Egungun – Lernen für´s Leben in der Gemeinschaft

Aus unzähligen kleinen Perlen bestehen die Gewänder der Ältesten bei den Yoruba und benachbarten Völkern in Nigeria und Benin
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  • Aus unzähligen kleinen Perlen bestehen die Gewänder der Ältesten bei den Yoruba und benachbarten Völkern in Nigeria und Benin
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.....„Warum Du die schwarze Hautfarbe hast und die Kinder drüben in der europäischen Schule, die viel Geld kostet, alle so bleich und käsig sind, so wie die Farbe des Todes, der eines Tages sein Grau über die Alten in unserem Stamm legt, wenn sie sich zum langen Schlaf legen? So, das willst Du also wissen, Sohn !
Nun da gibt es viele Erklärungen, aber die eine oder andere will ich Dir gerne erzählen. Mein Vater hat mir einmal erklärt, das käme daher, weil man dann beim Lachen und Glücklich sein, das Helle in unseren strahlenden Augen mitten im dunklen Gesicht und das herrlich Weiß der Zähne im lachenden Mund besser sehen würde. Hast Du die weissen Kinder drüben in der Privatschule gesehen, wie traurig und missmutig sie am Morgen dort ihn die Schule hin trödeln, den Blick immer nur auf diese kleinen Kästen mit den kurzlebigen Bildern oder die Stöße voll bedrucktem Papier gerichtet, das sie auswendig lernen müssen. Selten hört man von dort das fröhlich laute Lachen und die interessierten und laut gerufenen Fragen, wie ich sie von euch schwarzen Kindern immer so kenne.
Nun ja, eine andere Erklärung ist ja auch, dass man bei uns ja gerne am Abend zusammensitzt und wir dann in der Dunkelheit zu einer großen Gemeinschaft werden, bei der der Einzelne für sich gar nicht mehr so schrecklich viel an Bedeutung hat. Unser Wissen kommt nicht vom bedruckten weißen Papier sondern aus dem Dunkel der Nacht, wenn die Alten des Stammes, so wie ich einer bin, zu erzählen beginnen. Und nur in den dunklen Gesichtern unseres Volkes kann dieses Wissen abgespeichert werden. Man sagt ja auch, dass das Schwarz, die Dunkelheit viel mehr an Geheimnissen aufnehmen kann, als das fahle Weiß des Tages, wo Alles, so wie auch im Geschwätz der weißen Politiker nur an der Oberfläche liegt und wie Schein und Täuschung doch nur verlogen ist. Wenn von uns Alten einer unter dem grauen Leichentuch des langen Schlafes verschwindet, so ist er nicht tot, so wie unsere weißen Missionare uns das glauben machen wollen, er sitzt auch nicht irgendwo auf einer Wolke und singt Halleluja. Nein, er ist noch mitten unter uns und hat uns all seine Erfahrung in die Gesichter geschrieben. Stürbe einer von uns wirklich, bevor er sein Wissen im Dunkel der Nacht weitergegeben hätte, dann wäre das so, als wenn die große Bibliothek, auf die man in Timbuktu weiter oben am Nigerfluss so stolz ist, ganz ein Raub der Flammen geworden wäre. Wie vergänglich das Wissen der weisen Muslime und Christen ist, siehst Du auch daran , dass dort viele der einmaligen Bücher und Rollen von den blindwütigen Fundamentalisten , zerrissen und zerfetzt und auf immer verloren sind, während unsere Erfahrung in der angenehmen Kühle der Nacht Euch Kindern unauslöschlich in die dunklen und wissenden Gesichter geschrieben wurde. Wenn ihr dann älter geworden seid, werdet ihr diese Geschichten am Abend in der Mitte der Gemeinschaft weitergeben und ihr werdet sprechen wie aus einem Munde und Euch beim Erzählen ergänzen. Denn niemand kann sich im Alter an jede Kleinigkeit erinnern, die in seinen Gesichtsfalten aufgezeichnet ist. Aber in der Dunkelheit werden diese Geschichten wie ein großes Gewebe oder wie eines der bunten Perlenbilder, die der Häuptling unseres Stammes auf der Brust trägt, aus den Worten der Einzelnen wie aus vielen Fäden oder Perlen wieder zusammengesetzt werden. Unser Wissen ist stärker und besser verankert als die kurzlebigen Bilder aus Internet, von dem die Weissen immer so schwärmen. Auch die „Batterien“ unseres Volkes halten viel, viel länger.
