Über ein Modeaccessoire, das eigentlich keines ist: Das „Palituch“

Vom politischen Symbol zum Trendaccessoire | Foto: http://images.google.de/imgres?imgurl=http://img154.imageshack.us/img154/5730/5747857143d7ec903oyx2.jpg&imgrefurl=http://cairopost.blogsome.com/&h=606&w=606&sz=228&hl=de&start=5&usg=__UqT3A-l5PzywfUlhu4DO29HeFoI=&tbnid=ufdLfeZoZQFw4M:&tbnh=136&tbnw=136&pr
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  • Vom politischen Symbol zum Trendaccessoire
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Wie das mit Modetrends so ist: Und irgendwann hat sie dann jeder. Chucks, Vans, Totenkopf-Prints und eben diese schwarz-weißen Schals.
Aber das Palästinensertuch ist mit einem wortwörtlich „fundamentalen“ Unterschied behaftet: Im Gegensatz zu anderen Modeaccessoires hat es eine politische und historische Geschichte, und die ist mindestens ebenso verwickelt und kompliziert wie das gemusterte Geflecht seiner Baumwollfasern.

Die „Kufiya“, wie das Palästinensertuch eigentlich heißt, ist ursprünglich nie als kuscheliger Schalersatz für europäisches Herbstwetter gedacht gewesen, sondern als Schutz gegen die Sonne in arabischen Ländern. Dort wurde sie zunächst im Irak von Beduinen und sesshaften männlichen (!) Bauern getragen. Doch 1939 wurde die Kufiya erstmals zwangsweise für alle Iraker eingeführt – Nicht als Modediktat, sondern als zu politischen Zwecken . Nach einem Putsch des faschistischen Muftis von Jerusalem galt sie als Zeichen des Widerstands gegen die Briten und Zionisten und als Symbol der Einheit aller Palästinenser.
Deshalb wurde die Kufiya zum „Palästinensertuch“, welches später auch von Jassir Arafat, dem Führer der Fatah, getragen wurde. Die Fatah-Gruppierung richtete sich gegen die Kolonial- und Imperialmächte des Westens (sprich die Länder, in denen Jugendliche heute zuhauf mit „Palitüchern“ unterwegs sind) und führte einen Guerillakrieg gegen die israelische Bevölkerung.

Den Sprung an die westlichen Hälse schaffte die Kufiya in der Zeit der deutschen 68er Bewegung. Diese linke Jugendbewegung (bekannt auch als „außerparlamentarische Oppostion“ bzw. APO), die sich gegen die USA und das spießige Establishment des Nachkriegsdeutschlands richtete, sah darin so etwas wie ein Zeichen des Widerstands, einen Hauch Revoluzzertum und ausserdem war das schwarz-weiße Tuch praktisch um sich bei Demos warm zu halten und sein Gesicht zu verdecken.
Die extremste Form dieses Studentenprotests wird momentan auch als Film in den Kinos gezeigt: Wer in Uli Edels Dokumentarthriller „Der Baader-Meinhof-Komplex“ etwas genauer hinsieht, wird bemerken, dass sowohl die RAF-Terroristen als auch die jordanischen Guerillakämpfer mit Palästinensertüchern ausstaffiert sind.

Paradoxerweise findet das „Palituch“ später, etwa seit 1990, in Deutschland nicht nur bei links-, sondern auch bei rechtsradikalen Aktivisten Verwendung . Das Phänomen, dass sich rassistische Gruppierungen, Rechtradikale oder Neonazis bei den Symbolen der linken Bewegung bedienen, ist nicht ganz neu. Der Versuch, die Grenze zwischen links und rechts zu verwischen wird auch mit dem Stichwort „Querfront“ bezeichnet und hat seine Wurzeln schon in der Anfangszeit des Dritten Reichs (geprägt wurde der Begriff von General und Exreichskanzler Kurt von Schleicher). Als plausibler Erklärungsansatz kann die Überlegung dienen, dass extreme Rechte und Linke heutzutage, zumindest oberflächlich betrachtet , in einigen Bereichen ähnliche Ziele haben: Sowohl extreme Neonazis als auch Linke sind meist USA-kritisch, stellen den Volksgedanken über den Individualismus, sind in Opposition zu Imperialismus und Kapitalismus und beide Lager sehen sich als Revolutionäre. Um beim Palästinensertuch zu bleiben, kann man sich über den „Querfont“-Ansatz hinaus leicht vorstellen, was die heutigen Neonazis daran anziehen finden: Die rechtsextreme Szene identifiziert sich mit dem Kampf der Palästinenser gegen die jüdische Bevölkerung. Dabei sieht sie vor allem den Antisemitismus und den „Kampf gegen den „Rassenfeind im eigenen Land“ im Vordergrund. Ganz nebenbei passt der Revoluzzer-Touch des „Palituchs“ auch zum randalierenden Neonazi und die Vorteile des großen Bauwolltuchs sind bei rechten Demonstrationen dieselben wie bei linken.

Eigentlich wäre die wechselhafte Geschichte der Kufiya damit hinreichend abgedeckt, wenn sie nicht mittlerweile eine ganz andere Wendung genommen hätte.
Nicht nur Christian Dior, auch andere Laufsteg-Designer haben das Tuch wieder entdeckt – als Modeaccessoire. Auch bei Billigketten wie H&M oder C&A ist es mittlerweile in verschiedensten Farben und Designs zu kaufen. Das wiederum hat einen ironischen Beigeschmack. Warum? Noch 2002 wurde von der „Jungen Linken“ bzw. den „JungdemokratInnen“ auf Demos in Berlin ein Flugblatt mit dem Titel „Coole Kids tragen kein Palituch“ verteilt, das mit folgenden Worten endete: „Das Palituch ist die Geschichte einer linksradikalen Verirrung oder eines Irrtums. Es ist Zeit, diesen Irrtum zu erkennen und in Zukunft einen Schal von H&M, C&A oder von Vati gestrickt zu tragen.“

Mittlerweile können es sich die Jugendlichen selber raussuchen, ob sie Vatis/Mamis altes 68er-Accessoire aus der Jugenderinnerungs-Kiste wühlen oder bei einer großen Textilkette ein neues „Palituch“ mit rosa Sternchenmuster kaufen.

Der Massentrend hat die ehemalige Kufiya längst geschluckt – ob das Palästinensertuch dadurch allerdings zu einem entpolitisierten Kleidungsstück geworden ist, dass muss jeder selbst mit sich und seiner Wintergarderobe ausmachen.

Bürgerreporter:in:

Maria Birkmeir aus Donauwörth

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