"Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept ist sehr wichtig": Ein Interview mit Thomas Wörle (Wirtschaftsförderung der Stadt Aichach)

Wirtschaftsförderer Thomas Wörle | Foto: Stadt Aichach
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myheimat: Explodierende Energiekosten, Materialknappheit, unterbrochene Lieferketten, Ukrainekrieg – die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft haben sich im Jahr 2022 insgesamt rapide verschlechtert. Sicher sind auch die Aichacher Geschäftsleute und Unternehmer*innen von den Auswirkungen dieser vielen krisenhaften Entwicklungen massiv betroffen. Welche Rückmeldungen bekamen Sie während des Jahres aus der Aichacher Geschäftswelt hinsichtlich der genannten Punkte?

Wörle: Das wirtschaftliche Umfeld hat sich noch nicht so sehr eingetrübt, wie man meinen möchte. Aber wie bei den meisten börsennotierten Unternehmen, so ist wohl auch bei den Unternehmen vor Ort die Brisanz der schlechten Rahmenbedingungen noch nicht so richtig angekommen. Neben den von Ihnen benannten hohen Energiekosten sehe ich vor allem den deutlichen Anstieg der Zinsen als starke Bremse für die zukünftige wirtschaftliche Weiterentwicklung. Der Anstieg der Rendite einer 10-jährigen Bundesanleihe, die ja eine Art Referenzzinssatz bildet, innerhalb eines Jahres von -0,5% auf aktuell über 2%, also um etwa 3%, wird einen großen einschränkenden Einfluss auf die Umsetzung von Investitionen jeglicher Art haben. Aber konkret zu Ihrer Frage: Bei den Gesprächen, die mit ansässigen Unternehmen geführt wurden, waren keine Klagen zur momentanen Situation, jedoch schon eine gewisse Sorge über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung herauszuhören.

myheimat:
Das Frühjahr begann in Aichach erfreulich. Nach der coronabedingten Zwangspause konnte die Wi-La wieder über die Bühne gehen. Wie haben Sie die große Leistungs- und Verkaufsschau im Wittelsbacher Land erlebt?

Wörle:
Die Besucherzahlen unterstreichen erneut den Erfolg der WI-LA. Da hat auch die coronabedingte Pause keinen Abbruch getan. Die WI-LA ist ein Erfolg, sowohl für die Aussteller, wie auch für die Besucher. Aussteller können sich zu vernünftigen Preisen präsentieren, die Besucher können sich gezielt informieren oder auch nur eine schöne Zeit verleben. Das Konzept, die Vermischung von Eventzelt und Ausstellung, passt nach wie vor oder vielleicht auch gerade deshalb in unsere digitale Zeit. Natürlich stellt das Internet schon die bedeutendste Informationsplattform dar. Aber neben dem Internet gibt es noch das Bedürfnis, real einzukaufen oder sich zu informieren, mit dem Anbieter zu reden und sich beraten zu lassen.

myheimat: Aichach ist seit 2016 „Fair Trade Stadt“. Wie ist hier der Stand der Dinge? Wo können die fair gehandelten Produkte eingekauft werden?

Wörle:
Aichach handelt fair. Seit Herbst 2016 ist Aichach im Rahmen der internationalen Kampagne „Fairtrade Towns“ (www.fairtrade-towns.de) als Stadt des fairen Handels ausgezeichnet. Ermöglicht hatten dies eine Steuerungsgruppe aus engagierten BürgerInnen, ein Beschluss des Stadtrates, Einzelhändler, gastronomische Betriebe und öffentliche Einrichtungen, die fair gehandelte Produkte anbieten. Ganz aktuell wurde der Titel „Fairtrade-Town“ der Stadt Aichach für weitere zwei Jahre nach intensiver Prüfung bestätigt und die entsprechende Urkunde ausgestellt. Natürlich erschwerten die Corona-bedingten Umstände Aktionen, dennoch ist es richtig beeindruckend, was die Steuerungsgruppe alles leistet. Es macht großen Spaß zu sehen, dass sich der Gedanke des fairen Handels verankert hat. Ganz besonders freut mich, dass die Steuerungsgruppe trotz der schwierigen Lage nach wie vor aktiv ist und so eine gute öffentliche Präsenz zeigt. Fair Trade-Produkte kann man in Aichach in verschiedenen Geschäften erwerben, man kann sie an dem Fair Trade Logo erkennen.

myheimat:
Der anonyme Online-Handel setzt dem traditionellen innerstädtischen Einzelhandel doch sehr zu. Wahrscheinlich hat die Coronakrise das noch verstärkt. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Innenstadt ein?

