Ein kleines Weihnachtsgeschenk von G. Büchner für seine guten Eltern. 1828:

Karl Geog Büchner, 27.10.1813 - 19.02.1837 | Foto: Internetquelle : Wikipedia
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Der Weihnachtsbrief der Lecture_Offenbach ist in diesem Jahr Georg Büchner gewidmet. Noch im alten Jahr möchte der Offenbacher Kultur- und Bildungsverein sehr herzlich zu einer Veranstaltung im kommenden einladen: Entdecken Sie am hessenweiten „Tag für die Literatur“, am 29. Mai 2011 um 19 Uhr, mit Lecture_Offenbach im Haus der Stadtgeschichte die Wurzeln des deutschen Demokratieverständnisses. Reisen Sie mit einem literarisch-musikalischen Programm und historischen Bildprojektionen zu den Ursprüngen des europäischen Gedankens.

Wie kommen wir darauf, - am liebsten auch mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser von myheimat-Beiträgen, als Engagierte gemeinsam -, eine Lesung zu Georg Büchner zu gestalten?

Der junge Medizinstudent Georg Büchner griff vor 176 Jahren in der Zeit des „Vormärz“ auf die ausgereifte Technik des Offenbacher Druckunternehmers Carl Preller zurück, um mit der legendären Flugschrift „Der Hessische Landbote“ das politische Anliegen der bürgerlichen Demokratiebewegung in Deutschland zu verbreiten. Einem Brief, den Karl Georg Büchner aus Frankfurt schrieb, ist der Titel unseres Programms entlehnt: Freitag abends ging ich von Gießen weg...: Die Drucklegung von Georg Büchners Flugschrift „Hessischer Landbote“ in Offenbach am Main.

„Ich wählte die Nacht der gewaltigen Hitze wegen, und so wanderte ich in der lieblichsten Kühle unter hellem Sternenhimmel, an dessen fernstem Horizonte ein beständiges Blitzen leuchtete. Teils zu Fuß, teils fahrend mit Postillionen und sonstigem Gesindel, legte ich während des Nachts den größten Teil des Wegs zurück. Ich ruhte mehrmals unterwegs. Gegen Mittag war ich in Offenbach“, schreibt Büchner am 4. August 1834.

Bei der Vorab-Recherche zu unserem literarisch-musikalischen Programm mit seinen historischen Bildeinblendungen bin ich auf das winterlich-vorweihnachtliche Gedicht „Die Nacht“ gestoßen, das Büchner 15-jährig verfasste. Er versah es mit der Bemerkung „Ein kleines Weihnachtsgeschenk von G. Büchner für seine guten Eltern. 1828“ :

Niedersinkt des Tages goldener Wagen,
Und die stille Nacht schwebt leis ´ herauf ,
Still mit sanfter Hand des Herzens Klagen,
Bringt uns Ruh ´ im schweren Lebenslauf.

Ruhe gießt sie in das Herz des Müden,
Der ermattet auf der Pilger Bahn,
Bringt ihm wieder seinen stillen Frieden,
Den des Schicksals rauhe Hand ihm nahm.

Ruhig schlummernd liegen alle Wesen,
Feiernd schließet sich das Heiligtum,
Tiefe Stille herrscht im weiten Reiche,
Alles schweigt im öden Kreis herum.

Und der Mond schwebt hoch am klaren Äther
Geußt sein sanftes Silberlicht herab;
Und die Sternlein funkeln in der Ferne
Schau ´nd herab auf Leben und auf Grab.

Willkommen Mond, willkommen sanfter Bote
Der Ruhe in dem rauen Erdental,
Verkündiger von Gottes Lieb und Gnade,
Des Schirmers in Gefahr und Mühsal.

Willkommen Sterne, seid gegrüßt ihr Zeugen
Der Allmacht Gottes der die Welten lenkt,
Der unter Myriaden Wesen
Auch meiner voll Lieb und Gnade denkt.

Ja heilger Gott du bist der Herr der Welten,
Du hast den Sonnenball emporgetürmt,
Hast den Planeten ihre Bahn bezeichnet,
Du bist es, der das All mit Allmacht schirmt.

Unendlicher, den keine Räume fassen,
Erhabener, den Keines Geist begreift,
Allgütiger, den alle Wesen preisen,
Erbarmender, der Sündern Gnade beut!

Erlöse gnädig uns von allem Übel,
Vergib uns jede Missetat,
Laß wandeln uns auf deines Sohnes Wege,
Und siegen über Tod und über Grab.

„Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden,“ notierte Georg Büchner wenig später. Sein frühes, teils verkitschtes Gedicht „Die Nacht“ liest sich bereits als versteckte Kritik auf den im deutschen Vormärz fortwirkenden, gemäßigt-kritischen Geist der Weimarer Klassik. Unverkennbar, dass der junge Büchner, - vermutlich durch seine Schullektüre inspiriert -, auf den von Johann Wolfgang von Goethe 1808 veröffentlichten „Faust I“ Bezug nimmt. Der Erde entrückt lobpreisen bei Goethe die drei Erzengel in einem „Prolog im Himmel“ die scheinbar unabänderliche, göttliche Weltordnung. Hier durchscheint die überaus subtile, altersweise Kritik des Meisters. Diese ist heute nur noch vor dem Hintergrund eines historischen Bewusstseins für das damals aktuelle, politische Zeitgeschehen herauszuhören:

Raphael:
Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebene Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.

Gabriel:
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieseshelle
Mit tiefer schauervoller Nacht;
Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärenlauf.

Michael:
Und Stürme brausen um die Wette
Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,
Und bilden wütend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags,
Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.

Alle drei:
Der Anblick gibt den Engeln Stärke
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.

Die bereits in dem Nacht-Gedicht abgewandelt verwendeten Motive Goethes klingen auch später in Büchners Briefen an seine alle Jahre in Straßburg lebende Verlobte Wilhelmine „Minna“ Jaegele an. Sie bilden jedoch - ihrer ursprünglich im Versmaß auch bei Büchner noch gebundenen Schönheit entkleidet - nur noch einen Fond.

Zu Recht wird insbesondere der Brief vom 10. März 1834 als „Büchners Fatalismusbrief“ bezeichnet:

„Schon seit einigen Tagen nehme ich jeden Augenblick die Feder in die Hand, aber es ist mir unmöglich nur ein Wort zu schreiben. Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe nur ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich.“

Diese „spätromantische Schwermut“, die anklingende Depression Büchners entbehrt jeder Attitüde. Der 21-jährige Medizinstudent arbeitet zu dieser Zeit wohl bereits seit November 1833 zusammen mit dem Theologen und Pädagogen Friedrich Ludwig Weidig an einer politischen Streitschrift, die zur Revolution aufruft. Damit ignorieren die Autoren des „Hessischer Landbote“ genannten Pamphlets nicht allein die publizistischen Maßregelungen durch die strengen Auflagen der Zensur; sie setzen sich bewusst der politischen Verfolgung und Verhaftung aus.

Georg Büchners Steckbrief vom 13. Juni 1835 beschreibt den hieraus resultierenden Sachverhalt der polizeilichen Verfolgung so:

„Der hierunter signalisierte Georg Büchner, Student der Medizin, hat sich der gerichtlichen Untersuchung seiner indicierten Theilnahme an staatsverräterischen Handlungen durch Entfernung aus dem Vaterlande entzogen. Man ersucht deshalb die öffentlichen Behörden des In- und Auslandes denselben im Betretungsfalle festnehmen und wohl verwahrt an die unterzeichnende Stelle abliefern zu lassen. Großherzogliches Hessisches Hofgericht der Provinz Oberhessen in Darmstadt. Georgi. Personalbeschreibung. Alter: 21 Jahre; Größe: 6 Schuh, 9 Zoll neuen Hessischen Maases; Haare: blond; Stirn: sehr gewölbt; Augenbrauen: blond; Augen: grau; Nase: stark; Mund: klein; Bart: blond; Kinn: rund; Angesicht: oval; Gesichtsfarbe: frisch; Statur: kräftig, schlank. Besondere Kennzeichen: Kurzsichtigkeit.“

Friedrich Ludwig Weidig, der - nach der Drucklegung des „Hessischen Landboten“ bei Carl Preller in Offenbach am Main - zusammen mit seinen Schülern maßgeblich die Verteilung des Landboten organisiert hatte, wird bereits 1834 verhaftet und begeht nach schweren Misshandlungen in der Darmstädter Haft 1837 Selbstmord. Georg Büchner war zunächst nach Straßburg zu Jaegeles geflohen, von wo aus er auf Grund seiner Doktorarbeit als Privatdozent nach Zürich berufen wurde. Dort infizierte er sich kurz nach seiner Ankunft vermutlich bei Forschungsarbeiten mit einem Typhuserreger. Er starb, 24-jährig, am 19. Februar 1837, vier Tage bevor Friedrich Ludwig Weidig sich im Darmstädter Gefängnis das Leben nehmen sollte.

