Hans-Christoph Nahrgang

Mit diesen Worten haben sich die beiden Motorradgespann-Weltmeister Wilhelm Noll und Fritz Cron einmal selbst beschrieben. Bis zu den beiden Weltmeistertiteln war es aber ein langer Weg.

Am 15. März 1926 wurde Wilhelm Noll in Kirchhain geboren. Seinem Vater gehörte zunächst in der Neuen Gasse und später in der heutigen Fußgängerzone ein Fahrrad- und Motorradgeschäft mit Werkstatt. Später kamen auch Automobile hinzu und man konnte auch Fahrzeuge mieten. Wilhelm Noll betonte, dass die Autos damals nur mit Fahrern vermietet wurden. In der direkten Nachbarschaft wohnte Fritz Cron, der am 31. März 1925 geboren worden war. So war es selbstverständlich, dass beide Jungen Tag für Tag gemeinsam auf dem Werkstattgelände spielten.

Nach der Schulzeit begann Wilhelm Noll im Jahre 1940 in einer Marburger Mercedes-Werkstatt eine Ausbildung zum Kfz.-Mechaniker und im Jahre 1943 beendete er diese mit der Gesellenprüfung. Sein Freund Fritz Cron erlernte den Beruf des Elektrotechnikers und wurde zur U-Boot-Marine eingezogen. Wilhelm Noll zog sich während Reparaturarbeiten in einer Stadtallendorfer Rüstungsfabrik eine Vergiftung zu, die seine Einberufung zunächst verhinderte. Im Jahre 1944 kam jedoch auch für ihn die Einberufung. Er gehörte einer Einheit an, die in Alsfeld Lastwagen mit Holzvergaser reparierten. Hier konnte er sein erlerntes Wissen einbringen und auch sein Geschick unter Beweis stellen.

Wie kamen Wilhelm Noll und Fritz Cron nun zum Motorradrennsport ?

Die Liebe zu Motorrädern war bei beiden schon früh durch das Spiel in der Werkstatt entstanden. Da Wilhelm Noll und auch sein Freund Fritz Cron unbeschadet den zweiten Weltkrieg überstanden, beschäftigten sie sich wieder mit ihrem Kindheitstraum. Gemeinsam kamen sie zu dem Entschluss, sich dem Motorradrennsport zu widmen. Dies war jedoch leichter gesagt als getan.
Doch rückblickend meint Wilhelm Noll, dass ihnen immer wieder ein glücklicher Zufall im richtigen Moment weiter geholfen hat und sie auch von Verletzungen und schweren Unfällen verschont geblieben sind.

So tauschte er seine generalüberholte DKW 350 NZ gegen eine BMW R 66 ein. Jedoch konnte man bei diesem "Teil" kaum von einem Motorrad sprechen, da es sich in einem schrottreifen Zustand befand. Gerade dies war für die beiden Freunde die Herausforderung, und so verbrachten sie jede freie Minute damit, die Maschine renntauglich herzurichten.
An dieser Stelle muss der Vater von Wilhelm Noll, Emil Noll, auf jeden Fall erwähnt werden. Seinem Organisationstalent und seinen zahlreichen Kontakten war es zu verdanken, dass u. a. der notwendige Seitenwagen für diese erste Rennmaschine beschafft werden konnte. In den späteren Jahren war er es, der mit seinen Kontakten zu Händlern dafür sorgte, dass Natriumgefüllte Ventile oder auch Aluminiumzylinder in die Maschine eingebaut werden konnten. Auch die erste lederne Rennbekleidung stammte aus dem Geschäft des Vaters bzw. wurden fehlende Teile hierzu mit der Hilfe von Fahrradersatzteilen eingetauscht.

Im Jahre 1948 konnten Wilhelm Noll und Fritz Cron mit ihrem Gespann am ersten Straßenrennen teilnehmen. Sie belegten als sogenannte "Ausweisfahrer" (Anfänger) hierbei den zweiten Platz. Ende des Jahres 1949 erhielten sie die Genehmigung in der Lizenzklasse zu starten und belegten am Ende der Saison 1950 den ersten Platz in der Sonderwertung der Seitenwagen bis 600 ccm o h n e Kompressor.

In dem Gespräch mit Wilhelm Noll wird immer wieder deutlich, wie viel technisches Verständnis und Einfühlungsvermögen nötig war, um mit "ihrer Rennmaschine" diese sportlichen Höchstleistungen zu erzielen. Auch bei den Transportmitteln war Eigeninitiative und Erfindungsreichtum gefragt. So wurde z. Bsp. bei einem in Kirchhain ansässigen Stellmacher ein Hänger in Auftrag gegeben, in dem das Motorrad und auch der Seitenwagen zusammen Platz fanden. Ihre sportlichen Erfolge fanden nicht nur Zustimmung sondern oftmals auch Kritiker. So erinnert sich Wilhelm Noll z. Bsp. an das 1. Lizenzrennen in Nürnberg. Hier wurde gegen ihren Sieg Protest eingelegt, da sich niemand erklären konnte, wie ein Team ohne werksseitige Unterstützung solche Rennzeiten fahren konnte. Der Hubraum ihres Motorrads wurde nachgemessen und festgestellt, dass er genau 597 ccm betrug und somit keine Manipulation vorlag, da sie in der 600 ccm-Klasse starteten.

Zum Saisonende 1952 kamen Wilhelm Noll und Fritz Cron zu dem Entschluss, ihre Rennkarriere zu beenden. Wilhelm Noll besuchte1952/53 in Bielefeld auch die Kraftfahrzeug-Meisterschule.

