Kreuzworträtsel mit Gewalt

Der Arzt hat sich - einmal richtig durchschnaufend - wieder aufgerichtet.
„’S sind die Nerven - Herr Müller!
Sonst kann ich soweit nichts feststellen! Die Organe sind jedenfalls in Ordnung.
Etwas Ruhe, Ausspannen, Massagen, Rohkost, genügend Gymnastik, Bäder........,
passen S’ auf Herr Müller, wir kriegen Sie schon wieder hin.

Schwester!“

Und da bin ich jetzt gehockt, in dem Klapskasten im schönen Chiemgau.
Und jetzt war’s zu spät!
Ma sollte eigentlich nie auf das hör’n, was einem die guten Freunde raten.
Eine Kur einreichen ?!
Das konnte ja heiter werden.

Und des wurde sehr heiter!
Ich mußte täglich ein längeres Zirkusprogramm absolvieren.
Von der Früh’ um Sieben bis Mittags um halb Eins.
Der Bademeister, die Gymnastiklehrerin, die Wiegeschwester, der Masseur,
die Zimmerschwester - alle waren sie emsig um mich bemüht.

Ich bin mir richtig krank vorgekommen!

Und wenn ich mir krank vorgekommen bin, dann hat man mich angeschnauzt, was mir einfällt - ‘es geht mir schon wieder viel, viel besser!’

Was konnte ich da machen?

Was konnte ich vor allem an den langen Nachmittagen machen, die ungefähr acht- bis neunmal so lang waren, wie die reichlich ausgefüllten Vormittage.

Was nutzte mir die Aussicht auf den Chiemsee auf der einen - und die auf
die Kampenwand auf der andern Seite der Klinik?
Schön anzuschauen war’s schon!

Mir jedenfalls war der See zu kalt - und die Kampenwand zu steil!

Lesen!

Des Krankenhaus hatte eine Bibliothek.

Die ersten acht Tage ist das auch ganz gut gegangen, weil die hatten da die allgemeine Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, sowie viele Zeitschriften - zwar vom Datum her schon ein bißchen älter, dadurch aber auch mehr beruhigend, weil des Aufregende darin weit zurück gelegen ist - Ungelöstes längst gelöst schien.

Ich konnte mich zum Beispiel über die Mondlandung informieren, hab’ erfahren, daß vor kurzem Grace Kelly in Monaco verunglückt ist und der neue 17 M von Ford auf der Autoseite - endlich wieder einmal was für’s Auge!

Der Rest der Bibliothek bestand aus einigen Kriminalromanen, Anthologien unbekannter Autoren, allerlei Wissenswertem, Kochrezepten, Anekdoten ohne Pointe und vielerlei anderem Stumpfsinn.

Des beschäftigte mich - wie gesagt - acht Tage lang.
Dann war’s aus.
Da - schreib’ ich mir meinen kleinen Bedarf lieber selber!

Und was jetzt?

Eines Tages hab’ ich auf’m Tisch in der Eingangshalle ein Rätselheft liegen sehen.
Ich hab’ gar nicht gewußt, daß es so etwas auch gibt. Hatte ich doch bis dahin bloß einzelne kleinere Rätsel in Tageszeitungen und Zeitschriften entdeckt.

„Dürfte ich mir das vielleicht einmal ausleihen?“ hab’ ich die Dame an der Rezeption gefragt.

Sie hat geliehen!
Ich hab’ kaum mein Müsli, das Salatblatt und die halbe Banane gegessen gehabt, als ich auf mein Zimmer gestaubt bin, (nicht ohne im Vorbeihuschen an der Rezeption einen Kugelschreiber mitgehen zu lassen).
Oben angekommen - hab’ ich sofort angefangen zu lösen.

Ich muß dazu sagen, daß ich von jeher über eine sehr lückenhafte Bildung verfügte -
ich weiß nicht, wo Kamtschatka liegt, weiß nicht, was Euphonie bedeutet und ich verwechselte bis dahin Akquisition stets mit der Wissenschaft über die Zierfischhaltung.

Es war ein Jammer.
Aber ich hab’ trotzdem zu lösen angefangen!

Am Anfang ist es auch ganz gut gegangen. Alles was mir auf Anhieb eingefallen ist, hab ich in die kleinen Kästchen geschrieben und wenn ich nicht weiter gewußt hab’, dann hab’ ich das angebissene Rätsel einfach liegenlassen und mich an’s Nächste gemacht. - Es waren ja genügend drin in dem Heftchen!

So hab ich viele vergnügte Nachmittage gehabt.

Unter dem Stapel Zeitschriften in der Eingangshalle hab’ ich dann ein paar Tage später noch weitere acht Rätselhefte entdeckt - aber dummer Weise hatten die alle keinen Zusammenhang untereinander, weil es fehlten gerade immer die Nummern, in denen de Lösungen von den anderen drin gewesen wären, an denen ich gerade herumgeknabbert hab’.

Also hab’ ich versuchen müssen, alleine damit fertig zu werden und ich war ganz auf mich selber und mein lückenhaftes Wissen angewiesen.

