Die Kriminalgeschichte eines Serienmörders
Einst hat Massenmörder Haarmann in Hannover an der Leine Menschenfleisch in Dosen verkauft

Das scharfe Schlachtebeil ist vielseitig verwendbar. Auch am menschlichen Torso. Fritze Haarmann wusste es zu handhaben. Er perfektionierte das Zerlegen von Leichen.
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  • Das scharfe Schlachtebeil ist vielseitig verwendbar. Auch am menschlichen Torso. Fritze Haarmann wusste es zu handhaben. Er perfektionierte das Zerlegen von Leichen.
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Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir,
mit dem kleinen Hackebeilchen, macht er Hackefleisch aus dir...

Dieses schaurig-schöne Lied (hier der Link: Warte, warte nur ein Weilchen) kannte zu meiner Kindheit in den Fünfzigerjahren in Hannover jedes Kind. Und natürlich die grausige Geschichte dazu, in der es hieß, dass der Massenmörder Haarmann über 20 Menschen getötet haben solle. Doch nicht nur das. Er soll deren Körper zerlegt, zu Wurst verarbeitet und verkauft haben. Die Reste hatte er in die Leine geworfen.

Uns Kindern gruselte vor dieser Geschichte. Gleichzeitig aber waren wir auf irgendeine Art fasziniert davon. Ein Massenmörder, der wurstete. Das hatte schon was Aufregendes. Aber was ist wahr an alledem? Ich kann es vorwegnehmen: eine ganze Menge.

Ein grauseliger Lebensweg

Wie soll man es nennen, was jetzt kommt? Abscheulich, bestialisch, fürchterlich, gruslig oder eben grauselig. Wahrscheinlich gibt´s noch mehr Ausdrücke dieser Art, wenn sie einem dann einfallen würden. Aber diese allein beschreiben schon trefflich sein Tun auf seinem Lebensweg.

Friedrich, der von allen Fritze genannt wurde, wurde 1879 in Hannover geboren. Sein Vater übte auf ihn einen harten und autoritären Erziehungsstil aus, von seiner Mutter wurde er verwöhnt und von seinem älteren Bruder sexuell missbraucht. Das sind keine guten Vorrausetzungen für ein gewöhnliches, normales Leben.

Zunächst machte er eine Schlosserlehre. Danach besuchte er die Unteroffiziersschule. Zu dieser Zeit soll es bei ihm zu Halluzinationen gekommen sein. Ein Sturz, so wurde vermutet, oder ein Sonnenstich könnte die Ursache sein.

Später arbeitete er unmotiviert in der Zigarrenfabrik seines Vaters. Während dieser Zeit wurde er von einer Nachbarin verführt, und er vergriff sich sexuell an Nachkriegskindern. Nach einem Verfahren wurde er in eine Heilanstalt überwiesen, in der bei ihm unheilbarer Schwachsinn festgestellt wurde.

Im Alter von 21 Jahren wurde er nach Colmar zum Militär eingezogen. Dort wurde bei ihm ein spezielle Art der Schizophrenie diagnostiziert, ein Grund um ihn in Rente zu schicken. So kam er nach Hannover zurück.

Wieder in der Heimat, versuchte er sich mit einem Fischgeschäft, ging aber bankrott. Dafür geriet er aber nun auf die schiefe Bahn, und dabei war er motivierter. Als Kleinkrimineller schlug er sich auf verschiedensten Gebieten durch, meistens auf der Leineinsel, die ein Sündenbabel war. Und im Hauptbahnhof von Hannover knüpfte er Kontakte zu Homosexuellen. Das waren meist Ausgerissene oder Heimkinder.

In den nächsten Jahren kam es dadurch zu immerhin 17 Verurteilungen. Gleichzeitig war Haarmann aber auch als Polizeispitzel tätig. Eine gewisse Cleverness ist ihm nicht abzustreiten.

Nachdem er den Ersten Weltkrieg im Gefängnis am Raschplatz verbracht hatte, zog er nach seiner Freilassung in die Calenberger Neustadt, einem Rotlichtviertel. Zunächst in die Neue Straße, dann in die Rote Reihe 2, gleich neben der frommen Neustädter Hof- und Stadtkirche. Nicht in die Nummer 8, wie es im Lied besungen wird. Das reimte sich nur besser.
Dort hatte er eine kleine Mansardenwohnung im Dachgeschoss. Und da sollten sich, nahe der Leineinsel, heute Hohes Ufer, grausige Dinge abspielen.

Fünf Jahre nach dem Krieg lernte er Hans Grans kennen. Der war 20 Jahre jünger als er und natürlich auch ein Kleinkrimineller. Über Jahre führten die beiden eine sexuelle Beziehung. In diesen Nachkriegsjahren lebten sie – zurzeit der Weimarer Republik – vom Kleiderhandel und dem von Fleischkonserven. Das war eine gute Voraussetzung für die späteren Morde, ließ sich doch mit beidem Geld machen. Und Fleisch stand Haarmann häufiger zur Verfügung.

