Wie war das noch .... z.B. mit Franz Högemann und seinen vielen Geschäften?

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Erinnerungen

Wie war das noch …
zum Beispiel mit Franz Högemann
und seinen vielen Geschäften?

Kürzlich brachte meine Frau mir von einem Bummel
durch die Innenstadt eine neue Hose mit – so eine für
alle Tage, eine Jeans. Ich saß gerade hochkant am
Schreibtisch und plagte mich mit dem Text für eine
neue Geschichte ab, in der auch der Name Högemann
vorkam. Er wurde so nebenbei erwähnt, und nur als ein-
zelne Blume in einem großen Strauß anderer Namen.
Mich hatte der Name inwendig aber wohl so richtig zu
fassen, denn sie hatte die Hose noch gar nicht ausge-
packt, da fragte ich schon wider mein Wissen: Hast du die Hose bei Högemann gekauft? Denn ich wußte ja, bei Högemann sind 1985 die Lichter im letzten Geschäft für alle Zeiten erloschen.
Franz Högemann selber hat diesem Moment noch 16 Jahre hinterher trauern können, denn 2001 stand schon im Kalender, als er im biblischen Alter von 101 Jahren seiner Stadt, seinem Wilhelmshaven endgültig Adschüß gesagt hat.
Er war in Seele und Herz mit den Menschen - die zumeist ein ungewisses Schicksal hierher getrieben hatte – verwachsen. So ein bisschen schimmerte wohl sein Leben lang die Charakterfarbe seines Vaters bei ihm durch, der zu der Zeit in Heppens als ‚Ehrenamtlicher Bürgervorsteher’ fungierte.
Als Franz 1900 den ersten Schrei seines Lebens in die Wilhelmshavener Luft schickte, da hat sich vielleicht das ausklingende Jahrhundert ein wenig ob der Lautstärke erschrocken, es konnte von des Kaisers Untertanen noch niemand ahnen, dass dieser Schreihals 27 Jahre später an der Ecke Göker- Bismarckstrasse im Hause seiner Eltern ein Licht anzünden würde, das als eine helle Leuchte 68 Jahre die Menschen hier an der Küste durch die Zeit begleiten sollte. Auch der größte Schicksalssturm hat es in den fast sieben Jahrzehnten nicht geschafft, das Licht auszublasen. Die Högemanns lebten den festen Glauben, Gott hielte seine schützenden Hände um die Flamme ihres Lichts.
Wilhelmshaven hatte nun sein Modezentrum bekommen.
Ganz gleich von welcher Seite die Menschen das Wil-
helmshavener Herz auch ansteuerten – dem Bekleidungs-
geschäft Högemann konnte niemand aus dem Wege gehen.
„Högemann zieht alle an“ war plötzlich als Werbespruch
überall in der Region zu lesen. Die Einwohner der Stadt, und
die Bevölkerung von weit um zu wurden von Franz Högemanns Modehaus magisch angezogen und waren, wenn sie das Haus wieder verließen, von bestens ausgebildeten Verkäuferinnen und Verkäufern modisch angezogen. Als Modistin oder Schneider bei Högemann in Wilhelmshaven angestellt zu sein, war fast gleichzusetzen mit einer Anstellung als Kammerzofe oder Hofschneider in einem Adelshaus. Franz Högemann legte nämlich nicht nur bei sich, sondern auch bei seinen Bediensteten allergrößten Wert auf Gediegenheit und fundierten Sachverstand.
Das hatte sein Lehrmeister Leffers mit Sicherheit schon erkannt, als er Franz bat, nach Abschluß seiner Ausbildung in seinem Geschäft zu bleiben. Der alte Baas aus der Textilwelt hat wohl gespürt, dass, wenn er diesen jungen Kerl von der Leine ließe, ihm eine große Konkurrenz in der Stadt erwachsen würde.

