Ehemalige Zwangsarbeiter in der Ukraine - Teil 3

Bronislawa Kopatsch, geb. Kufel, geb. 23.07.1923, arbeitete bei MAN in Augsburg
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Herr Kuchar, der Leiter der ortlichen Stiftung in Kmelnitzkyj empfängt uns morgens um 5.47 am Bahnhof, es ist eisig kalt, aber die klare Luft macht uns munter. Herr Kosak rät davon ab, Frau Evdokyia Drosd und Frau Maria Frantschuk zu besuchen. Zu schlecht sind die Straßenverhältnisse dorthin. Zwar wohnen sie nur ca. 25 km von Chmelnitzkyj entfernt, aber die Nebenstraßen sind mit einer dicken Eisschicht überzogen , tiefe Fahrrillen haben sich gebildet.
Da ich die beiden Frauen bei meiner letzten Reise bereits getroffen habe, stimme ich schweren Herzens zu und übergebe ihm das Geld für die beiden Damen, die fest mit unserem Besuch gerechnet haben. Aber da lässt sich nichts machen, wir haben ein dichtgedrängtes Programm, unser Zug fährt bereits um 17 Uhr weiter nach Lwiw, wo weitere ehemalige Zwangsarbeiter auf uns warten.

Nach dem Besuch von Frau Olena Kadjalowa und Frau Olena Fischtschuk nehmen wir daher eine besser befahrbare Straße zu Frau Bronislawa Kopatsch. Straßennamen gibt es auf den Dörfern nur selten, bei meinem letzten Besuch suchten wir im Donezkbecken einmal 3 Stunden nach dem Häuschen einer Frau.

Dieses Mal geht das viel schneller, nach einigem Nachfragen sehen wir eine Oma auf der schmalen schneebedeckten Straße in Hausschuhen stehen, sie winkt uns zu, hat seit Stunden schon auf unseren Besuch gewartet.
Dann geleitet sie uns ins Haus, zwei Töchter und die Enkelin sind da und haben die Vorbereitungen für diesen Tag getroffen, der anscheinend für die ganze Familie ein Festtag ist. Wortreich dankt sie mir für die in den letzten Jahren geleistete Hilfe. Dadurch habe sie sich einen Gasanschluss leisten können. Dennoch ist es höchste Zeit, dass ich sie besuche, denke ich mir, denn Bronislawa hat nicht einmal einen Wasseranschluss im Haus. Der Brunnen für alle Einwohner befindet sich auf der Straße, von dort beziehen sie ihr Wasser zum Kochen und Waschen. Unvorstellbar, aber hier wird das klaglos hingenommen, man kennt es nicht anders.
Bronislawa kann sich erinnern, dass die Familie in den dreißiger Jahren schweren Hunger erleiden musste. 1932 rauben kommunistische Aktivisten die gesamte Ernte und lassen nicht ein Körnchen zurück. Die Mutter ernährt die Familie so gut es geht mit gehackten Wurzeln, sogar mit Mohnblättern. Die Oma bringt der schwangeren Mutter heimlich Zusatznahrung, um Neid in der Familie zu vermeiden.
Unter Stalin wird die Familie 1936 von Chmelnitzkyj nach Woroschilowgrad bei Lugansk nahe der heutigen Grenze zu Russland deportiert und dort angesiedelt. Sie kommen in ein Dorf, das ausgestorben war. Hungersnöte und die Säuberungsaktionen der Kommunisten haben die einheimische Bevölkerung dahingerafft.
Als die Deutschen 1942 kommen, befiehlt der Dorfälteste, dass die Familie zwei Kinder, Bronislawa und die jüngere, 17-jährige Maria nach Deutschland abstellen muss. Mitzunehmen gibt es nicht viel, denn sie haben keine Kleidung und keine Schuhe. Der Transport nach Deutschland erfolgt meist in der Nacht, tagsüber lassen sie die Militärtransporte passieren. Der Gedanke an Flucht erübrigt sich, überall im Land sind die deutschen Besatzer. Wohin hätten die jungen Mädchen da fliehen sollen?
Bronislawa hat eine genaue Skizze angefertigt, auf der ich erkennen kann, wo sie und ihre Schwester in Augsburg gewohnt und gearbeitet hat: bei MAN. Dort müssen sie Patronen ausstanzen und füllen, ganze Abteilungen von Ukrainerinnen und Russinnen arbeiten dort, die Deutschen in separaten Abteilungen.
Im MAN- Lager in der Schönbachstrasse wohnen 16 Personen in einem Zimmer, es gibt 4 Stuben pro Baracke, 3 Wohnräume und jeweils eine Krankenstation. Sie kann sich an einen russischen und einen kroatischen Arzt entsinnen. Im Lager gibt es viele Nationalitäten, Russen, Italiener, Polen, Franzosen, die Mädchenbaracken stehen unter Beobachtung, Männerbesuch ist verboten.
Anfangs fühlen sich Bronislawa und Maria minderwertig und provinziell, sie als Ukrainerinnen in Gummistiefeln, Mänteln und Kopftüchern. Die Freizeit verbringen sie im Sommer unten am Fluss, dort können sie baden. Oder sie stopfen Strümpfe und singen, um ihr Heimweh zu vergessen. Als sie ab 1944 in die Stadt dürfen, können sie weder Brot noch Kleider kaufen.

