Der Die Das Radegast

So soll Radegast, der Kriegs- und Sonnengott, dargestellt worden sein (Zeichnung: M. Krause)
4Bilder
  • So soll Radegast, der Kriegs- und Sonnengott, dargestellt worden sein (Zeichnung: M. Krause)
  • hochgeladen von Matthias Krause

Der Fluss, die Ortschaft(en), das tschechische Bier, ein gar nicht so seltener Nachname - vor allem aber eine slawische Gottheit, die in unserer Gegend verehrt wurde. Vor ein paar Tagen (im Sommer 2008) habe ich mal zusammengetragen, was darüber zu erfahren ist.
Viel Spaß beim Lesen!

Radegast – Historisches und Legendäres eines Slawengottes

1. Vorbemerkungen

2. Die Slawen

3. Die slawische Gottheit Radegast

4. Radegast, Petermännchen und Martensmann

5. Nachbemerkungen

1. Vorbemerkungen

Wer in unserer Gegend Rehna / Gadebusch wohnt, dem begegnet zwangsläufig immer wieder der etwas unheimlich klingende Name Radegast. Zunächst ist da unser 24 km
kurzes Flüsschen, welches in zwei Quellen östlich und westlich des gleichnamigen Dörfchens bei Krembz entspringt. Es schlängelt sich mäanderreich durch Gadebusch über Rehna nach Börzow und mündet dann in die Stepenitz, bevor, beide vereint, über den Dassower See die Ostsee erreichen. In Gadebusch durchfließt sie den Neddersee. In Rehna wurde sie schon gegen 1150 zum Mühlenteich angestaut.
Als Ortsname kommt "Radegast" - neben dem schon bereits genannten Dörfchen bei Gadebusch - auch als Kleinstadt in Sachsen Anhalt, als Ortsteil der Stadt Dahlen in Sachsen, als Ortsteil von Bleckede im Landkreis Lüneburg und als Dörfchen bei Satow in der Nähe von Bad Doberan vor. Auch als Personennamen tritt Radegast natürlich auf. Zu einer gewissen Berühmtheit brachte es der Lehrer, Schriftsteller und Verlagslektor Wolfgang Rohner- Radegast (1920-2002).

Schließlich und ursprünglich ist Radegast eine slawische Gottheit. Um diese soll es in meinem Aufsatz nun auch gehen. Um die Bedeutung dieses Gottes deutlich zu machen, möchte ich zuvor einen kurzen Überblick über die Siedlungsgeschichte der Slawen vermitteln, welche ja dann von den Deutschen verdrängt wurden bzw. sich mit ihnen vermischten.

2. Das Volk der Slawen

Slawen: wohl von „Slowo“ – das Wort / oder von „Slawa“ – der Ruhm / oder vom slawischen Stamm „Slo“- „Sla“ – für Wasser, d.h. „Menschen vom Wasser“

Die Slawen sind neben den Germanen und den Romanen eine der Hauptgruppen der indoeuropäischen Sprachfamilie, vor allem in Osteuropa. Staaten mit mehrheitlich slawischer Bevölkerung sind Russland, die Ukraine, Weißrussland, Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien, Montenegro, die ehem. jugoslawische Republik Mazedonien sowie Bulgarien. In Deutschland gibt es die slawische Minderheit der Sorben in der Lausitz.

In der Zeit der Völkerwanderung besiedelten die sogenannten Elb- und Ostseeslawen ab dem 6. Jahrhundert auch unser Gebiet: nördlich von Lübeck die Wagrier, im Bereich Wismar / Schwerin die Obotriten (die Stepenitz als westliche Grenze) und mit Hauptburg in Ratzeburg die Polaben, zu deren Gebiet auch Schönberg, Rehna und Gadebusch gehörten (nach Hans Witte, Mecklenburgische Geschichte Band I, S. 9).