Wie es zu dieser Zeit in Hannover aussah

Nicht rosig jedenfalls. Deutschland litt unter den riesigen Kriegsentschädigungen an die Siegermächte des Krieges. In Hannover, das am Verkehrsknotenpunkt zwischen Ost und West, Köln und Berlin und Nord und Süd, München und Hamburg liegt, war die Einwohnerzahl nach der Einführung der Eisenbahn explodiert. Waren es bis dahin 30.000, so waren es durch die Ansiedlung von großen Industrieunternehmen 100 Jahre später immerhin 470.000 Einwohner. Zum Beispiel wurden bei der Conti Produkte aus Gummi hergestellt, bei der Hanomag unter anderem 10.000 Dampflokomotiven. Diese Firmen benötigten Arbeitskräfte.

Haarmanns Radius beschränkte sich auf die Leineinsel und den Hauptbahnhof. Die Wartehalle war eine Zufluchtsstätte für Obdachlose, Kriminelle, Arbeitslose, elternlose Kinder und Ausreißer. Sie alle waren arm und hatten Hunger. Es muss ein einziges Elend gewesen sein. Es kam zu Gewalttätigkeiten. Auch von durchreisenden Soldaten, die traumatisiert waren. Kriminalität und Prostitution hatten Hochkonjunktur. Und wegen der Nahrungsmittelknappheit war es Alltagsgeschäft, dass verbotene Tierschlachtungen von Ziegen, Hunden und Katzen stattfanden. Zusätzlich uferte die Inflation aus.

(Der folgende Text ist nichts für schwache Nerven - Die Einzelheiten sind für die Öffentlichkeit beim Gerichtsprozess ans Licht gekommen.)

Das war also die damalige Situation, und das war ein „guter“ Nährboden für Haarmanns Aktivitäten, die mit Grans Unterstützung erfolgen sollten. Sie nutzten die Hilflosigkeit ihrer Opfer aus, nahmen sie mit in die Rote Reihe und boten ihnen gegen sexuelle Gefälligkeiten Unterkunft an. Die kleine Mansardenwohnung soll allerdings gar nicht düster gewesen sein, wie man es sich eigentlich vorstellt, sondern ausgesprochen gesellig. Als heiter wurde sie beschrieben. Es gab auch einen knapp zwei Meter breiten Wandschrank. In ihm bewahrte Haarmann nicht nur Süßigkeiten, Käse und Wurst auf, zum Locken geeignet, sondern für einige Zeit auch seine Leichen. Auch fanden in ihr Tauschgeschäfte von Hehlerwaren statt. Dazu sexuelle Orgien mit wechselnden Partnern. Und Haarmann verdiente sich zusätzlich Geld damit, indem er Fleisch und Sülze verarbeitete.

So lotsten nun also Haarmann oder auch Grans junge Männer, im Hauptbahnhof aufgegabelt, in die Mansardenwohnung in der Roten Reihe. Es kam zu den gewünschten sexuellen Kontakten, und bei Haarmann beim Geschlechtsakt zu einem unkontrollierbaren Rausch, bei dem er vollkommen die Beherrschung verlor. (Und nun wird’s richtig gruselig!) Er verbiss sich im Hals seiner Opfer. Das Durchbeißen des Adamsapfels mit gleichzeitigem Würgen und Erdrosseln sorgte bei den Ahnungslosen für einen grausamen Tod.

(Puh! Jetzt erstmal durchatmen. Aber es soll noch schlimmer kommen.)

Nachdem er neben der Leiche zusammengebrochen und eingeschlafen war, wachte er irgendwann wieder auf. Nun ging er ans Weidwerk. Bei einem Kaffee begann er damit, die Leiche zu zerstückeln. (Ich hoffe, der Kaffee schmeckt euch noch, solltet ihr gerade einen trinken.) Das Gesicht bedeckte er dabei mit einem Handtuch. Er öffnete die Bauchhöhle und holte die Eingeweide heraus. Die tat er in einen Eimer. Das Blut wischte er mit einem Handtuch auf, das teilweise durch die Bodenbretter triefte. Danach schnitt er den Brustkorb auf und holte zwischen den Rippen Herz, Lunge und Nieren hervor. Mit dem Schlachtebeil trennte er Arme und Beine ab und löste das Fleisch von den Knochen. (Vermutlich war das eine ziemliche Knochenarbeit. Daher auch der Name.) Die Darmschlingen zerteilte er in kleine Stücke und warf sie ins Klo. Mit dem Küchenmesser skalpierte er die Leiche und schnitt den Skalp in kleine Würfel. (Damit machte er seinem Namen alle Ehre. Ein wirklicher Haarmann.) Die Schädelknochen wurden mit Lumpen abgedeckt, da die Klopfgeräusche beim Zertrümmern des Schädels in der hellhörigen Wohnung von Nachbarn nicht wahrgenommen werden durften. Die übrig gebliebenen Reste warf er in die Leine oder entsorgte sie in der Eilenriede, wo einst ein anderer Massenmörder, der Räuber Jasper Hanebuth, sein Unwesen getrieben hatte. Aber das ist eine andere Geschichte, von der ich an anderer Stelle erzählen werde.
Haarmann berichtete später in der Vernehmung, dass sein Sexualtrieb immer stärker gewesen sei als der Ekel vor der Zerlegung und Beseitigung der Leichen.

