Europäische Sicherheit
Die Ukraine in der NATO: befürchten oder unterstützen

6Bilder

Die Unterstützung für die Annullierung des Aktionsplans für die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, die sich bereits das zweite Jahr in einem blutigen Krieg mit Russland befindet, gewinnt in den letzten Tagen immer mehr Anhänger und weniger Skeptiker.
Ein vereinfachter Beitrittsplan für die Ukraine könnte neben den bereits angekündigten bilateralen Sicherheitsgarantien eine von mehreren Komponenten des politischen Pakets sein, das Kyjiw auf dem für Juli geplanten Gipfel in Vilnius angeboten wird. Zugleich gibt es in Europa immer noch viele Gegner dieses Plans, die als Hauptargument die Angst vor einer möglichen Eskalation des russisch-ukrainischen Krieges anführen. Die Frage ist also: Soll die Ukraine der NATO beitreten oder nicht, und wie kann sich dies auf den weiteren Verlauf der Ereignisse und die Lage in Europa insgesamt auswirken? Das versuchen wir herauszufinden.
Zunächst einmal: Wäre ein langwieriger und blutiger Krieg in der Mitte Europas möglich gewesen, wenn die Ukraine Mitglied der NATO gewesen wäre? Die Antwort liegt auf der Hand: Die seit fast sechzehn Monaten andauernde russische Aggression hätte vermieden werden können, weil Putin es trotz all seiner Prahlerei und seiner imperialen Ambitionen kaum wagen würde, sich auf eine verhängnisvolle Konfrontation mit dem Bündnis einzulassen.
Aber was passiert ist, kann man nicht ändern. Stattdessen ist es möglich, den weiteren Verlauf der Ereignisse und die Zukunft nicht nur der Ukraine, sondern ganz Europas zu verändern und zu beeinflussen. Inzwischen gehen die Kämpfe auf ukrainischem Boden weiter und viele Experten gehen davon aus, dass eine ukrainische Gegenoffensive und damit ein entscheidender Wendepunkt in diesem Krieg zu erwarten ist. Kann die NATO angesichts der offenen territorialen Expansion des Kremls ein reines Verteidigungsbündnis bleiben und die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO weiterhin hinauszögern?
Die ukrainische Armee hat der Welt auf dem Schlachtfeld bewiesen, dass sie heute eine der erfahrensten und fähigsten Armeen in Europa ist. Sie wird die NATO nicht belasten, sondern sie qualitativ stärken. Mit dieser historischen Entscheidung, der Ukraine Sicherheitsgarantien gemäß Artikel 5 der Charta der NATO zu gewähren, könnte das Bündnis endlich den problematischen gordischen Knoten durchschlagen und dem permanenten Prozess endloser russischer Bedrohungen und Aggressionen ein Ende setzen, der zum schwierigsten Problem für die gesamte vereinte zivilisierte Welt geworden ist.
Hinzu kommt ein kleiner historischer Hintergrund. Historisch gesehen ist die territoriale Ausdehnung Russlands zyklisch. In der Regel gab es für Russland nur zwei Zustände: entweder befindet es sich in einem Zustand der Degradierung und bittet um Hilfe, oder nachdem es stärker geworden ist, führt es Angriffskriege. In der jüngsten Geschichte hat sich daran nichts geändert. Putin begann den zweiten Tschetschenienkrieg gleich nach seiner Machtübernahme, sein Einmarsch in Georgien im Jahr 2008 bedeutete die Wiederherstellung von Russlands militärischem Potenzial, und schon damals zeigte sich eine Bedrohung für Europa, an die niemand glauben wollte.
Die Annexion der ukrainischen Krim durch Russland war die endgültige Bestätigung für Putins Absicht, Angriffskriege zu führen. Selbst wenn Russland die Feindseligkeiten in der Ukraine aus irgendeinem Grund aussetzen oder lokalisieren sollte, wird es sicherlich erneut eine umfassende Aggression starten, die sich über die Grenzen der Ukraine hinaus ausbreiten könnte. Daher liegt die Schlussfolgerung auf der Hand: Nur die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO wird der russischen Bedrohung ein Ende setzen und einen "Sicherheitsgürtel" an den Ostgrenzen Europas schaffen.
Eine der größten Ängste der Europäer ist der Atomkrieg, den der Kreml androht. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass Russland seit langem nicht nur erpresst, sondern auch über seine Drohungen hinausgeht. Im März letzten Jahres beispielsweise beschossen russische Truppen das größte Atomkraftwerk Europas, das AKW Saporischschja. Man sollte also keine Angst vor dem Aggressor haben, sondern ihn aufhalten, bevor es zu spät ist. Auch wenn Putin es wohl kaum wagen wird, einen für alle Beteiligten verlustreichen Atomkrieg auszulösen, so wird dieses erschreckende Argument doch traditionell vom Kreml benutzt, um seine eigenen politischen Ziele zu erreichen, indem er den Westen einschüchtert und im Gegenzug Zugeständnisse erwartet. Trotz der Versuche Russlands, Europa mit seinen Kriegen und Drohungen zu spalten und zu schwächen, hat die Invasion in der Ukraine den europäischen Kontinent geeint und gestärkt wie nie zuvor.