Das Volk der Slawen lebte in kleinen Walddörfern. Sie ernährten sich von der Jagd und vom Fischfang, betrieben Ackerbau und Viehzucht, unternahmen auch Beutezüge in deutsche und dänische Gebiete einschließlich Seeräuberei. Sie wurden von Historikern jedoch immer wieder als friedliebend, gastfreundlich und sangesfreudig geschildert.
Nachdem die Germanen bis zum 5./6. Jahrhundert Mecklenburg so gut wie bevölkerungsleer hinterlassen hatten, siedelte dieses Volk, (in Sippen und Stämmen untergliedert), etwa 400 Jahre lang ungestört in unseren Breiten.
Von Natur aus kein kriegerisches Volk, richteten sie ihr Bestreben lediglich auf Erhaltung des Besitzes. Zum Schutz desselben dienten hölzerne Befestigungen („grad“). Die Einwohner eines Ortes bildeten eine blutsverwandte Sippe, deren Mitglieder einen gemeinsamen Namen trugen, gemeinschaftliches Gut besaßen und unter einem gewählten Ältesten standen. Aus mehreren solchen Sippen bildete sich der Stamm, an dessen Spitze das Stammesoberhaupt (Anführer im Krieg) stand. Die Religion war, wie bei den übrigen Indoeuropäern, eine Naturreligion. In den Naturerscheinungen, besonders den Phänomenen des Himmels, sah der Slawe wirkliche Wesen, wohltätige und zerstörerische. Sie verehrten einen höchsten Gott, den Urheber des Himmels und der Erde, des Lichts und des Gewitters, sein Name war Swarog (der Glänzende). Seine Söhne waren die Sonne und das Feuer. Der Sonnengott (Daschborg, Dazbog, Dabog)) war auch Kriegsgott, bei den Elb- und Ostseeslawen bekam er später den Namen Radegast (auch Radigast oder Radigost). Daneben existierten zahlreiche weitere Götter. Als mythologische Wesen niederen Ranges gab es die Wilen und Rusalken, Haus- und Feldgeister. Die Gunst der Götter und deren Schutz suchten die Slawen durch Gebet und Opfer zu erlangen. Letztere bestanden im Verbrennen von Rindern und Schafen auf Bergen und in heiligen Hainen, wo sich auch Götterbilder befanden. Vereinzelt gab es Tempel mit Priestern. Ansonsten oblag den Stammesältesten die Ausübung des Kultes. Wichtige Feste waren Winter- und Sommersonnenwende. Die Slawen glaubten an die Unsterblichkeit der Seele, welche nach dem Tod in ein als schöne Wiese gedachtes Paradies kommt.

Auf dem Reichstag in Goslar erhielt 1154 Heinrich der Löwe von Kaiser Friedrich I, Barbarossa die Vollmacht „im ganzen Lande der Slawen, soweit er selbst oder seine Vorfahren es mit dem Schwerte und nach Kriegsrecht unterworfen hatten, Bistümer zu gründen, zu verleihen und zu bestätigen“. Damit war die politische Voraussetzung geschaffen, die betreffenden slawischen Gebiete ins sächsische Herrschaftsgebiet einzugliedern. Dieses wurde sowohl mit kriegerischen als auch mit politischen Mitteln nach und nach vollständig erreicht. Von der slawischen Sprache rutschte nichts ins
Plattdeutsche. Auch die ohnehin wenig entwickelten wirtschaftlichen und kulturellen slawischen Dinge und Gegebenheiten fanden keine Fortsetzung in der Zukunft.
Nur noch zahlreiche Orts, - Flur- und Familiennamen sind slawischen Ursprungs, gut zu erkennen an den Endungen „in“ (Benzin, Gammelin …) und etwas jünger „ow“ (Bülow, Carlow …). Letztere Endung zeigt auch deutlich die Verbindung zu den o.g.
slawischen Orts. und Familiennamen in Osteuropa, die dort bekanntlich in „ow“, owa, „ov“ und „ova“, „ev“ … vorkommt. Die Slawen wurden landläufig auch Wenden genannt (Niederschlag in Ortnamen wie Wendorf, Wedendorf, Wendisch Waren).

