Hainhofen damals
"LIEBER HERRGOTT MACH MICH FROMM, DASS ICH IN DEN HIMMEL KOMM!"

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Von Passionen, Prozessionen und kleinen Pyromanen

Die Kirche St. Stephan war für mich nie ein Ort des Frohlockens. Hier mußte man als Kind noch braver sein als drüben in der Volksschule und der in jedem Gottesdienst brüderliche Barmherzigkeit und Nächstenliebe predigende Herr Pfarrer betrieb die körperliche Züchtigung aufsässiger Burschen in der Religionsstunde genauso überzeugt wie sein weltlicher Kollege. Das Gotteshaus empfand ich als ewig freudlosen, kalten Ort voller Verbote und Gebote, voller düsterer Bilder und schauriger Lesungen über Sündenfälle und Androhung drakonischer Strafen. Als Jungs standen oder knieten wir zudem auf der „Männerseite“ direkt vor dem rechten Seitenaltar mit seiner abgrundtief häßlichen Darstellung des von Pfeilen durchbohrten Sebastian, welche Minderjährigen den nächtlichen Schlaf rauben konnte und künstlerisch höchstens für eine Vier minus gut war.

1. KAPITEL: Frühchristliche Freudenfeuer

Es gab nur einen einzigen Tag im Kirchenjahr, der bei mir sinnliche Gefühle hervorrief, das war am Abend der Lichterprozession zur Hainhofer Mariengrotte im Mai. Allerdings war es nicht die Muttergottes daselbst, welche diese kurzzeitige religiöse Verzückung in meiner kindlichen Seele auslöste. Marienerscheinungen zu haben war das Vorrecht der frömmelnden alten Weiblein, nein, es waren diese kleinen, bunten Plastikkelche, welche einerseits als Tropf- und Windschutz für die Wachskerzen dienten und andererseits der Prozession einen festlichen Zauber verliehen. Die Windlichter hatten jedoch einmal in Kinderhand gegeben eine unchristlich kurze Lebenserwartung, ihr Martyrium begann manchmal schon in der Kirchenbank, nur Sekunden nachdem die gottgefälligen Lichtlein entzündet worden waren. Bald vernahm man dieses verdächtige leise Brutzeln, welches entstand, wenn man den oberen Rand des Kelchs näher und näher zur gierig lauernden Flamme hin bog. Zunächst bildeten sich fiebrige Hitzebläschen an der Oberfläche, dann schmolzen halbkreisförmige Bögen von oben her in die Ränder und es roch unvergleichlich nach geröstetem Kunststoff. Bereits während der Messe mit der Koklerei zu beginnen, blieb den ganz Mutigen vorbehalten, aber kaum hatte sich der gebetsmurmelnde Zug gen Grotte in Bewegung gesetzt, gab es kein Halten mehr. Da zischte und schmurgelte es nur so in den Reihen der kleinen Sünder, bläulich gelbe Flammenzungen durchlöcherten Kelch um Kelch. Spätestens auf dem Rückweg, wenn die frisch geläuterte Christenschar den Tophit "Meerstern, ich Dich grüße" zur Ehre Mariens in den nachtblauen Dorfhimmel schmetterte, hingen nur noch kläglich zerschmolzene Plastikreste an den Kerzen und man konnte damit beginnen, die Fingerkuppen in das klebrigwarme Wachs zu tunken, um das wohlige Gefühl zu genießen, wenn die Haut sich erhärtete und straffte, sobald diese Schicht abkühlte. Das war fast erotisch lasterhaft und schon war diese anerzogene Angst wieder da, daß man diese Freveltat am nächsten Samstag beichten mußte, fragte sich nur unter welchem der zahlreichen Sündenregister des Beichtspiegels, den jeder Drittklässler auswendig kennen und als Leitfaden zur Erforschung seines chronisch schlechten Gewissens heranziehen sollte.

Danach war erstmal für längere Zeit Schluß mit Pyrotechnik in Kinderhänden bis zum Winter, wenn es endlich die begehrten Sternwerfer zu kaufen gab. "Sternwerfer“ oder gar “Wunderkerze“ hätte aber in Hainhofen kein Mensch dazu gesagt. Der im Schmuttertal gesprochene schwäbische Dialekt beschreibt die Dinge viel plastischer und baut in das Wort lautmalerisch das typische Geräusch mit ein, welches entsteht, wenn man die funkensprühenden grauen Stängel entzündet und deshalb hießen sie damals viel treffender "Schderapfuzzger". Aber verlangen Sie das mal 2022 an der Kasse bei ALDI!