Nun möchte ich Euch aber noch etwas erzählen vom Egungun, der großen „Lebens-Batterie“, der gespeicherten Kraft und der gesammelten Erfahrung unserer großer Völker der Yoruba, der Edo und auch unserer Sklaven der Nago.
Sicher habt ihr schon von der Sitte gehört und vielleicht auch schon gesehen, dass man aus der schönsten Festtagskleidung unsere Verstorben mitten heraus an der Stelle , wo das Herz darunter geschlagen hat, einfach ein Stück heraus schneidet , die Kleidung dann wieder dort mit einem Flicken repariert und dem toten Körper dann für seine Beerdigung wieder anzieht. Vielleicht habt ihr ja eure Eltern gefragt, warum die schöne Kleidung damit auf immer beschädigt würde.
Freilich haben eure Eltern eurer Frage aus weichen müssen, denn das Wissen um den Egungun ist ausschließlich den Initiierten vorbehalten. Zu groß ist die Macht, die davon ausgeht, als dass man sie den kleinen Kindern und zerbrechlichen Frauen anvertrauen könnte. Da ihr aber nun hier bei uns Alten in der Urwaldschule seid, um das Wissen von Männern zu erreichen, will ich euch heute diese Geschichte erzählen.
Ich habe Euch ja vorher erklärt, dass sich bei uns Bini und unseren afrikanischen Brüdervölkern das Wissen in den Gesichtern ab speichert, wie in einem schön gewebten Tuch oder einer Perlenarbeit aus vielen und abermals vielen kleinen Einzelperlen. Nun mit unserer Kraft ist das etwas Ähnliches.
Wenn ihr dieses Bündel Pfeile anseht, die wir nehmen, um damit auf die kleinen Vögel zu schiessen, die wir in unserem Fufu mit verkochen, so ist Euch klar, dass die Pfeile, jeder für sich gehalten, Euren Kräften nur wenig Wiederstand entgegenbringen können: Auch Amadou, der Kleinste unter Euch, wird mit Leichtigkeit solch einen Vogelpfeil durchbrechen können. Jetzt nehmt aber doch mal das ganze Bündel, alle Pfeile auf einmal zusammengehalten, und versucht es mit aller Kraft, die ihr aufbringen könnt, über Euer Knie zu brechen: Selbst der Stärkste unter euch wird sich erfolglos bemühen!
Ihr habt alle schon erfahren: im Verbund seid ihr stark und jeder Aufgabe gewachsen an der ein Einzelner scheitern würde.
Nun so ist das auch mit einem Dorf, so ist das mit einem Volk , wie uns Bini: Bringt man uns einzeln von hier fort, steckt man uns in die Welt der Europäer nach Paris oder Brüssel oder New York, wo viele von unseren Jungen hingehen wollen, dann zerbrechen wir als Einzelne in fremder Gesellschaft. Wenn wir aber in gemeinsamer Reihe auf unseren Feldern stehen, uns gemeinsam bücken, um das Unkraut aus unserer Hirse heraus zu reißen, und wenn wir uns durch gemeinsamen Gesang Kraft geben, so sind wir wirklich stark.
Nun nehmt dieses kleine graue Stückchen Tuch, das unsere Weber angefertigt haben: Seht ihr wie stabil es ist. Auch wenn ihr gemeinsam daran zieht, wird es nicht reißen. So gut ist die Qualität unserer selbst geschaffenen Stoffe aus unserer heimischen Baumwolle, wogegen die Kleidung der Europäer, die ihr auf dem Markt für billiges Geld kaufen könnt, in kürzester Zeit zerrissen und zerfetzt ist. Unser heimisches Tuch ist nur grau und nicht so außergewöhnlich bunt wie die fremden Tuche , aber sie hält, weil auch unsere Garnmacher und Weber ihre ganze Kraft in die Tuche mit ein gearbeitet haben. Aber selbst ein einzelner unserer starken Garnfäden würde reißen, wenn man ihn einzeln zu sehr beansprucht.