Zurück zum Eindringen der Deutschen in Mecklenburg. Nachdem sie die Überhand gewonnen hatten, machten sie sich im ganzen Land breit. Sie brachten manch nützliche Neuerung mit. Die hölzernen Pflüge ersetzten die Deutschen durch Eisenpflüge. Von nun an konnte man auch den schwereren und fruchtbareren Boden bearbeiten. Statt mit Holz und Lehm bauten sie mit Ziegelsteinen (zunächst die Kirchen und Klöster); die Häuser waren so haltbarer und wärmer. Unbarmherzig aber rotteten sie alles aus, was ihrer Lebensart widersprach; und sie taten es im Namen des barmherzigen Christengottes. Nachdem immer wieder christliche Priester die Bekehrung der sogenannten Heiden versucht hatten, siegte die Gewalt letztendlich und die Slawen wurden christianisiert.

3. Die slawische Gottheit Radegast

Wie schon im vorigen Abschnitt gesagt, war Radegast der Sohn des obersten Slawen-
gottes Swarog. Er war der Sonnen- und Kriegsgott und hieß ehemals Svarozic (ausge-
sprochen Swaroschitsch), dieser Name kann mit „Sohn des Svarog“ übersetzt werden.
Bei den Elb- und Ostseeslawen ist er der erste namentlich bekannte Gott. Später nimmt er dort den Namen Radegast (auch Roswodiz) an. Allgemein galt er bei den Wenden
als Gott der Ehre und der Stärke. Abgebildet wurde es als jugendlicher Krieger, einen Stierkopf vor der Brust, einen Schwan mit ausgebreiteten Schwingen auf dem lockigem Haupt und eine Kriegslanze in der Hand. Sein Name bedeutet „Anführer im Krieg“;
Hlawaradze, wie er auch noch heißt bezeichnet ihn als höchsten Ratgeber; weiterhin führt er den Beinamen Zirnitra = zauberkräftig. Das Wort radi bedeutet in der altslawischen Sprache Fröhlichkeit und Lebenslust.

Ursprünglich eine zentrale Gottheit wurde er mit der Zeit zu einem Lokal- und Stammesgott. Er wird zu Beginn des 11. Jahrhunderts von Bruno von Querfurt und Thietmar als in der Burg Radegost (Riedigost) in Mecklenburg verehrter Gott der Redarier erwähnt. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts beschreibt Adam von Bremen einen auf einer Inselburg gelegenen Tempel dieses Gottes. Die Burg habe neun Tore und sei nur durch eine Holzbrücke mit dem Festland verbunden. Der Holztempel sei mehreren Göttern, vor allem aber dem Hauptgott Redigast geweiht. Er soll auf Tierhörnern gestanden haben und reich mit geschnitzten Symbolen verziert gewesen sein.Diese Kultstätte befand sich wahrscheinlich im ehemaligen Ort Rethra am Südufer des Tollensesees in Mecklenburg-Strelitz. Dort soll auch seine vergoldete Statue gestanden haben. Ausgrabungen haben bislang leider keine positiven Ergebnisse gehabt.
Radegast wurde der oberste Gott der Obotriten. Wahrscheinlich jedoch wurde er auch in anderen Stämmen verehrt, belegt ist sein Kult bespielsweise auch für Arcona auf Rügen. Über den Kult ist bekannt, dass diesem Gott Tier- und auch Menschenopfer dargebracht wurden. Ein besonders großes Pferd und ein Eber, der sich im Schlamm des Sees suhlte, wurden als Orakeltiere gebraucht.
Im Jahre 1066 wurde Radegast in seinem Heiligtum der Kopf des Bischofs Johannes von Marienburg (heute Malbork, Polen) geopfert. Zwei Jahre darauf wurde der Tempel zerstört. Die Legende berichtet, dass eines Tages der slawische Königssohn heimlich zum Tempel des Radegast schlich, um seinem Gott zu huldigen. War es auch bei Todesstrafe verboten, das Gebäude zu betreten, so wollte er doch wenigstens in der Nähe der heiligen Stätte sein. Da hörte er aus dem Tempelinnern Lärm. Holz splitterte und krachte. Der Prinz, alle Vorsicht vergessend, eilte in den Tempel, Böses ahnend. Entsetzt sah er, wie ein christlicher Priester die Statue des Gottes zertrümmerte. Da wurden Zorn und Verzweiflung in ihm so übermächtig, dass er sein Schwert ergriff und auf den Priester einschlug. Bevor dieser die Augen für immer schloss, stieß er einen Fluch aus:
- aber damit sind wir im nächsten Kapitel gelandet.