2. KAPITEL: Ohne Fleiß kein Preis

In den Zeiten als ich noch mittelgerne in die Unterklasse der Volksschule Hainhofen und wie erwähnt überhaupt nicht gerne in die Kirche St. Stephan gleich nebenan ging, besaß jedes rechtgläubige Kind spätestens nach dem Empfang der niederen kirchlichen Weihen in Form der Erstkommunion ein eigenes „Laudate“. Dieses Gebet- und Gesangbuch der katholischen Glaubensgemeinschaft war ziemlich dick, auf hauchdünnem Papier gedruckt, mit einem schwarzen genarbten Kunstledereinband für die Knaben und einem blütenweißen Schutzumschlag für die jungfräulichen Mädchen und meines war sogar mit einem edel erscheinenden Goldschnitt ausgestattet. Der erste Teil mit seinen liturgischen Texten war sehr umfangreich und sehr langweilig. Weiter hinten fanden sich ordentlich durchnummeriert all die lobpreisenden Lieder, die während der Messe wie auf einer Abfahrtstafel am Westheimer Bahnsteig angekündigt wurden. Wenn nicht gerade ein hohes kirchliches Fest gefeiert oder ein verblichener Dorfbewohner zu Grabe getragen wurde und somit der Kirchenchor auf der Empore die korrekte Stimmlage vorgab und sich die Gemeinde zudem am akkuraten Orgelspiel des Herrn Lehrers taktisch orientieren konnte, war der dissonante Gesang des gemeinen Volks nur bedingt dazu geeignet, die himmlische Dreifaltigkeit dort oben zu loben und zu preisen. Notenschlüssel waren für die meisten Einheimischen ein Buch mit 7 Siegeln und nur bei sakralen Gassenhauern wie „Großer Gott wir loben Dich“, die jedermann auswendig konnte, schwappte gehörig Stimmung an Bord des Kirchenschiffs.

Beim letzten Umzug habe ich neulich in einem Karton mein altes Laudate in bestem Zustand wiedergefunden. Kein Wunder, denn so ein heiliges Buch etwa ganz profan im Altpapier zu entsorgen, würde mit gehörig Extrabrand im Fegefeuer bestraft. Wenn man darin blättert, findet sich zwischen den Seiten gar das eine oder andere verblichene Heiligenbildchen. Die bekam man im Jahr der Erstkommunion von seinen allerbesten Freunden mit Widmung geschenkt (geschlechtsübergreifender Austausch fiel unter den beichtpflichtigen Sündenkatalog) oder sie wurden als Ausdruck höchster christlicher Gnade vom Herrn Hochwürden persönlich mit Weihwasser besprengt und für herausragende Leistungen im Religionsunterricht oder im Dienste der Mutter Kirche überreicht. Da mir eine Ministrantenkarriere wegen einer amtlich nicht beglaubigten Weihrauchallergie verwehrt blieb und ich selbst beim Krippenspiel der Unterklasse in der Vorweihnachtszeit nicht über eine stumme Nebenrolle als 2. Hirte hinauskam, verblieb die Anzahl dieser klerikalen Ehrenpreise in meinem Gebetbuch in äußerst bescheidenem Rahmen. Vielleicht hätte ich ja öfter rechtzeitig zur Frühmesse aus den wohlig warmen Federn steigen sollen, aber ich verdrehte ja schon verklärt die Augen, sobald der Meßner auf nüchternen Magen zum ersten Schwung mit dem alles vernebelnden Weihrauchkessel ausholte. So hieß es für mich „ohne Fleiß kein Fleißbildchen“ und in meinem Gebetbuch finden sich gerade mal 2 Stück davon, eines davon handsigniert von meinem damaligen Klasskameraden Siggi, der aber auch nicht von einem Heiligenschein erleuchtet war, sondern vielmehr unter der Bank und während der großen Pause einen schwunghaften Ablaß- und Tauschhandel mit den sündenreinigenden Bildchen betrieb.

3. KAPITEL: Online mit Jesus in der digitalen Welt

Heutzutage erklimme ich den Kirchberg tatsächlich viel öfter als damals und jetzt sogar freiwillig. Oft habe ich meine Kamera dabei und die ziehe ich dann klammheimlich hervor und mache mir verstohlen das eine oder andere  digitale Heiligenbildchen einfach selber.
Und liebe Gläubige, ich lüge nicht: im Internet finden Sie unter "www.heiligenbild.de" einen "Online-Heiligenbildshop" und auf Seiten wie "beichte.de" können Sie online Ihre Sündenlast abladen. Dort benötigen Sie nur einen Mausklick zur Vergebung und unter der erlösenden Schaltfläche auf der Seite "Online mit Jesus" steht wahrhaftig geschrieben:

Wenn Sie Ihre Verfehlungen wirklich bereuen, wird Ihnen wahrscheinlich vergeben. Ihre Daten werden nicht gespeichert! Segnung der Homepage am 03.12.2008.

Und empfangen Sie zum guten Schluß diese Frohe Botschaft: Sollten Sie unbelehrbar immer noch des Irrglaubens sein, Sie müßten sich Ihren Segen direkt in der Kirche abholen: eine Bastelanleitung für den "Segen to Go" finden Sie auf der Website "www.bei-gott-zuhause.de" und Sie benötigen hierfür nur Buntpapier, Stifte, Kleber und verschiedene Segenskärtchen, die Sie in der Packung zu 50 Stück ab 6,99 Euro dort gleich mitbestellen können!

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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