Hainhofen damals
ALS SICH DER BACH IN HAINHOFEN ROT FÄRBTE

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LÄNDLICHE HYGIENE- UND MÜLLKONZEPTE IN DEN SECHZIGERN

Wenn uns in den 50er Jahren etwas von „Corona“ erzählt worden wäre, hätten wir vermutlich an einen Malzkaffee oder eine neue Zigarettenmarke gedacht. Hygieneregeln spielten zu der Zeit vor allem werktags eine eher untergeordnete Rolle. Zur Toilette sagte man damals auf dem Dorf „Abort“ und so unschön wie sich dieses Wort anhört, so wenig verlockend waren diese Örtlichkeiten gestaltet. Die einfachste Ausführung war das aus groben Brettern gezimmerte „Häusle“ im Freien, vorne mit einem kleinen Guckloch als Besetztkontrolle und innen mit zwei eisernen Haken. Der eine diente zum Verschließen der Türe, der andere als Halterung für handgerecht zugeschnittenes Zeitungspapier, welches den ihm zugedachten Zweck nur unzureichend erfüllte. Auch auf dem Stemmer-Hof stand so ein Häuschen, praktischerweise direkt neben Odelgrube und Misthaufen. Ich mied dieses Plumpsklo wie der Teufel das Weihwasser, denn erstens hatte man als Kind die nicht unberechtigte Angst durch das Sitzloch zu fallen und lautlos in der Kloake zu versinken und zweitens befiel einen die ständige Furcht, von unten könnte einem plötzlich ein stinkendes Ungeheuer mit eiskalten Krallen an den Hintern fassen. Gottseidank gab es im Haus schon zwei Etagenklos mit richtig fließendem Wasser, das außer an eiskalten Wintertagen nur darauf wartete, daß man es mit einem Zug am schönen Emailleklöppel der Kette herabrauschen ließ.

Den Mindestabstand einzuhalten war auch damals schon ein brisantes Thema, allerdings nur auf öffentlichen Männerpissoirs, z.B. in der Volksschule oder im Gasthaus. Statt kleiner Urinale bestand die typische Ausstattung dort meistens aus der simplen schwäbischen „Soichrinne“ und hier galt es die richtige Entfernung zur gefliesten Wand einerseits und zum Nebenmann andererseits zu beachten, wenn die eigene Hose hinterher so trocken sein sollte wie vorher. Übel gerochen haben die Klos im Gasthaus und in der Schule gleichermaßen streng, denn sowohl besoffene Schafkopfer als auch nicht stubenreine Erstklässler schafften es nicht immer rechtzeitig über die Ziellinie.

Eine Kanalisation gab es in den meisten Straßen auch schon. Ein Kanal führte drüben an der Grünanlage vor dem Schloß vorbei und war dort durch einen dicken Gitterrost sichtbar. Der unterirdische Lauf kam vom Kirchberg droben und es gab unterwegs noch mehrere dieser eisernen Deckel, durch die man das plätschernde Wasser beobachten konnte. Es machte uns großen Spaß, kleine Papierschiffchen zu basteln und diese beim Gasthof oben durch den Rost zu werfen, um dann loszurennen und zu gucken, ob es am nächsten Gully ankam. Am Turahäusle kam der Kanal ans Tageslicht und folgte dann als offener Graben der dichten Thujahecke den Fußweg entlang, um sich drunten am Badsteg in die Schmutter zu ergießen. Wir alle hatten im Geschichtsunterricht der Oberklasse die Episode gelernt, in der sich das Wasser des Trasimenosees drei Tage lang blutrot färbte, nachdem Hannibal die Römer verkloppt hatte. Dieses Phänomen konnte man in Hainhofen jeden Dienstag beobachten, denn dann war beim Metzger droben Schlachttag und das Blut der verwursteten Schweine ergoß sich über den Kanal in die Schmutter. An Tagen wie diesen war die „Buababade“ ein Stück weiter flußabwärts selbst bei strahlendem Sonnenschein deutlich weniger besucht als sonst.

Zwischen Badsteg und dem Badeplatz gab es lange Zeit einen öffentlichen Schutthaufen. Das war zu der Zeit nichts Ungewöhnliches, sondern der gängige und durchaus legale Weg der Entsorgung von Dingen, die man nicht mehr brauchen konnte und das waren in der Nachkriegszeit nur äußerst wenige. Eine zweite dörfliche Müllkippe befand sich neben der „Burgass“, auf halbem Weg nach Westheim, wo die Schmutter einen Bogen macht und heute ein kleines Wäldchen steht. Ab und zu wurden diese Deponien einfach angezündet, damit wieder mehr Abfall Platz hatte. Manch einer wird noch die große Müllhalde am Sandberg zwischen Vogelsang und Steppach in Erinnerung haben, an der quasi Tag und Nacht Glutnester kokelten. Als Kind wurde man naturgemäß von jedem Schutthaufen magisch angezogen und man kam kaum einmal dran vorbei, ohne eine Zeitlang in dem übelriechenden Zeug herumzukruschteln. Man lebte stets in der Hoffnung, etwas besonders Wertvolles unter den weggeworfenen Dingen aufzuspüren, aber außer sich an scharfen Blechen und Glasscherben blutige Finger zu holen, kam selten etwas Erwähnenswertes bei der Schatzsuche heraus, denn alles was nur den kleinsten Wert gehabt hätte, wurde von den Erwachsenen in diesen kargen Zeiten nicht achtlos in den Schutt geschmissen.

Die Wende kam mit dem wachsenden Wohlstand. Je mehr Geld im Beutel war, um sich neue Sachen kaufen zu können, desto sorgloser wurden Dinge weggeworfen, die kaputt oder einfach nicht mehr schön waren. Plastikverpackungen überschwemmten den Stadt- und Landkreis. Supermärkte wuchsen aus dem Boden, voller Regale in denen die Lebensmittel hygienisch sauber in Folien geschützt waren. Das „Wollbacher Brot“ blieb darin so herrlich frisch und die Schweinekoteletts lagen appetitlich anzusehen in kleinen durchsichtigen Kunststoffsärgen zur Selbstbedienung bereit. Der legendäre orange „Zielkaufbeutel“ mutierte zur Mutter allen Plastikmülls im Schmuttertal. Eine der frühen Lebensmittelketten nannte sich gar „KONSUM“ und gab somit die Strategie des künftigen Kundenverhaltens vor: immer mehr immer billiger zu konsumieren, ohne echten Bedarf dafür zu haben, ließ die Müllberge in gigantische Höhen wachsen und die Gletscher schmelzen.

Heute haben wir eine Abfall-App auf dem Smartphone und es stehen regelmäßig geleerte Mülltonnen in allen Farben des Regenbogens neben dem Carport, wir bringen das Altglas in die dafür vorgesehenen Behälter und fahren mit unserem Elektroschrott zur gestrengen Eingangskontrolle am Neusässer Wertstoffhof. Aber das wird unser Problem nicht lösen, solange sie Dir im Supermarkt jeden Fisch gedankenlos in eine Plastiktüte wickeln, solange wir jedes Tässchen Espresso wie der Clooney-Schorsch mit der schicken Kapselmaschine zubereiten und unseren Kindern und Enkeln die Playmobilfiguren und Legobausätze zentnerweise unter den Christbaum schieben.

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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