4. Radegast, Petermännchen und Martensmann

Der Königssohn solle sich in die Gestalt eines hässlichen Zwerges verwandeln.
Von seinem ewigen geisterhaften Leben könne er nur dann erlöst werden, wenn ein Christensohn sein Schwert von den Blutflecken befreite. Im selben Augenblick, als die Augen des Priesters brachen, verwandelte sich der Prinz in einen missgestalteten Zwerg. Die Blutflecken auf seinem Schwert aber wurden zu Rost. So sehr sich der Zwerg auch mühte, so gewaltig er auch am Schwert rieb, die Rostflecken ließen sich auf keine Weise entfernen. Als Geist lebt nun der verwunschene Prinz seit vielen hundert Jahren auf der Burginsel seiner Väter im Schweriner See und wartet auf einen unschuldigen Christensohn, der ihn zu erlösen vermag. So mancher mühte sich ernsthaft darum; bis zum heutigen Tage ist es jedoch noch niemandem gelungen, das Petermännchen, wie man den zum Schlossgeist gewordenen Zwerg nannte, zu erlösen. (nach Erika Borchhardt aus ihrem Buch „Petermännchen – Der verwunschene Prinz“).
Die Legende, deren Schluss ich hier wiedergegeben habe, spiegelt Elemente des Widerstandes der Slawen gegen die Deutschen und erinnert an einen der größten und dem letzten freien Slawenführer Niklot und an seine Söhne Pribislaw (der Prinz in der Legende) und Wertislaw, die auf der Insel im Schweriner See eine Burg hatten.
Es gibt mehrere Sagen, die beinhalten, dass das Petermännchen ursprünglich ein Königssohn war. Möglicher Weise und sogar sehr wahrscheinlich sind slawische und deutsche Sagenkränze miteinander vermischt worden. Der große Mecklenburgforscher
Wossidlo deutet einige Petermännchen-Sagen auch so, dass das Petermännchen der in einen Kobold verwandelte Gott Radegast selbst ist, zurückgeblieben, um den heiligen Schatz der Obotriten und die Angehörigen des Volkes zu schützen. Dieses sieht Wossidlo ebenfalls in dem Martensmann-Brauch, der bis 1805 durchgängig fortbestand
(und nun ja wieder aufgelebt ist, allerdings ohne mythologischen Überbau).
„Diese Vermischung der Quellen für die Sagenfigur erscheint auch in den Motiven wieder, die die Erlösungsarten des verwunschenen Prinzen oder verwandelten Geistes ausdrücken. Da finden sich Spuren des Glaubens an einen Lichtgott und an Blutopfer ebenso wie Reflexe auf blutige Gegenwehr der Slawen gegen die deutschen Eroberer.“
(E. Borchhardt)
Ich zitiere nun einen Artikel von Pastor Preß, der alten Rehnern noch persönlich bekannt war. Der Artikel erschien in der „Mecklenburger Post / Rehnaer Zeitung“
Nr. 152, am Heilig Tag 1932:

Was wollte der „Martensmann“ in Rehna und Schwerin?