Was die Nachbarn von alledem nun wirklich mitbekamen, lässt sich im Nachhinein nicht sagen. Aber bei den hellhörigen Wohnungen in der damaligen Zeit ist zu vermuten, dass nicht alles unbemerkt blieb. Außerdem profitierten sie von den Morden. Kleidungsstücke konnten günstig gekauft werden, was bei der extremen Inflation eine große Hilfe war. Wohl niemand fragte danach, woher die denn kämen. Und in der besseren Gegend der Neuen Straße, in der Haarmann zuvor gewohnt hatte, wurden die nächtlichen Hämmer-, Säge- und Klopfgeräusche wohl ignoriert. Auch auf das häufige Verlassen der Wohnung mit Eimern oder Paketen unterm Arm wurde er wohl nicht angesprochen.

Und was ist nun mit dem Verwursten der Leichen? Darüber kann nur spekuliert werden. Da Fritze mit Fleischkonserven handelte, ist es nicht unwahrscheinlich, dass er die Toten zu Wurst verarbeitet hat. (Na dann guten Appetit.) Bekannt ist auch, dass eine Nachbarin ein Lokal besaß und er dieser Fleisch verkaufte. Beweisen ließ es sich im späteren Prozess allerdings nicht.

Das bittere, wohlverdiente Ende

Der Prozess wurde im Dezember 1924 durchgeführt. Haarmann wurde für die Jahre 1918 bis 1924 für 27 Morde angeklagt. Es könnte aber auch sein, dass die wirkliche Zahl der Opfer deutlich höher lag, wurden doch in den chaotischen Verhältnissen dieser Zeit Vermisstenanzeigen oft erst später aufgegeben.
Und zum Sachverhalt wurde er nach Göttingen in eine  Psychiatrie geschickt. Dort wurde ihm in einem Gutachten eine volle Schuldfähigkeit attestiert.

Natürlich erregte der Prozess ein starkes Aufsehen, auch international. Kritisiert wurde dabei die Rolle der Polizei, hatte er dieser doch als Spitzel gedient. Und nach einem ersten Verdacht und der Durchsuchung einer früheren Wohnung in der Celler Straße, wurde dieser fallen gelassen. Haarmann erzählte beim Prozess, dass er den Kopf einer Leiche in einem Koffer aufbewahrt hatte, der wohl keine Beachtung fand.
Erst als mehrere Totenschädel in der Leine gefunden wurden, kam die hannoversche Polizei auf Touren. 100 infrage kommende Verdächtige wurden verhört und beobachtet. So kamen sie dem Serienmörder schließlich auf die Schliche.

Es war der 19. Dezember 1924, als Haarmann zum Tode verurteilt wurde. Er selbst wünschte sich, seinen Kopf unter das Fallbeil legen zu dürfen, damit er endliche seine Ruhe habe.
Und so sollte es auch geschehen. Es war der 15. April 1925, unbemerkt von der Öffentlichkeit. Im Gefängnishof am düsteren Raschplatz hinter dem Hauptbahnhof wurde er an einem frühen Morgen enthauptet. Der Kopf wurde einem Hirnforschungsinstitut in München zur Verfügung gestellt. Untersuchen ergaben, dass er irgendwann eine Hirnhautentzündung gehabt hatte, die zu Wesensveränderungen führen kann. Überlegungen, ihn im Institut für Rechtsmedizin in Göttingen auszustellen, wurden aber verworfen. Der Kopf wurde eingeäschert und anonym begraben. Vier Hirnschnittpräparate befinden sich aber noch in München, wo sie, nachdem sie verlorengegangen waren, 2016 wiederentdeckt wurden.

Das war also die böse Geschichte des Massenmörders Fritz Haarmann. In Hannover ist er nach seinem Tod im Laufe der Jahrzehnte – man kann es mögen oder nicht – zu einer Kultfigur geworden. Selbst auf dem Adventskalender mit vielen Stadtmotiven und bekannten Menschen hat er seinen Platz gefunden. Ob die Kinder und Jugendlichen der heutigen Zeit ihn allerdings noch kennen, das weiß ich nicht. Ich werde mal einige fragen. Aber wie dem auch sei:
 

Das Morden hatte endlich ein Ende!



Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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