In seinem vorletzten Brief, am 20. Januar, schreibt Karl Georg Büchner seiner Minna, er habe sich lediglich erkältet. Zudem ermahnt er sie, für ihn schon einmal zu Ostern das Singen der von ihm geliebten Volkslieder zu proben:

„Ich habe mich verkältet und im Bett gelegen. Aber jetzt ist ´s besser. Wenn man so ein wenig unwohl ist, dann hat man ein so groß Gelüst nach Faulheit, aber das Mühlrad dreht sich als fort ohne Rast und Ruh... Heute und gestern gönne ich mir jedoch ein wenig Ruhe und lese nicht; morgen geht’s wieder im alten Trab, du glaubst nicht, wie regelmäßig und ordentlich. Ich gehe fast so richtig wie eine Schwarzwälder Uhr. Lernst Du bis Ostern die Volkslieder singen, wenn ´s Dich nicht angreift? Man hört hier keine Stimme; das Volk singt nicht... Ich komme dem Volk und dem Mittelalter immer näher, jeden Tag wird mir ´s heller – und gelt, du singst die Lieder? Ich bekomme halb das Heimweh, wenn ich mir eine Melodie summe.“

Seinen letzten Brief an Minna Jaegele schreibt er in nahezu heiterem und unbeschwertem Plauderton, einem literarischen Postkartencolorit. Er fabuliert von Leben und Tod, seinem Alltagsblick auf die Alpen und seiner Lust, die Braut recht bald wieder zu sehen und zu lieben:

Zürich, 27. Januar 1837

"Mein lieb Kind, Du bist voll zärtlicher Besorgnis und willst krank werden vor Angst; ich glaube gar Du stirbst – aber ich habe keine Lust zum Sterben und bin gesund wie je. Ich glaube, die Furcht vor der Pflege hier hat mich gesund gemacht; in Straßburg wäre es ganz angenehm gewesen und ich hätte mich mit dem größten Behagen in ´s Bett gelegt, vierzehn Tage lang, Rue St. Gauillaume Nro. 66, links die Treppe hoch, in einem etwas überzwergen Zimmer, grüne Tapete! Es ist mir heut einigermaßen innerlich wohl, ich zehre noch von gestern, die Sonne war groß und warm im reinsten Himmel – und dazu hab ich meine Laterne gelöscht und einen edlen Menschen an die Brust gedrückt, nämlich den kleinen Wirt, der aussieht, wie ein betrunkenes Kaninchen, und mir in seinem prächtigen Hause vor der Stadt ein großes, elegantes Zimmer vermietet hat. Edler Mensch! Das Haus steht nicht weit vom See, vor meinen Fenster die Wasserfläche und von allen Seiten die Alpen, wie sonnenglänzendes Gewölk. – Du kommst bald? Mit meinem Jugendmut ist ´s fort, ich bekomme sonst graue Haare, ich muss mich bald wieder an Deiner inneren Glückseligkeit stärken und Deiner göttlichen Unbefangenheit und Deinem lieben Leichtsinn und all Deinen bösen Eigenschaften, böses Mädchen. Adio piccola mia!"

Liebe Mitglieder der myheimat-Community,

Ziel des alle zwei Jahre vom „Hessischen Literaturrat“ und dem „Literaturland Hessen“ ins Leben gerufenen „Tag für die Literatur“ ist es, mit vielfältigen Lesungen die regionale historische Geschichte hörbar zu machen. Um der im demokratischen Vormärz mitgedachten europäischen Identität nachzuspüren, werden wir das literarisch-musikalische Programm mit teils herkunftssprachlichen Volksliedern gestalten, die zu dieser Zeit gesungen wurden.

Sie als Publikumsgast am 29. Mai im Haus der Stadtgeschichte begrüßen zu dürfen würde mich sehr freuen. Mitgliedern des Vorleseclubs der Stiftung Lesen möchten wir mit freiem Eintritt für ihr Engagement danken. Wenn nach diesem kurzen Einblick Ihr Interesse geweckt wäre die geplante Veranstaltung aktiv lesend oder musizierend mitzugestalten, dann freue ich mich sehr über Ihre Ansprache und Ihre Idee dazu. Mit einem humorvoll-nachdenklichen Wort Karl Georg Büchners für das Jahr 2011 möchte Lecture_Offenbach Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser einen heiter-besinnlichen Jahreswechsel wünschen:

„Ich glaub, wenn wir in den Himmel kämen müssten wir donnern helfen.“

Mögen in 2011 alle Ihre Vorhaben aufs Beste gelingen und Ihre Herzenswünsche sich erfüllen!

Ihre

Paula Kuhn

Bürgerreporter:in:

Reinhild Paula Margarethe Kuhn (geb. Weber-Lucks) aus Kassel

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