Herr Pastor Schreiber hat durchaus Recht mit seiner Behauptung, dass die Fahrten des Martensmannes schwer zu erklären seien. Aber es lassen sich wenigstens Vermutungen aufstellen, wozu sie in alten Zeiten dienten. Nur muß man viel weiter zurückgehen, als er es tut. Wir hier in Mecklenburg haben es von Professor Wossidlo gelernt, bei alten Sagen und Gebräuchen mythologische Hintergründe zu suchen. Sollte das auch hier möglich sein.
In Rehna hier lebt heute noch ein alter Kindersingsang: „Martensmann hatt Reuben freten…“ usw. Wir wissen aber, dass die roten Rüben, die ihm auch in Schwerin beim Festschmaus bis zum Jahr 1805 vorgesetzt werden mussten, bei allen Opferfesten des wendischen Gottes Radegast eine Rolle spielten. Desgleichen war der Martinitag, an dem der Martensmann kommen musste, dem Radegast heilig. Und damit haben wir bereits eine doppelte Verbindung zwischen den Fahrten des Martensmannes und jenem Gott, der nach Professor Wossidlos Forschungen in uralten Zeiten einen Tempel auf der Schlossinsel in Schwerin hatte, und zwar wahrscheinlich genau an der Stelle, wo später auf dem Schloßhof eine christliche kleine Kapelle des heiligen Martin und des heiligen Petrus stand. Und Pastor Schreiber hat schon oben berichtet, dass der Martensmann jedes Mal mit Wagen und Pferden, an denen kein Fehl war, die also eines Gottes würdig waren, den Schlosshof dreimal umfahren musste. So deutet vieles darauf hin, daß er in uralten Zeiten alljährlich zum Opferfest des Radegast ein Faß Wein als Opfergabe zu bringen hatte, zumal es in den alten mecklenburgischen Volkssagen auch sonst „Martinsmänner“ gibt, die Opfergaben zu überbringen hatten.
Der alte Radegast aber lebt – so weit wir sehen – im Schweriner Volksbewusstsein heute noch als „Petermännchen“, dem Schutzgeist der Schlossinsel fort. Von ihm sind bisher mehr als 200 Einzelsagen bekannt, die von Professor Wossidlo gesammelt sind. Meist wird jener Geist so geschildert, daß er ein schwarzes Gewand mit rotem Mantel und einen Kragen trägt, also dieselbe Kleidung, wie der Martensmann sie tragen musste
(s. Pastor Schreibers Bericht oben). Und auf einem uraltem Bild im Schweriner Schloß sehen wir neben dem Petermännchen eine große Laterne, wodurch er als Lichtbringer bezeichnet werden soll. Radegast aber war bei den Wenden der Gott des Lichtes. Dem Martensmann aber wurde bei seinem Einzug ins Schweriner Schloß auch bei hellem Tageslicht eine große Laterne vorangetragen. So werden die Beziehungen zwischen Radegast und dem Martensmann immer enger.
Was aber wollte der Martensmann Besonderes in Rehna? Denn es war uralte Vorschrift, daß er seinen Weg über unsere Stadt nehmen mußte. Und ebenso, daß er auch hier Geld auswerfen und mit roten Rüben bewirtet werden mußte. Wir erinnern uns daran, was eine frühere Nummer dieser „Rehnaer Erinnerungen“ mitteilte, daß – so weit wir wissen – auch hier einst ein wendischer Gott sein Heiligtum hatte, der noch heute als Gespenst in der Kirche fortlebt. Wenn wir nun bedenken, daß es in jenen ältesten Zeiten noch keine Gasthäuser gab, daß vielmehr jeder auf der Reise bei Bekannten blieb, so liegt die Vermutung nahe, daß der Martensmann auch hier schon bei den Tempelpriestern einkehrte und an einem Opferschmaus teilnahm, bei dem nach alter Sitte sehr scharf getrunken wurde. Wie die Kinder noch heute bei uns singen: „Dat is ken rechter Martensmann, de sick nich besupen kann.“

