Hainhofen damals
WEIHNACHTEN IM AUGUST

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Achtung jetzt kommt ein Cartoon!

„Schund“ war ein beliebtes Wort der Lehrkräfte und Erziehungsberechtigten für jegliche Trivialliteratur, die ihnen fremd war und die uns Kindern und Jugendlichen dafür umso mehr Spaß machte. Dazu zählten vor allem die berüchtigten Groschenromane wie die Western von G.F. Unger, die Abenteuer des Weltraumfahrers Perry Rhodan oder die unsäglichen, kriegsverherrlichenden Landsergeschichten aus den Rußlandfeldzügen. Die Hefte hatten stets exakt abgemessenen 64 Seiten und konnten praktischerweise schnell zusammengerollt und versteckt werden, wenn Gefahr im Verzug war. Als Tauschobjekt waren sie äußerst beliebt, denn trotz des namensgebenden, niederen Preises von wenigen Groschen, konnte man sich Neuware kaum leisten. Doch diese Romanheftchen waren eher etwas für Oberklässler oder Lehrlinge, als kleiner Pimpf hielt man sich lieber an die in Mode gekommenen Comics mit bunten Bildern und schnell verständlichen Sprechblasen. Aber selbst die harmlosen Micky-Maus und Fix und Foxi Heftchen waren bei den Erwachsenen nicht gern gesehen und wurden ebenfalls als Schundliteratur verdammt. Regelmäßiges Lesen stand im Ruf unsere kindlichen Seelen nachhaltig zu verderben. Als besonders schädlich wurde das heimliche Lesen mit der Taschenlampe unter der Bettdecke eingestuft, weil es angeblich irreparable Augenschäden bis hin zur Blindheit zur Folge hatte.

Die Beschaffung der Schundheftchen war demnach äußerst schwierig und beschränkte sich meist auf den Tausch von mehr oder minder zerfledderten Exemplaren. Es gab diese kleinen Comic-Strips im Piccolo-Format, die nur einen farbigen Umschlag hatten und innen schwarzweiß gehalten waren mit den ritterlichen Abenteuern von Sigurd oder Falk, den Dschungelgeschichten von Akim oder Tibor und den Reisen ins All von Nick, dem Weltraumfahrer. Später erschienen sie dann auch im normalen, großen Format mit bunten Bildern, aber sie hatten alle einen großen Nachteil: es waren stets Fortsetzungsgeschichten! Am Ende gab es immer eine unfaßbar spannende Szene und dann hieß es „Fortsetzung folgt“. Fortlaufende Bände konntest du im Tauschhandel aber kaum ergattern und so endete das gerade gelesene Abenteuer meist mit kindlicher Enttäuschung und Frust über das Nichtwissen, wie es denn weiterginge.

Ich liebte Micky Maus und vor allem Donald und die ganze Verwandtschaft von Entenhausen. Ich las vor der Schule beim Frühstück schon das erste Heft und am Abend im Bett das letzte im Schein der Funzel. Aber neue Heftchen waren damals schon unfaßbar teuer und so kannte man bald alle vorhandenen Geschichten in- und auswendig. Auch auf der Tauschbörse in der Nachbarschaft gab es kaum Material, das man nicht schon mehrfach verschlungen hatte. Ein unbeschädigtes Heft in Händen zu halten, dessen Inhalt man noch nicht kannte, hatte etwas Ehrfürchtiges an sich. Und dann geschah eines Tages etwas Unfaßbares, das alle Vorstellungen eines 10jährigen Jungen der damaligen Zeit sprengte, das sämtliche bisherigen Weihnachtsüberraschungen inklusive Trix-Eisenbahn-Starterset in den Schatten stellte! Ich zog das große Los und räumte den Jackpot ab:

An einem heißen Sommernachmittag stand meine Tante in der Hofeinfahrt und hatte einen großen, schweren Karton für uns dabei, dessen Inhalt sie uns schenken wollte. Sie hatte ihn von einer Arbeitskollegin bekommen und diese wohltätige junge Dame las auch als Erwachsene gerne Micky Maus. Sie kaufte sich die Hefte jede Woche, las sie genau einmal und hob sie danach auf. In diesem wunderbaren Karton lagen nun genau 264 Bände, so gut wie kioskfrisch und meist fortlaufend sortiert. Den Anblick von über 250 bunten Titelbildern mußtest du als kleiner Fan erstmals unbeschadet überstehen. Das war ein Geschenk, welches jegliche Vorstellungskraft überstieg, zweifellos war ein Wunder geschehen! Unersättlich verschlangen wir in den folgenden Tagen dieses Überangebot aus Entenhausen, die Hefte waren mein ständiger Begleiter von früh bis spät. Der unermeßliche Fundus hielt sich über Jahre in diversen Kartons und Schachteln und die meisten Hefte überdauerten sogar den Umzug 1964 in die Schlipsheimer Straße.

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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