Wie richtig er mit seinem in-wendigen Fühlen lag konnte
bald Jeder sehen. Sogar in der Residenz – in Oldenburg –
fasste Franz Högemann mit einem eigenen Modehaus
Fuß. Im Denken einiger Leute von damals grenzte ein sol-
ches Tun schon fast an ‚Majestätsbeleidigung’ des Platzhirsches. Das hat er zu spüren bekommen, trotzdem oder vielleicht gerade weil sogar der Kapellmeister in de Hardes Strandhalle am Südstrand das laufende Musikstück unterbrach, wenn er Franz Högemann bemerkte, und stattdessen den Högemann Walzer spielen ließ – zu dem die anwesenden Gäste dann kräftig mitsangen: „Högemann geht mit der Zeit – das weiß doch Jeder weit und breit.“
Franz Högemann umwehte zeitlebens ein wenig der Duft der großen weiten Welt – womit ein großer Tabakwarenkonzern später einmal die ‚Peter Stuyvesant’ bewarb. Der gleiche große Konzern hat übrigens Jahre später unbedenklich – und kostenlos natürlich - Franz Högemanns „Let’s go to Högemann“ der frühen Jahre als „Let`s go West“ in sein Programm übernommen.
Auf jeden Fall spielte es keine Rolle, was in dem jeweiligen Saal oder Etablissement gerade abging – wenn Franz Högemann das Parkett betrat, dann hatten die Menschen das Gefühl, der König ist da – oder das Licht scheint plötzlich heller.
Franz Högemann war ein Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle.
Wenn ich so an der Vergangenheit vorbeischaue – soweit ich ihn kennen gelernt habe – sehe ich eine farbige Mischung aus Genialität, in dem was die Menschen wollten, und Aufrichtigkeit und Mitfühlen wenn es einem anderen schlecht und bedauernswert ging.
Der Schalk saß ihm zudem ständig im Nacken und hat unablässig dafür gesorgt, dass sich niemand die Seele verbiegen mußte, um zu ihm aufzuschauen. Obwohl er ja ein stattlicher Kerl war.
So etwas kann auf diese Art keinem beigebracht werden - Mensch ist so, oder ist es nicht.
Die globalen Völkerstreitigkeiten bis Mitte der vierziger Jahre hatten zur Folge, dass Franz Högemanns Werk zu Beginn der neuen Zeit in Trümmern lag.
Wer nun denkt, Franz Högemann lag genauso in Stücke zerschlagen am Grunde seiner Stadt, der denkt die falsche Seite entlang.
1940 hatte Franz nämlich das persönliche Glück, seine
Rosel kennen zu lernen, die ihm noch im selben Jahr das
Jawort gab, und die ihm bis zu seinem Tode in hohem
Alter stets eine feste Stütze war.
Seine Rosel hat das Ruder von Högemanns Schiff immer
fest in ihren Händen gehalten, auch wenn der Sturm des
Alltags wieder mal sämtliche Segel fortgerissen hatte.
Dabei hat sie ihm noch 5 Kinder geschenkt, die ihnen das
Durchkommen durch die Zeit gewiß nicht erleichtert haben –
trotz aller Dankbarkeit für diese Gottesgeschenke.
Weil Franz oft die Notwendigkeit erkannte, einem Menschen
zu helfen, wechselte so manche Hose oder Jacke den Besitz-
er, ohne dass das dafür eigentlich notwendige Geld in die La-
denkasse floss,
In geschäftlich kritischen Zeiten konnte Franz immer wieder zu Hause bei seiner Rosel Kraft für den nächsten Tag schöpfen.