Wörle:
Wie Sie in Ihrer Frage vielleicht schon angedeutet haben, ist das Ganze etwas differenzierter zu betrachten. Die Innenstadt besteht nicht nur aus dem innerstädtischen Einzelhandel. Natürlich ist er einer der großen Anziehungspunkte für einen Besuch in der Innenstadt. Aber daneben gibt es noch Gastronomie, Praxen, und viele private und auch öffentliche Dienstleistungen, die Bürger in die Innenstadt ziehen. Und es wohnen Gott sei Dank auch viele Bürger in der Innenstadt. Wie Bürgermeister Habermann schon einmal sagte, wird sich die Attraktivität von Städten „nicht mehr allein über ihr Warenangebot entwickeln können. STADT wird sich künftig noch mehr definieren über ihre Aufenthalts-, Erlebnis- und Kommunikationsqualität“. Aber grundsätzlich sehe ich die momentane Situation im Einzelhandel und ganz speziell in der Gastronomie nicht angespannter als vor Corona. Die üppigen Hilfen, gerade für die zuletzt genannten lassen viele nicht schlechter dastehen als ohne Corona. Dafür muss man dem Staat, also uns allen schon ein großes Dankeschön sagen. Für die allgemeine Entwicklung der Innenstadt sehe ich das jetzt angestoßene Integrierte Stadtentwicklungskonzept als sehr wichtig an. Hierzu möchte ich die auf der Website der Stadt Aichach aufgeführten Infos wiedergeben. Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept wird auf Jahrzehnte die Gestaltung öffentlicher Plätze und Straßen und Sanierungstätigkeiten an öffentlichen Gebäuden besonders beeinflussen. Das bisherige Stadtentwicklungskonzept aus dem Jahr 2008 hatte wichtige Weichen für die Mitte Aichachs gestellt. Nun soll Aichach im Rahmen eines fortzuschreibenden Integrierten Stadtentwicklungskonzepts (ISEK) als Ganzes neu betrachtet und in den vorbereitenden Untersuchungen (VU) zur Stadtmitte erneut grundstücksgenau beleuchtet werden, um auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen der Stadtentwicklung reagieren zu können. Die Entwicklungsprozesse ISEK und VU geben Anlass, die Diskussion der laufenden und zukünftigen Stadtentwicklung fortzusetzen. Dieser Diskurs findet zwischen Planerinnen und Planern, der Verwaltung und der Bürgerschaft von Aichach statt. Die Entwicklungsprozesse bieten außerdem die Möglichkeit, bisherige Arbeiten zur Stadtentwicklung Revue passieren zu lassen und gegebenenfalls in neuer Form wieder aufzugreifen. Dabei werden aktuelle Themen und Herausforderungen der Stadtentwicklung neu definiert und können bei zukünftigen Schritten Einfluss nehmen. Ergebnis wird neben Zielen und konkreten Handlungsfeldern eine Zahl an Projekten und Maßnahmen sein, die Aichach - besonders aber die Stadtmitte - verbessern und neugestalten werden. Die Bevölkerung der Stadt Aichach wird während der gesamten Bearbeitungsphase die Gelegenheit zur Mitarbeit haben. Neben drei geplanten Vor-Ort-Veranstaltungen gibt es ein gemeinsam nutzbares ConceptBoard im Internet unter: www.aichach.de/Bürger/Planen-Bauen-Umwelt-/Stadtentwicklung. Das ist eine Art gemeinsamer digitaler Arbeitstisch, auf dem aktuelle Arbeitsstände dokumentiert werden und wo z.B. eine Stadtkarte die Bürgerinnen und Bürger zum detaillierten Mitdenken einlädt. Einen Blick drauf kann ich sehr empfehlen.

myheimat:
Der BUND Naturschutz bezeichnet den Flächenfraß als größtes ungelöstes Umweltproblem in Bayern. Jeden Tag gehen rund 18 Hektar, also 25 Fußballfelder, verloren. Wie lässt sich da aus Ihrer Sicht eine vernünftige Balance zwischen Ökonomie und Ökologie herstellen?

Wörle: Das ist eine zu schwierige Frage für mich. Hierzu haben sich schon so viele gebildete Menschen geäußert und ob dann gerade ich eine wirklich gute Lösung finde? In ihrem Koalitionsvertrag hatte die bayerische Staatsregierung 2018 meines Wissens versprochen, den Flächenverbrauch einzudämmen. Doch sowohl in 2020 als auch in 2021 wurden annährend die gleiche Fläche vormals freier Landschaft pro Tag in Bauland für Wohnen, Gewerbe und Verkehrswege umgewandelt. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger bringt die Schwierigkeit hierzu auf den Punkt, wenn er sagt: "Wir wollen mit Fläche sparsam umgehen, müssen aber gleichzeitig gegen Wohnungsnot vorgehen, Gewerbegrundstücke für unsere Unternehmen bereitstellen, die Energiewende voranbringen und Verkehrswege optimieren" und "mit diesem Zielkonflikt müssen wir offen umgehen." Tatsache ist auf jeden Fall, dass die Bevölkerung in Deutschland seit vielen Jahren nicht nennenswert verändert ist und somit dieser Fakt keine Begründung liefert.

myheimat: Herr Wörle, vielen Dank für dieses Gespräch.

myheimat-Team:

Joachim Meyer aus Friedberg

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