Hainhofen damals
DER LEGENDÄRE UNTERGANG DER "MS WALDFRIEDEN"

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Als ein Kriegsschiff in Friedenszeiten in der Schmutter versank

Bei einer Fototour entlang der Schmutter komme ich zufällig ans Ufer der Hainhofer „Mädlabade“, dem einstigen Badeplatz für die keusche, weibliche Jugend. Wie früher steht dort immer noch eine Ruhebank, doch daneben bemerke ich zu meiner Verwunderung tatsächlich eine erloschene Feuerstelle, bei deren Anblick unwillkürlich Bilder aus längst vergangenen Tagen der Kindheit vor meinen Augen erscheinen:

Die MS Waldfrieden stach am 27. Juli anno 1964 in See, besser gesagt in den Fluß, aber "in den Fluß stechen" sagt man in der Seemannssprache nicht. Das wehrhafte, vollständig verzinkte Kanonenboot der deutschen Kriegsmarine wurde unterhalb des Stegs beim Schloss Hainhofen mit allen militärischen Ehren zu Wasser gelassen. Als wir Matrosen an Bord gingen, waren wir vier zu allem entschlossene Kämpfer für Heimatdorf und Vaterland. Erst gestern hatten unsere amerikanischen Besatzungstruppen in den Westlichen Wäldern beim Schwäbischen Himmelreich eines ihrer pulverdampfenden Manöver abgehalten und wir hatten das Stakkato der MG-Feuer bis hinunter ins Dorf gehört. Seite an Seite mit der US Army wollten wir ab heute gegen die dunklen Mächte aus dem Osten kämpfen. Mit unserem schweren Panzerkreuzer planten wir flußabwärts in Richtung Ottmarshausen bis ans Schwarzmeer zu schippern, um bei der ersten Feindberührung unsere todbringenden Bordgeschütze abzufeuern.

Mit stolzgeschwellter Brust saßen wir dicht an dicht im engen Rumpf der MS Waldfrieden. Das in der Sonne silbern glänzende Ungetüm hatten wir als "Sonderkommando Schwarzer Reiter" im Morgengrauen tollkühn mitten im Feindesland erobert. Es stand unbewacht auf Bauer Meitingers Wiese direkt am Ufer, war eine Zinkbadewanne im Ruhestand und diente den dort weidenden Kühen als Tränke. Die Turmuhr von Sankt Stephan schlug 10 Uhr als wir endlich mit Kurs Nord-Nord-Ost ablegten. Doch bereits nach wenigen Metern gerieten wir in höchste Seenot, als wir uns schutzlos dem Luftangriff einer Fliegerstaffel feindlicher Rinderbremsen ausgesetzt sahen, gegen die sich unsere imaginären Torpedos als völlig wirkungslos erwiesen. Das panische Schlagen mit Handtüchern brachte unser metallenes Schlachtschiff in bedrohliche Schieflage und mit einem unheilvollen „Plopp“ löste sich urplötzlich der Pfropfen, der anstelle eines Badewannenstöpsels den Abfluß im Heck gegen eindringendes Wasser verschließen sollte. Die MS Waldfrieden sank um 10.05 Uhr manövrierunfähig schneller als die Titanic im Eismeer und wir konnten nur unsere jungen, nackten Leben auf eine Kiesbank retten. Unbekleidet waren wir bis auf unsere Badehosen ohnehin, nur der Rudi hatte mangels einer solchen seine lange Alltagshose anbehalten, was sich in der Folge doppelt rächen und ihn zum mehrfach leidgeprüften Opfer dieser denkwürdigen Schiffshavarie machen sollte.

Wir erreichten patschnaß das Bänkchen an der "Mädlabade" und der Rudi hatte die glorreiche Idee, dort sogleich ein Feuer zu entfachen, denn das kriegstaugliche amerikanische Sturmfeuerzeug, das er illegal besaß, funktionierte tatsächlich noch. Seine  tropfende Hose hängte er über zwei Stecken und auf diese Weise sollte das gute Stück behutsam über der Glut trocknen wie ein Rollbraten auf dem Grill. Seine kontaminierte Unterhose behielt er derweil schamhaft an, die sollte später in einem zweiten Durchgang feuergetrocknet werden. Die Stimmung in der Mannschaft besserte sich schlagartig, doch als wir in der Wartezeit zur Gaudi flache Kieselsteine übers Wasser flutschen ließen und lautstark johlten, wenn sie an der Oberfläche mehrfach aufschlugen, verbog sich hinter unserem Rücken die Halterung der feuchten Hose, die daraufhin auf die heiße Glut rutschte und noch im selben Moment zischend gedämpft und gleichzeitig durchlöchert wurde.

Rudi riß das qualmende Bündel geistesgegenwärtig mit einem wagemutigen Hechtsprung aus dem flammenden Inferno und sah im selben Moment mit Schrecken vom Dorf herunter den wutschnaubenden Vater quer über die Wiesen heranstürmen. Der Hobbyjäger wohnte gleich droben an der Ottmarshauser Straße und hatte unser Treiben wohl durchs Fernglas beobachtet. Ganz ohne Sehhilfe bemerkte Rudi, daß der zorngerötete Alte bereits im Dauerlauf gotteslästerlich fluchend seinen Gürtel aus den Schlaufen zog. Der diente in diesen Zeiten multifunktioneller Herrenmode keineswegs dem Halt der männlichen Hose, denn diese hatte man stets rutschfest durch die obligatorischen Hosenträger gesichert. Den Gürtel hingegen benutzte so manch altvorderer Haushaltsvorstand mit Vorliebe als allzeit verfügbaren Lederriemen zur körperlichen Züchtigung der ungehorsamen Sprößlinge.

So kam es, daß der bedauernswerte Rudi wohl der einzige Hainhofer in der langen Dorfgeschichte war, der an einem einzigen Tag einen Schiffsuntergang überlebt, aber gleichzeitig Brandblasen an den Händen und Striemen am Hintern davongetragen hat.

Die Feuerstelle befindet sich tatsächlich am selben Platz wie vor fast 60 Jahren
Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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