Hainhofen damals
DIE MUNDRÄUBER AUS DER DORFSTRASSE 18

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Unser knuspriges Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld ...

Brot ist für mich das wertvollste Lebensmittel, auch heute noch im Zeitalter von Superfood aus dem Supermarkt. Eine dicke, duftende, knusprige Scheibe Brot mit frischer Butter darauf gestrichen läßt seit jeher Bilder im Kopf entstehen, von einer unbeschwerten Kindheit, in der weniger viel mehr war. Heutzutage stehst Du vor den Breitwandregalen beim Bäcker Deines Vertrauens und deutest blindlings verzweifelt auf einen der unzähligen Laibe, weil Dich die Auswahl völlig überfordert und Du genau weißt, daß keines dieser Brote den Geschmack Deiner frühen Jahre in sich trägt, denn die Teige wurden nach und nach der Hektik unserer Tage angepaßt und es wird ihnen nicht mehr die Ruhe gegönnt, die sie so sehr bräuchten für eine rösche Kruste und die duftighefige Krume, die sich in ihrem Innern verbirgt.

Damals, als wir noch in der Dorfstraße 18 in Hainhofen wohnten, zwei steile Stiegen hoch auf dem Stemmerhof, war gutes Brot zu kaufen kein Problem der Auswahl, sondern eher eines des schmalen Geldbeutels. Die Mutter schickte uns mit dem genau abgezählten Geld und einem Einkaufsnetz rauf zum Bäcker Durner. Den Meister selbst bekam man aber nur selten zu Gesicht, bedient wurden kleine und große Kunden immer von seiner freundlichen „Frau Bäck“ hinter der Ladentheke, auf der einem in Glasbehältern so verlockende Köstlichkeiten wie bunt bestreuselte Schokolinsen, saure Zitronenguatsle und neumodische Dubble-Bubble-Kaugummis das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Absoluter Verkaufsrenner waren kegelförmige Lutscher, in denen quasi als Haltestengel ein Plastiksoldat steckte, mit dem man seine bestehende Armee erweitern konnte, sobald er freigelutscht war. Es gab sie in olivgrün und hellgrau, in „langweilig“ mit Fernglas oder Minensuchgerät, sowie in „super“ mit diversen Schnellfeuerwaffen. Wir waren natürlich immer auf Seiten der grünen Amis, weil die so oft durch unser Dorf marschierten, aber ab und zu mußte man auch einen grauen Russen freilecken, um genügend Feinde zu haben, die man später mit dem MG ummähen konnte.

An diesem Tag, als ich mit Rupert in den Laden kam, hatten wir von seiner Mutter aber nur das Geld für das Brot mitbekommen. Das gab es wahlweise als runden Laib oder als länglichen Kipf und mit oder ohne Kümmel. Das reduzierte die Kaufentscheidung zwar auf ein Minimum, aber die Auswahl bestimmten ohnehin die Eltern. Bei uns im zweiten Stock gab es immer den Kipf ohne Kümmel, bei Hackls im ersten Stock stets den Laib mit Kümmel und den mochte ich überhaupt nicht und kratzte die ungeliebten Körner vor dem Genuß jedesmal penibel ab. Wir packten also den riesigen frischen Laib in unser Netz, um uns mit unserem grünen Rad wieder auf den Rückweg zu machen. Wäre da nicht eine Besonderheit des Brots unseres Hainhofer Bäckermeisters gewesen: der „Kropf“! Bei vielen Laiben und ganz besonders bei den Kipfen war die Rinde an manchen Stellen aufgeplatzt und die Krume war wie ein knuspriges Geschwür nach außen gewachsen. Heutigen bürokratischen EU-Standards würde diese Brote nicht mehr genügen, aber was sind rechtskonforme Paragrafen gegen wahren Geschmack? Diese Beulen vom noch ofenwarmen Brot abzuknabbern war die pure Sinneslust und als immer hungriger Lausbub konntest Du dieser Verlockung genauso wenig widerstehen, wie unser Hofhund Struppi, wenn man ihm einen Wurstzipfel hinhielt. Unser Tageseinkauf hatte diesmal gleich mehrere der köstlichen Wucherungen in seiner Rinde und so knabberten wir beim Seethaler die nächste ab und beim Striegl noch eine und als wir endlich in den elterlichen Hof einbogen, sah unser Brot aus wie ein Käselaib, an dem sich eine Horde Mäuse gütlich getan hatte.

Jetzt war guter Rat teuer! Wir legten den rundum angebissenen Laib klammheimlich auf den Küchentisch und beschlossen uns für eine sehr sehr lange Zeit unter den Johannisbeerbüschen hinterm Haus zu verstecken. Das versprach gute Deckung und mit den reifen Beeren an den Sträuchern genügend Nahrung für mindestens 2 Tage, denn wir wollten dort solange ausharren, bis die verzweifelten Eltern vom Schmerz gebeugt Suchmannschaften mit Spürhunden aussenden würden oder sogar einen Ami-Hubschrauber, um am Ende heilfroh zu sein, wenn sie die bereits totgeglaubten Söhne tränenüberströmt wieder in die Arme schließen könnten. Wir schlugen uns also buchstäblich in die Büsche, aber unsere Strategie ist leider nicht ganz aufgegangen, denn wir haben unser Versteck mit leerem Magen und aus Angst vor der einsetzenden Dunkelheit viel zu früh verlassen. Offensichtlich hatte noch kein Mensch unser Verschwinden bemerkt, sehr wohl aber das löchrige Abendbrot auf dem Küchentisch und so wurde zumindest unsere Vision von schmerzgebeugten und tränenüberströmten Darstellern in diesem bäuerlichen Drama bittere Wahrheit, auch wenn die Rollen nun anders verteilt waren als vorausgesehen. Der Rechtsgrundsatz, daß man für ein und dasselbe Vergehen nicht zweimal bestraft werden darf, war 1960 auch noch nicht in allen ländlichen Haushalten bekannt. Das wurde mir im wahrsten Sinne des Wortes „hautnah“ klar, als mein Vater von der Spätschicht nach Hause kam.

Wenn ich heute einen Einkaufswagen orientierungslos durch einen Supermarkt schiebe und mit Klarsichtfolie verschweißte, sterile Brotlaibe liegen sehe, spiele ich oft mit dem Gedanken, mal heimlich einen Zettel draufzukleben, auf dem stehen würde: „Für so ein Brot würden wir uns heute nicht mehr verhauen lassen!“

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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