Nun sind wir aber nur ein kleines Dorf und auch, wenn wir alle Edo und alle Yoruba zusammen nehmen würden, sind wir nur ganz wenige Tausend – nichts im Vergleich zu den Millionen Menschen in der Welt da draußen. Gäbe es da nicht den Egungun, würden wir von den großen Interessen der Welt einfach hinweg gewischt werden, wie wenige Staubkörner auf dem großen Tisch der Weltgeschichte. So wie unsere Brüder die Ogoni und Ibibio im Crossriver-Delta. Ihre Felder schillern bunt so wie die trügerischen Tuche der Weissen. Denn dort hat die große englische Königstochter Shell den Bauern das Land zerstört. So wie die Weißen ihr Wissen auf weißem flüchtigen Papier niederschreiben, so machen sie ihre Verträge auch nicht, indem sie einander in die Augen sehen und dies unter dem Baobab in allgemeiner Versammlung bereden, sondern heimlich im Verborgenen und dann kommen sie und wedeln dir diese Papiere vor der Nase herum, bis du gar nichts mehr sehen kannst. So haben die Töchter der englischen Königin, die sich auch als Mutter auch unseres Landes Nigeria ausgibt, aber all ihren anderen Töchtern den Vorzug gibt, dort nach dem schwarzen Gold zu bohren begonnen. Wie man immer schon gesagt hat, besteht dieses verruchte Gold aus den Tränen unserer Vorfahren und, wenn es auf die Felder gelangt, ist es zunächst bunt und schillernd wie die Träume unserer Lieben. Schnell aber zerstört es dann all unsere Feldfrüchte.
Unglück kam über unsere Brüder am Kreuzflussdelta und ohne die Kraft ihrer Vorfahren, ohne den Egungun, sind sie daran gescheitert.
Ich habe Euch ja gesagt, dass man aus den Gewändern unserer Verstorbenen direkt über dem Herzen ein Stück Stoff heraus nimmt und es aufbewahrt. Ein Stück Stoff, das all die Kraft der Toten , all Ihren Mut und Ihre Lebenserfahrung zeit ihres Lebens quasi aufgesogen hat wie ein gieriger Schwamm.
Nun das machen wir so schon seit Menschen Gedenken und so hatten unsere Vorfahren Hunderte an Stoffstücken gesammelt und zu einem großen Gewand zusammengenäht und als das Gewand so groß war, dass kein Platz am Rande mehr zu finden war, da haben sie ein neues zweites Gewand begonnen, um es über das erste zu legen und als dieses seine Größe erreicht hatte, gab es ein drittes und ein viertes für den Egungun. Und da ihr nun wisst, dass all unsere Verstorbenen nicht, wie es die Weißen sagen von uns gegangen sind, sondern unsichtbar hier unter uns leben, könnt ihr Euch denken, dass damit eine ungeheure Kraft zusammen gekommen ist. Und weil wir nun die Kraft und den Mut und das Wissen von Tausenden unseres Volkes in einem Objekt zusammengefügt haben, kann uns nichts mehr erschüttern oder gar unseren Zusammenhalt zerstören. Weil aber die Macht für einen Einzelnen allzu schwer zu ertragen wäre, ist unser Egungun hier im Fetischhaus mitten im Dschungel und vor den Augen der Einzelnen verborgen und tritt nur bei ganz großen Ereignissen wie dem Tode unseres Königs in Erscheinung.
Damit aber die gesammelte Kraft unseres Stammes nicht in die falschen Hände gerät oder Unheil anrichtet, wird das Wissen um den Egungun so gut im Geheimen bewahrt und nur ganz wenige wissen, wo sich unser Fetischhaus befindet. Zu groß könnte sonst der Schaden für unser Volk und die ganze Welt werden.
Als die Engländer im vorvorletzten Jhdt. hier zu unser aller Vorfahren, dem großen Königreich von Benin kamen, da wollten sie die Macht unserer Vorfahren brechen und nahmen ihnen all die königlichen Schätze wie die großen mächtigen Zähne aus Elfenbein, die Schätze aus Gold und die goldenen unersetzlichen Bronzetüren des Palastes. Ja sogar den Hocker, auf dem seit Urzeiten der König saß und der die Kraft aller Generationen in sich aufgenommen hatte, wollten sie gleichsam als Friedenspfand mit nach England nehmen. Wie es heißt, soll dort im Britischen Museum aber nur die Kopie stehen, die man an Stelle des Originals dem dummen Oberst der britischen Armada aus gehändigt hatte. Trotz allem war der Schaden für das Vertrauen, das die Leute von Benin in die Macht des Königs und die Kraft des Volkes gesteckt hatten, so enorm, dass diese Kultur dahin siechte und sich nur noch in uns Edo und Yoruba erhalten konnte.
Ihr unsere Kinder und die Enkel von Benin sollt dafür Sorge tragen, dass unser Wissen und unsere Kraft gut versteckt erhalten bleibt.

Bürgerreporter:in:

Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf

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