Jedoch setzten Wilhelm Noll und Fritz Cron, zum Glück für den Deutschen Motorradrennsport, ihre Rennkarriere doch noch fort und das kam so:

Zu Beginn der Weihnachtsferien fuhr Wilhelm Noll mit dem Zug von Bielefeld nach Marburg. Sein Vater holte ihn mit dem Auto am Bahnhof ab und übergab ihm während der Fahrt einen Briefumschlag. Wilhelm Noll öffnete den Brief und las erstaunt das Angebot der Firma BMW aus München. Die Firma BMW bot dem Gespann Noll/Cron einen Werksvertrag für die Saison 1953 an. Nach einigen Tagen Bedenkzeit wurde am Neujahrstag der Werksvertrag mit BMW in München unterschrieben.

Im Jahre 1954 starteten Wilhelm Noll und Fritz Cron in der Klasse der Motorradgespanne bis 500 ccm und belegten bei den Straßenrennen folgende Platzierungen:
18.06. - 3. Platz
26.06. - 3. Platz
04.07. - 2. Platz
25.07. - 1. Platz und schnellste Rennrunde
21.-22.08. - 1. Platz und schnellste Rennrunde
12.09. - 1. Platz und schnellste Rennrunde.

Am 12. September 1954 errangen die beiden Freunde und Nachbarsjungen Wilhelm Noll und Fritz Cron erstmals die Fahrer-Weltmeisterschaft. Der Ort ihres Triumphs war die Strecke in Monza.

Im darauf folgenden Jahr hätten Noll/Cron sicher ihren Erfolg gerne wiederholt. Jedoch erkannten sie neidlos die bessere Leistung des BMW-Teams Faust/Remmert an. Für Wilhelm Noll war das Jahr 1955 trotzdem sportlich gesehen ein ganz Besonderes: er erreichte mit 280 km/h den absoluten Geschwindigkeits-Weltrekord für Dreiradfahrzeuge. Diesen Rekord stellte er auf der Autobahn zwischen München und Ingolstadt mit einem vollverkleideten BMW-Fahrzeug auf, das mit einem hochverdichteten 500 ccm-Motor ausgestattet war. Im persönlichen Gespräch erzählt Wilhelm Noll gerne von seinen Rekordversuchen. So erfährt man zahlreiche Einzelheiten, u.a. über Rekordfahrten in der Nähe von Paris, die über einen Zeitraum von insgesamt 6 Stunden andauerten.

Im Jahr 1956 konnten Wilhelm Noll und Fritz Cron ihren Erfolg wiederholen und wurden zum zweitenmal Weltmeister in der Klasse der Gespannfahrzeuge bis 500 ccm. In dem Jahr ihres zweiten Triumphs erzielten sie bei den einzelnen Rennen folgende Platzierungen:

08.06. - schnellste Rennrunde (mit Maschinenschaden fielen sie in Führung liegend aus)
30.06. - 2. Platz
08.07. - 1. Platz
22.07. - 1. Platz und schnellste Rennrunde
11.08. - 1. Platz und schnellste Rennrunde
09.09. - keine Platzierung, da während des Rennens ausgefallen

Nach diesem zweiten Erfolg verabschiedeten sich Wilhelm Noll und Fritz Cron als Aktive aus dem Motorradrennsport und wechselten nun in das Berufsleben.
Im Autohaus seines Vaters war Wilhelm Noll nun in Kirchhain tätig und übernahm es 1963. Im Jahre 1964 entstand in der Niederrheinischen Straße in Kirchhain ein neues Werkstatt- und Ausstellungsgebäude. Dieses BMW-Autohaus führte Wilhelm Noll noch bis zum Jahre 1990 gemeinsam mit seiner Frau.

Auch nach seiner Aktiven Zeit blieb Wilhelm Noll dem Motorradrennsport treu und war in verschiedenen Funktionen u.a. bei der Obersten Motorradsport-Kommission und der FIM weltweit bis 1996 tätig.

Erwähnen möchte ich auch noch folgendes: im Jahre 1954 erhielten Wilhelm Noll und Fritz Cron die höchste Sportauszeichnung der Bundesrepublik Deutschland durch den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss überreicht - das "Silberne Lorbeerblatt". Durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der BRD wurde im Jahre 1990 das Lebenswerk Wilhelm Nolls gewürdigt. Bei der Verleihung würdigte Dr. Alois Rhiel (war Regierungspräsident) besonders die Tatkraft, den Mut sowie die Übernahme von Verantwortung im unternehmerischen als auch allgemeinen Bereich durch Herrn Noll.

Bevor ich nun meinen Bericht beende noch zwei Zahlen, die die Leistung von Wilhelm Noll und Fritz Cron in ihrer aktiven Zeit verdeutlichen:
1. sie haben insgesamt 127 Weltrekorde für drei Seitenwagenklassen aufgestellt
2. in drei Jahren haben sie 8 von 18 Weltmeisterschaftsläufen gewonnen !
3. insgesamt haben sie 87 Straßenrennen gefahren und dabeifolgende Platzierungen belegt - 30 x 1. Platz
- 21 x 2. Platz
- 10 x 3. Platz
- 5 x 4. Platz
- 2 x 6. Platz
- 19 Ausfälle.

Mit einem Zitat der beiden Weltmeister habe ich meinen Bericht begonnen und so möchte ich ihn auch beenden. Während eines Oldtimerfestivals auf dem Nürburgring beschrieb Wilhelm Noll seine Zeit im aktiven Motorradrennsport mit den Worten: "Kostendeckend war das nicht - aber es hat Spaß gemacht."

Für das nette Gespräch möchte ich mich auf diesem Wege bei Herrn Wilhelm Noll und seiner Frau recht herzlich bedanken und wünsche Beiden noch schöne gemeinsame Jahre.

Bürgerreporter:in:

Hans-Christoph Nahrgang aus Kirchhain

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