So weit, so gut, so interessant. Der slawische Fürstensohn Pribislaw, der den christlichen Priester niederstach, weil jener die Radegast-Statue zerstörte, lebt also weiter im Petermännchen und im Martensmann. Oder aber: Radegast selbst geistert heute noch als Petermännchen und als Martensmann herum. Beide Deutungen sind nicht weit voneinander entfernt, kann doch solch wichtiger slawischer Königssohn durchaus mit seinem obersten Gott identifiziert werden, geht es doch letztendlich um die Bewahrung alter slawischer Erinnerung, Kultur, Werte und Religion.
Auch die Fragestellung nach den Wurzeln der uns bekannten Martensmann-Historie
halte ich für legitim, allerdings kenne ich bislang keine wirklichen Quellen darüber,
dass der 11. November dem Radegast geheiligt war und dass bei seinen Opferfesten
rote Rüben eine Rolle spielten. Auch das „Wissen“ darum, dass einst auch in Rehna
ein slawischer Gott samt Tempel und Priestern residierte, ist mir zweifelhaft.
Eine interessante Frage allerdings stellt sich mir: was hat der Fluss Radegast mit der ebenso benannten Gottheit zu tun? Warum lagen alle slawischen Dörfer respektvoll mindestens zwei Kilometer von dem Gewässer entfernt? Die ersten deutschen Siedlungen Rehna, Holdorf und Vitense (so Peter Schlopsnies) entstanden hingegen direkt an der Radegast. So bleibt weiterhin Stoff zum Recherchieren und zum Nachdenken.

5. Nachbemerkungen

Als Gemeindediakon der Evangelischen Kirchgemeinde Rehna und als Bürger der Stadt Rehna, der sich für die Geschichte seiner Stadt und Region interessiert, habe ich diesen Artikel geschrieben. Dies geschah aus eigenem Interesse und dem Wunsch, dieses Thema einer breiten Öffentlichkeit unkompliziert zugänglich zu machen. Eigene finanzielle Vorteile gedenke ich aus der Arbeit nicht zu ziehen. Falls ich hier mit Zitaten und sonstigem geistigen Eigentum nicht sorgfältig genug umgegangen bin, bitte ich dies zu entschuldigen bzw. mich zu kontaktieren.
Als Christ und als kirchlicher Mitarbeiter stellt sich mir die Frage, ob die Christiani-
sierung der Wenden wahrhaft christlich war. Dazu folgende abschließende Bemerkungen:

Im Begriff „Zwangsmissionierung / Zwangschristianisierung“ ist schon das Gegenteil dessen ausgedrückt, was dem obersten Gebot, dem Liebesgebot Jesu entspricht: dessen Kardinaltugenden sind Liebe, Verständnis und Toleranz.

Selbst im Begriff „Christliche Mission“ steckt meiner Meinung nach viel böses Potenzial. Jede Religion ist als gut anzusehen, wenn sie dem einzelnen Menschen hilfreich ist und zugleich dem Mitmenschen. Also braucht nicht missioniert zu werden, wo nichts zu bessern Not tut. Lieber erst einmal den eigenen Glauben, die eigene religiöse Institution hinterfragen, erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren!

Ich weiß, dass im Zusammenhang mit der Christianisierung viel Leid über die Wenden gekommen ist. Gott möge den damaligen Fundamentalisten vergeben und uns heutige und die zukünftigen Christen vor solchen Untaten bewahren.

Ich hoffe, dass die damalige Christianisierung der Slawen ihnen insgesamt im Nachhinein mehr Gutes als Schlechtes gebracht hat. Vielleicht wurde in schwerer Geburt ein lichtheller, froher Glaube gepflanzt, wo vorher vornehmlich Ängstlichkeit vor Geistern und Göttern herrschte. Der Einzug christlicher Ethik in alle modernen zivilisierten Staaten des Abendlandes, zu denen auch die östlichen slawischen Staaten zählen, ist meines Glaubens nach ein Zeichen göttlicher Heilsgeschichte.

Matthias Krause, im Juli 2008

Bürgerreporter:in:

Matthias Krause aus Rehna

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.