Maria Pusanova, die Schwester von Bronislawa Kopatsch, wohnhaft in Lwiw, arbeitete vor 60 Jahren ebenfalls bei MAN.
Im Lager lernt sie auch ihren Mann Wladimir Stigno kennen. Sie heiraten im Lager und Bronislawa wird schwanger. Einmal steht sie in der Stadt um Obst an, aber trotz ihres Zustandes bedient sie die deutsche Verkäuferin nicht. Nach der Geburt des Kindes Ludmilla ziehen sie in eine Familienbaracke, in der 8 Familien untergebracht sind. Vor und nach der Geburt ihres Kindes arbeitet sie in der Küche.
Sie leidet an Vitaminmangel und ist oft krank. Steckrübensuppe allein kann keine richtige Ernährung sein. Kein Wunder, dass im Lager ein Hungerstreik ausbricht, an dem sich anfangs alle beteiligen. Aber dann siegt doch der Hunger über den Trotz, der Streik wird gebrochen.
Dennoch finden sich Formen des Widerstandes im Lager. Eine Russin namens Katharina zeigt den Bewachern die Faust, das wird als Widerstand sozialistischer Gruppen gesehen. Katharina wird abgeholt und ins KZ gebracht. Sie kommt nie wieder zurück.
Bronislawa erinnert sich auch daran, wie die Zwangsarbeiter auf dem Weg zur Arbeit von Kindern als Russenschweine beschimpft wurden, was sie als besonders demütigend empfinden.

Als die beiden Schwestern nach Kriegsende wieder heimkommen, ergeht es ihnen keineswegs besser. Eine Hochschulausbildung wird ihnen verwehrt. Um nicht unter weiteren Repressalien leiden zu müssen, lässt Bronislawa als Geburtsort für ihre Tochter Ludmilla Lugansk eintragen. Aber an der Diskriminierung der „deutschen Kollaborateure“ ändert sich bis zum Jahr 2002 wenig. Viele ehemalige Zwangsarbeiter beantragen aus Furcht vor Diskriminierung und Repressalien nicht einmal das Geld von der deutschen Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“.

Als wir gehen, zeigt Bronislawa, die uns herzlichst bewirtet, ein Heiligenbild. Das habe sie nach Deutschland mitgenommen und von dort wieder heimgebracht. Vielleicht habe sie das gerettet, meint sie. Aus Dankbarkeit küsst sie mir die Hände, ich kann mich nicht dagegen wehren. Verlegen küsse ich Bronislawa auf die Wange, sie will mich gar nicht mehr loslassen.

„Danke dass Sie mir zugehört haben, das habe ich bisher noch nie erlebt von einem Deutschen, danke, danke, danke, spassiba“ sagt sie und drück mich nochmals an sich. Sie bleibt noch lange in ihren Hausschuhen vor dem Brunnen auf der Straße stehen und winkt uns mit ihrem Gehstock nach.

Bürgerreporter:in:

Dr. Bernhard Lehmann aus Gersthofen

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