Wer sich auf mich und mein Wissen verlässt, war eigentlich schon immer irgendwie verlassen!

Aber ich hab’ gelöst!

Als ich die ganzen Heftchen voll gemalt gehabt hab’, hab’ ich sogar fünf Kreuzworträtsel zu ende gelöst gehabt.
Alle ander’n haben aber noch bedrohliche Lücken aufgewiesen.

Was jetzt?

Zuerst hab’ ich den Kugelschreiber der Klinik zerbissen, anschließend meine Pfeife und ich war kribbelig.
Sie kennen den sogenannten Klinikkoller? - Nein?

Nun......, mit dem ist es so: Wenn ich eine ganze Zeit lang von in der früh’ bis
auf die Nacht fast ausschließlich Grünzeug gefressen hab’, dann werd’ ich furchtbar böse und fang’ innerlich und ganz insgeheim an zu toben.
Laut tät’ ich mich nämlich nicht trauen!

Aber ich hab’ mit dem Kreuzworträtsel umhergetobt und ich wollte mich auch auf keinen Fall unterkriegen lassen und ich hab’ beschlossen, dem ein Ende zu machen.
So oder so.
So konnte es auf jeden Fall nicht mehr weitergehen! - - - - - - - - -

Berggipfel im Karakorum! - Na bitte!

Wissen Sie, wo das Karakorum liegt?

Ich weiß das jedenfalls nicht!

Ich hab’ damals, als wir das in der Schule durchgenommen haben wahrscheinlich gefehlt - oder ich hab’ gerade unter der Bank die ‘Bravo’ vom Banknachbarn angeschaut oder dem blonden Mädel in der Parallelklasse einen Brief geschrieben.

K a r a k o r u m !

Die Reihen drum herum hatte ich!
Mir haben aber noch die Buchstaben gefehlt, die man aus den anderen Reihen nicht erraten konnte!

Da brach ich das Rätsel übers Knie!

‘Dapshang’ - setzte ich ein. - Berggipfel im Karakorum: ‘Dapshang’!

Ich hab’ das sehr schön gefunden!

Und dies hat mich so ergötzt, daß ich an einem Nachmittag zweiundzwanzig Kreuzworträtsel gelöst hab’. - Mit Gewalt!

Wer nicht hören will, muß fühlen!

Ich hab’ wunderbare Resultate erzielt.:

‘Murksch’. - Eine Hauptstadt in Europa.

Man erzähle mir nichts! Warum soll es unter den vielen, vielen europäischen Hauptstädten nicht eine geben, die ‘Murksch’ heißt?

‘Morel’. - Eine bekannte deutsche Weingegend.

‘Neptus’. - Ein Planet. - (Nein, nicht Neptun, dann geht es nämlich nicht auf).

Kaufmännischer Begriff: - ‘Pleise’.

Ein heißes Kindergetränk: - ‘Kacke’. (doch – das ist dabei heraus gekommen!)

Und es tauchten geradezu abenteuerliche Worte auf.:
wie: ‘Grumpfdrum’...... und ‘Schneckenhusch’......und ‘Schupfzang’......

So hab’ ich mir eine ganz neue Welt erbaut!
Ich hab’ aber niemandem davon erzählt.
Aber ich hab’ für mich privat eine ganz neue Sprache erlernt.
Die Kreizworträtselsprache.
Hätte ich es einem gesagt, die hätten mich dort nie mehr heraus gelassen!
Aber die Wörter in meinem Innern bewegend, hab’ ich den ganzen Tag 'Kreuzisch' gesprochen! Und ich hab’ mich Vokabeln abgefragt. Und ich hab’ es eigentlich schon ganz gut gekonnt.

„Nuuun - wie fühlen wir uns denn jetzt?“ hat mich der Onkel Oberdoktor in seiner..... na ja sagen wir, gütigen Art gefragt.
Ich hab’ nicht gleich geantwortet.
Heimlich hab’ ich nämlich Vokabeln geübt:

‘Auf des Doktors Schreibtizel summte eine Feilge, die Sumie schien durchs Fenster und der Himmel war blot.’

„Wie Sie sich fühlen?!“ wiederholte der Onkel Doktor mild gereizt.

„Gut..., danke - viel besser, doch.....ja!“

„Aber manchmal noch etwas zerstreut....., noch etwas nervös?“ hat er gefragt und mich dabei forschend angeschaut.

„Aber überhaupt nicht, Herr Doktor, ich fühl’ mich frisch, wwwirklich....., Sie haben mir sehr geholfen..., sehr....., doch..., ja.“

„Na, das freut mich aber! Sehen Sie..., ich habe es Ihnen ja gleich gesagt“
und er hat mir zum Abschied noch ein paar gute Ratschläge mit auf den Weg gegeben.

Und als ich auf dem Heimweg war und mir Gedanken über meine Zukunft gemacht hab’, da hab’ ich beschlossen, daß ich als nächstes wahrscheinlich ein Nachschlagewerk für Kreuzworträtselfreunde herausgeben werd’.

frei nach einer Idee v. K. Tucholsky

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

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