Hainhofen damals
SINALCO UND BLAUE BOHNEN

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Das „Schwäbische Himmelreich“: vom Gasthaus zum gastlichen Haus

Die Geschichte des "Schwäbischen Himmelreichs" ist eine wechselhafte. Das Schlußkapitel des ersten Teils der Historie konnte ich zu Beginn der Sechziger Jahre noch selbst miterleben. Damals war das "Himmelreich" eine weithin beliebte Ausflugsgaststätte, die an Wochenenden sogar viele Ausflügler aus Augsburg anzog, die mit der Bahn bis Westheim fuhren und von dort durch das grüne Schmuttertal nach Hainhofen hinüber spazierten. Spätestens auf dem letzten Stück den dunklen Hohlweg hinauf lechzten die durstigen Wanderer nach einem kühlen, schäumenden Bier, das zu Beginn von der ortsansässigen Brauerei des Besitzers Nicolaus Mayr gebraut wurde. Die Hainhofer selbst benutzten hingegen gerne einen kastaniengesäumten Fußweg, der oberhalb der Straße am sonnigen Waldrand vom Ortsende zur Gaststätte hinaus führte. Das Gerücht, ein unterirdischer Gang würde vom Himmelreich ins Dorf hinab zu Mayrs Keller führen, hielt sich hartnäckig bis in die neuere Zeit und wurde nie bewiesen, aber auch nicht widerlegt. Wir Kinder liebten die Einkehr im Grünen schon alleine wegen des Wegs dorthin und wegen des romantischen Biergartens, in dem man so toll "Versteckus" spielen konnte. Eine prickelnde Sinalco oder einen pappsüssen Chabeso bekam man ohnehin nur zu besonderen Tagen in dieser sparsamen Nachkriegszeit aus den schmalen Geldbeuteln der Eltern spendiert. Einen äußerst spannenden Abenteuerspielplatz hielt das Himmelreich für mutige Jungs zusätzlich bereit und der war gerade deshalb so interessant, weil das Betreten strengstens verboten war. Das obere Stockwerk des Ausflugslokals war quasi ein "Tanzboden", der vom hinteren Garten aus über eine hölzerne Rampe zugänglich war. Dort oben befand sich eine zeitlang auch der Schießstand des örtlichen Schützenvereins. Man schoß dabei aus der Nordseite des Gebäudes ins Freie, über den tief gelegenen Hohlweg hinweg auf Zielscheiben, die jenseits der Straße in einer eingezäunten Schießanlage standen. Dort gab es eine Art unterirdischen betonierten Bunker, in dem die "Täfelebuben" die Scheiben auswerteten und die Treffer anzeigten. Außerhalb der Schießtage war das Betreten eigentlich nicht gefährlich, aber trotzdem durch Verbotsschilder untersagt und mit Stacheldraht erschwert. Aber welche Lederhose hätte sich davon abhalten lassen, dort klammheimlich einzudringen, um die Bleibatzen der verschossenen Munition einzusammeln, die nur darauf warteten auf einem Lagerfeuer eingeschmolzen zu werden und mit einem Zischen in einem Kübel mit kaltem Wasser zu kleinen Fantasiemonstern zu erstarren?
1961 wurde die Gaststätte endgültig zugesperrt und geschossen wurde fortan nur noch in geschlossenen Räumen drunten im Dorf, was die Lebensqualität der Waldvögel rund ums Himmelreich deutlich erhöhte. In späteren Jahren verlor das private Anwesen vorübergehend seinen "himmlischen" Ruf, weil es als illegale Spielhölle in die Mühlen der Justiz und folglich in die Schlagzeilen der regionalen Revolverblättchen geriet. Zu einem idyllischen Schlößchen, welches seinen Namen " Schwäbisches Himmelreich" seit den späten 70er Jahren erneut mit Stolz tragen darf, wurde das Haus erst wieder unter der Führung des Gastronomen und Weinhändlers Werner Zimmermann. Seither zieht wieder alljährlich eine Prozession von weinseligen Besuchern durch den Torbogen hinauf ins Himmelreich, um bei den legendären Gartenfesten ein paar schöne Stunden in einem einzigartigen Ambiente zu verbringen. Der Maitre Werner Zimmermann ist leider nicht mehr unter uns, doch dieser kleine Mann der großen Weine und der leisen Töne bleibt jedem in Erinnerung, der einmal die steile Auffahrt hinauf wanderte und sich plötzlich akustisch umgeben fand von sphärischen Klängen klassischer Musik, die direkt aus den Baumwipfeln zu erklingen schien. Der Hausherr hatte dort Lautsprecher installiert und auf diese Weise ein unvergleichliches, dreidimensionales Klangerlebnis inmitten der Natur geschaffen.
Und so spannt sich der Bogen meiner kulinarischen Erinnerungen ans Hainhofer Himmelreich bis heute von der blubbersüßen Zitronenlimonade einer unbekümmerten Kindheit bis zum feingliedrigen Sauvignon Blanc des gereiften Rentnerdaseins.

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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