Die beiden haben nach demDesaster der Zerstörung im
2ten Weltkrieg wieder gemeinsam die Ärmel hochgekrem-
pelt, in die Hände gespuckt und auf einem Trümmergrund-
stück in der Marktstrasse ein
neues Modehaus errichtet. ‚Michael & Hannelore’ stand
nach dem Weggang Högemanns aus der Marktstrasse
noch eine geraume Weile dort an der Fassade zu lesen.
Zu dem Ereignis hätte Welt auch laut singen können: „Aus Ruinen neu erstanden“. Das hat hier wahrscheinlich damals niemand getan, obwohl die Menschen froh waren, wieder ein ‚Högemann’ zu haben, in dem sie kaufen konnten und nicht nur das Schild mit dem Namen drauf, an der Stelle, an der das alte Högemann gestanden hatte.
„Feldgrau ist passé – Khaki kommt, juchhee …“ Gesagt hat es damals wohl niemand hier und um zu, aber gleichwohl war es so.
Und Franz Högemann wußte es – er hatte die Nase dafür. Er hat damals schon gewusst, dass die Baumwollpflückerhosen aus Louisana in kurzer Zeit überall in der Welt als Allroundhosen getragen würden.
Wenn nun jemand fragt: „Allroundhosen – was ist das denn?“ der mag nur an sich herunterschauen. Wenn seine Beinkleider denn Jeans heißen, dann weiß er auch, was Allroundhosen sind. Die konnte man in Wilhelmshaven als Original Lewis und Wrangler tatsächlich zuerst bei Högemann kriegen – und das auch noch zu einem ausgesprochen zivilen Preis.
Original und in bester Ausführung bekam Jeder über das ganze Jahrhundert hinweg noch etwas anderes bei Högemann – kostenlos und ‚aufzu’: Menschlichkeit, Mitfühlen und Sorgenverstehen.
Eine Begebenheit dieser Art muß ich hier einfach noch einmal aus der Schublade des Vergessens ans Licht holen.
Zwei kleine Menschenkinder – ein Mädchen von
etwa zehn Lenzen und ihr jüngerer Bruder – standen
in einer Zeit, in der große Teile der Wilhelmshavener
Einwohner wieder einmal sehr unter Wirtschafts-
asthma litten – schüchtern in Högemanns Laden,
direkt neben der großen gläsernen Eingangstür. Sie
trauten sich, scheinbar aus Angst auch hier abgewiesen
zu werden, keinen Schritt weiter in den Laden hinein.
Trotz der vielen Kunden waren sie Franz Höge-
mann aufgefallen. Er bat sie mit liebevollen Wor-
ten zu sich an den Tresen und versuchte zu ergrün-
den, welche Last den Beiden das Herz schwer machte.
Es dauerte eine Weile bis das Mädchen bereit war,
dem geduldig wartenden Menschen vor ihnen
davon zu erzählen. „Unser Papa hat Geburtstag … und wir möchten ihm gerne einen Schlips schenken, weil … der alte ist überhaupt nicht mehr schön … und Mama gesagt hat, dass für einen neuen Binder noch kein Geld über ist …“
Die beiden hielten jeder eine Hand ganz fest zu einer Faust geschlossen.
„Wir waren schon da und da und da …“ - dabei zählte sie eine Reihe von Geschäften in der Nachbarschaft auf – „aber die waren alle zu teuer für uns … wir konnten doch nur zwei Mark sparen.“
Als sie das sagte, öffneten sich die beiden Fäuste, in denen jeweils ein blankes Markstück lag. Und wie die Geldstücke im Licht, so blenkerten auch ein paar Tränen in den vier Kinderaugen.
Franz Högemann langte hinter sich zur besten Krawattenreihe und forderte die beiden auf, für ihren Papa den schönsten Schlips herauszusuchen. Ein feines Seidentuch für die Mama legte er noch obenauf, bevor er eigenhändig die Sachen in Geschenkpapier einschlug. Abschließend strich er den Kindern zärtlich übers Haar, und forderte sie auf, die zwei Mark zuhause wieder in ihre Spardose zu stecken, damit sie da richtig groß würden.
Franz Högemann selber hat nie davon erzählt – für ihn war es ganz normal.
Aber ich denke, wenn er in den letzten Jahren seines langen Erdenweges des Abends in der Lilienburgstrasse neben seiner Rosel auf dem Sofa saß und mit der Hand sanft über ihre kleinen Füße strich, die auf seinem Schoß lagen, schaute er sicher häufig längs der Tiefen und Höhen von einhundert Jahre Högemann. Zufrieden damit, dass er es so und nicht anders gemacht hat – auch, oder gerade dann, wenn mal wieder Irgendjemand ein großes Loch in die Planken seines Lebensschiffes gerissen hatte.

ee

Bürgerreporter:in:

Ewald Eden aus Wilhelmshaven

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