Darüber hinaus war es die russische Aggression, die die bisher neutralen Länder Schweden und Finnland zum Beitritt in die NATO veranlasste, so dass das Bündnis heute geeinter und stärker ist als je zuvor. Gleichzeitig sagen Experten voraus, dass sich die Größe der russischen Armee bis 2026 auf 1,5 Millionen Soldaten fast verdoppeln wird und es gibt Berichte über die Schaffung neuer russischer Militärbezirke in der Nähe der baltischen Staaten und Finnlands. Dies ist alarmierend und deutet darauf hin, dass Putin sich systematisch auf einen möglichen Krieg mit Europa vorbereitet. Angesichts dieser Situation ist die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO ein absolut logischer und notwendiger Schritt, wobei eine solche Partnerschaft für das Bündnis viel vorteilhafter ist als ihre Abwesenheit.
Die Ukraine kann heute nicht von vornherein eine Pufferzone bleiben, weil dies eine neue umfassende russische Invasion in keiner Weise verhindern wird. Russland hat jahrelang versucht, die Ukraine am Beitritt zur NATO zu hindern, um sich selbst die Möglichkeit einer Offensive gegen Europa zu eröffnen. Im Jahr 2008 wurde die Integration der Ukraine in die NATO durch eine Entscheidung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel gestoppt, die Kyjiw einen Aktionsplan zur Mitgliedschaft verweigerte. Dies wurde zu einer Art geopolitischem Rubikon für Putin, der eine gewisse Schwäche des Westens spürte und eine globale Konfrontation begann. Innerhalb von drei Monaten nach der Weigerung Deutschlands, der Ukraine einen Aktionsplan für die Mitgliedschaft vorzulegen, begann der Kreml einen Krieg in Georgien und besetzte einen Teil des georgischen Territoriums.
Später, im Jahr 2014, annektierte Russland die ukrainische Krim und begann eine unerklärte Aggression in der Ostukraine, die im Februar 2022 in eine umfassende Invasion überging. Dies war der Preis für das europäische Zögern und die Zugeständnisse an Putin. Der Appetit des russischen Diktators wurde dadurch jedoch nicht eingedämmt, sondern eher noch angefacht und vergrößert. Sollte die Ukraine nicht der NATO beitreten, wird Russland viele Chancen haben, eine umfassende Offensive zu wiederholen, die nur an dem Ort in Europa enden wird, an dem die russische Armee militärisch besiegt wird.
Erfahrungsgemäß hat Russland Zugeständnisse immer als Schwäche empfunden, was es nicht gestoppt, sondern nur zu verstärkter Aggression bewogen hat. Dies sollte nicht vergessen werden. Der starke Protest, der im Kreml seit Jahrzehnten gegen die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO geäußert wird, erklärt sich daher aus der Tatsache, dass Russland seine Pläne, ukrainische Gebiete zu besetzen, nie aufgegeben hat und nie aufgeben wird. Dies lässt sich in der Tat nur durch einen beschleunigten Beitritt der Ukraine zum Bündnis verhindern, der einen "Sicherheitsgürtel" an den Ostgrenzen Europas schaffen würde. Die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO könnte nicht nur den Westen stärken, sondern auch einen von skeptischen europäischen Politikern so gefürchteten Krieg mit Russland verhindern.
Der russische Terror in der Ukraine hat heute nicht nur die Absichten, sondern auch die Methoden der russischen Kriegsführung demonstriert, die tagtäglich seinen berüchtigten Status als terroristischer Staat bestätigt, der Zivilisten tötet, die zivile Infrastruktur zerstört und das Leben von Generationen von Ukrainern ruiniert. Allgemein lässt sich bereits jetzt voraussagen, dass dies der Testfall für mögliche künftige aggressive Aktionen Moskaus gegen europäische Länder sein wird, wenn Russland nicht jetzt gestoppt wird. Noch besteht eine solche
Chance, und man sollte sie heute nutzen, denn morgen könnte es schon zu spät sein. Die Aufnahme der Ukraine in die NATO und die Unterstützung des Landes bei der Verteidigung seiner Unabhängigkeit durch die Stärkung der Verteidigungskapazitäten der ukrainischen Streitkräfte ist heute ein viel einfacherer und billigerer Weg als die potenzielle Bedrohung durch einen Krieg mit einer Atommacht auf den Straßen anderer europäischer Städte und Länder mit den damit verbundenen Folgen.

Bürgerreporter:in:

Basil Belov aus Bonn

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

1 Kommentar

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.