Von Hänsele, Storch und Co. - Vogelmasken in schwäbischen Fruchtbarkeits- und Pestbräuchen

Pestmaske aus Unterammergau
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Von Hänsele, Storch und Co.

Vogelmasken sind in allen Kulturen recht häufig.
Von ganz besonderer Bedeutung erscheinen nun aber vor Allem jene Vogelmasken zu sein, die sich durch besonders lange und noch dazu rote Schnäbel auszeichnen.
Auffällig sind hier die Ähnlichkeiten Bärenmasken mit lang heraushängender Zunge (Buttenmandel in Berchtesgaden, Klausen in Sonthofen) und freilich auch mit jenen Menschenmasken mit besonders langer Nase.

Charakteristische Beispiele solcher Nasentypen finden sich bei der Tengu genannten Form des japanischen Nohtheaters ebenso wie bei den trotz Alter vor Lebenslust strotzenden Grundherrenmasken in Peru (Danca de los Viechos) und schließlich bei den Longnoses genannten weisgesichtigen Karikaturen europäischer Siedler unter den Iroquois in Nordamerika . Der bekannteste Vertreter dieses Typs ist allerdings sicher Pinocchio, dessen Nase, wie wir uns erinnern, erst durch Lügen und Protzen überdimensionale Dimensionen annahm. Bereits mehrfach in der Literatur wurde angenommen, solche männlich jugendliche Pracht sei im Freud´schen Sinne stellvertretend für Potenzwünsche und so auch ein deutliches Fruchtbarkeitssymbol.

Ziemlich sicher lässt sich das bei den Klausenmasken mit langer roter Zunge nachweisen. Die Bärenjagd im Frühjahr nach einem entbehrungsreichen Winter war wohl seit der Frühzeit nicht nur notwendiges Muß , um an neue Essensvorräte zu kommen, sondern scheint immer schon durch Vergiessen des Blutes auf den weißen Schnee ein den Jahreswechsel und das neue Keimen im Frühjahr anregendes Fruchtbarkeitsritual gewesen zu sein. Nicht ohne Grund wird es auch heute noch von sibirischen Jägern nur mit kultischer Maske ausgeführt.

Der Storch und viele seiner langschnäbeligen Verwandten wurde bei ihrem Eintreffen im Frühjahr allerdings fast nie gejagt. Zu groß war der Respekt vor ihrer rituellen Bedeutung. Sagte man vor Allem doch dem Storch nach, all die kleinen Kinder zu bringen. Aus der Entfernung betrachtet sah man ihn über die Sumpfwiesen stelzen und kleine zappelnde und strampelnde Wesen aus dem sumpfigen Boden herausziehen. Wir wissen heute natürlich, es sind Frösche, aber für viele unserer ländlichen Vorfahren und selbst für manchen Wissenschaftler wurden ja sogar Versteinerungen von Froschskeletten noch für menschliche Zeugen der Sintflut gehalten (Scheuchzer´s :Homo diluvii testis).

Besonders ein naher Verwandter des Storchs, der Waldrapp oder europäische Ibis war auf der anderen Seite als Totenvogel bekannt. Dachte man sich die verstorbenen und auf Wiedergeburt hoffenden Seelen etwa im Boden versteckt, so dass sie erst von Storch und Co. wiedererweckt werden mussten? Gerade in Italien, Ägypten und in den Mittelmeerkulturen war der schwarze Ibis mit dem langen roten Schnabel ein wichtiger Mittler zwischen den Menschen und dem Totenreich.

Eine der bekanntesten Vogelmasken sind die schwarz oder weiß bemalten Langschnäbel der venezianischen Pesthelfer und Ärzte, die sich mit einem Tuch unter der Maske als Atemschutz vor den üblen Gerüchen der Lagunenstadt zu schützen wussten. Galt die schlechte Luft der Stadt doch lange Zeit als Übertragungsweg für den schwarzen Tod. Auch Pest,- Aussatz,- und andere Kranke in frühen Krankheitsstadien sollen sich und ihre Beulen und Verunstaltungen so vor ängstlich prüfenden Blicken verborgen haben. Wollte man doch so viel als möglich noch von den Freuden dieser Welt kosten, bevor einen der fast sichere und frühe Tod ereilte.
Was lag näher, als sich auf Maskenbällen zu vergnügen und bestmöglich zu vergessen.

Auch in unseren Breitengraden sollen sich die Lumpenkleider der Ausgestoßenen über vielfältige Zwischenstufen zum närrischen Blätzle-gewand weiterentwickelt haben. Der Narr sollte ja die menschlichen Schwächen persiflieren und somit ins Lustige verkehren. Auf der anderen Seite fällt natürlich auch die meist an Schuppen oder an Deckfedern erinnernde Anordnung der bunten Stoffstücke ins Auge.
Ist das Hänsele - häs mit seinem langen roten Schnabel und den auf schwarz bunt aufgenähten Spättle evtl. das in vielen Farben schillernde schwarze Federkleid des Waldrapp?

Etwas wahrscheinlicher erscheint uns diese These noch, wenn wir uns einen weiteren Frühlingsbrauch ansehen: In Niederbayern, der Oberpfalz, in Schwaben und auch in Hessen gibt es den Pfingstbrauch des Wasser,- oder See-Vogels. Teilweise spricht man auch von Pfingstlümmel oder Pfingstochse etc. Ein unter frischem Laub versteckter Knabe muss durchs Dorf und über die Felder laufen, um Ihnen Fruchtbarkeit zu bringen. Von den anderen Jugendlichen wird er immer wieder mit Wasser besprengt. Nicht selten trägt er einen langen Stock in Form eines Schnabels, manchmal sogar in Rot. Wurde aus einem kultischen Seel-Vogel so evtl. ein See-Vogel im Frühjahrsbrauchtum? Ist der Pfingstlümmel Teil eines alten Fruchtbarkeitskultes?

Bürgerreporter:in:

Maskenmuseum Michael Stöhr aus Diedorf

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