Psalm einer Pusteblume

Den Duft der Rosen verbreite ich nicht,
köstliche Früchte reifen nicht an mir,
die Größe der Königskerze ist nicht mein Maß,
die Farbenpracht der Lilie nicht meine Zier.

Nie wurde ich zu einem Brautstrauß geflochten - (nur bei Bärbel)
nie in einem Blumenladen begehrt,
keinen Dichter brachte ich zum Reimen,
keinem Sänger entlockte ich je ein Lied.

An Veredelung hat noch niemand gedacht,
besonderer Schutz gilt mir nicht.
Lästiges Unkraut werd' ich genannt
und von Gärtnern emsig vernichtet.

Dennoch schäme und verkrieche ich mich nicht,
lasse mich nicht entmutigen,
mir meine Lebensfreude nicht schmälern
und meinen Lebensraum durch keinen Gartenenzaun begrenzen.

Vielmehr wachse und blühe ich überall,
zahlreich und unübersehbar nach meiner Art,
NEIN, HERR, NACH DEINER ART , DENN DU, MEIN GOTT,
HAST MICH SO UND NICHT ANDERS GEWOLLT!

Am Nektar meiner Bütenkörbchen laben sich Bienen,
Schmetterlinge Hummeln und Käfer.
In meinen Blättern finden Kaninchen, Hühner,
Kühe und Enten würzige Speise und stärkendes Mahl,
ICH DANKE DIR, HERR, DASS ICH ANDEREN NAHRUNG
SEIN KANN!

Apotheker und Ärzte entdeckten heilende Kräfte in mir:
Tee aus meinen Wurzeln
vertreiben den Husten und lästigen Reiz.
Zu den Heilpflanzen werde ich gezählt,
das ist meine stille Freude und mein heimlicher Stolz.
ICH DANKE DIR, HERR, DASS ICH HEILEN KANN!

Ausreißen lasse ich mich nicht leicht,
denn meine Wurzeln sind stark und tief.
Darin liegt das Geheimnis meiner Kraft:
Stand zu halten vermag nur, wer tief gewurzelt ist.
ICH DANKE DIR, HERR, FÜR DEN GRUND DEINER ERDE!

In Blummensträußen bin ich selten zu finden.
Zum Welken in der Vase bin ich nicht geboren.
Ich liebe die Freiheit mit Wolken und Wind,
Schmetterlingen, Kindern, Sonne und Regen.
ICH DANKE DIR, HERR, FÜR DAS LEBEN
IN DER NATUR!

Ich bin nicht verliebt in das Bild meiner selbst,
kann Abschied nehmen von Bienen und Schmetterlingen,
loslassen von der goldenen Farbe.
Bin bereit mich zu ändern.
DANKE, HERR, DASS ICH MICH ÄNDERN KANN!

ERZÄHLEN WILL ICH VON DIR UND MIR,
DENN WAS ICH BIN IST DEIN GESCHENK.

Mich kennt jedes Kind,
Löwenzahn heiß ich oder Taraxacum officinale.
Kinder tauften mich Pusteblume.
Diesen Namen mag ich am liebsten.
ICH DANKE DIR, HERR, FÜR MEINEN NAMEN!

Ich wachse auf Wiesen und an Straßenrändern,
auf Müllplätzen und in Gärten.
Ich genieße die Sonne auf den Höhen der Berg
und scheue nicht die Schatten der Täler.
Jedes Stück Erde läd mich ein zum Leben.
Mein Platz ist da wo ich wachse und blühe.
ICH DANKE DIR, HERR, DASS ICH ÜBERALL
HEIMAT FINDE!

Ich suche die Nähe der Pflanzen und Tiere,
denn ich bin nicht gerne allein.
Mit Gräsern, Hahnenfuß, Klee
und Vergißmeinnicht teile ich die Erde, den Himmel,
das Wasser die Luft. Es ist schön,
mit anderen zusammen zu wachsen.
ICH DANKE DIR, HERR, FÜR DIE GEMEINSCHAFT DER PFLANZEN
UND TIERE!

Meine Blüten leuchten wie die Sonne
und strahlen ihr Licht zurück.
Wer genau hinsieht, entdeckt in mir die
kleine Sonne, voller Strahlen, Farben und Wärme.
ICH DANKE DIR, HERR, FÜR DIE SONNE!

Wer blüht und verblüht muß welken.
Ich sträube mich nicht dagegen,
nehme das Welken an
und lasse mich zu neuem Leben verwandeln.
ICH DANKE DIR, HERR, FÜR DAS ALT-
UND NEUWERDEN!

Meine goldenen Blüten verlieren ihren Schein,
ich verschließe mich und warte still
auf den Weckruf der Sonne,
um mich als Pusteblume neu zu entfalten.
ICH DANKE DIR, HERR, DASS ICH WARTEN KANN!

Nun strecke ich mich dem Wind entgegen,
wachse Blumen und Gräsern über den Kopf.
Der Wind ist mein rauher aber herzlicher Freund.
Er bläst mir in's Gesicht und trägt meine
winzigen Samenkörner wie kleine Fallschirme davon.
ICH DANKE DIR, HERR, FÜR MEINEN FREUND
DEN WIND!

Jeder Fallschirm soll eine neue Pusteblume werden,
an ihrem Platz, nach ihrer Art.
Ich halte keinen fest und springe keinem nach.
ICH DANKE DIR, HERR, DASS ICH LOSLASSEN KANN!

Wer mich findet, darf mich pflücken,
pusten und lachen.
DENN, DU HERR, HAST MICH ZUM NUTZEN DER TIERE
UND ZUR FREUDE DER KINDER ERSCHAFFEN!

(von Helmut Herberg)