Hainhofen damals
ALS DIE WIESEN NOCH ROSA SCHÄUMTEN

Das rosa oder weiße Wiesenschaumkraut beherrschte im Frühsommer das Landschaftsbild in den Schmutterauen
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  • Das rosa oder weiße Wiesenschaumkraut beherrschte im Frühsommer das Landschaftsbild in den Schmutterauen
  • hochgeladen von Helmut Weinl

Der Blumenstrauß zum Muttertag war früher gratis

Vor 60 Jahren war die Frage, was das „brave“ Kind denn seiner Mutter zu ihrem Ehrentag schenken solle, relativ schnell beantwortet. Für marzipangefüllte Pralinen war das Taschengeld zu knapp oder erst gar nicht vorhanden und aufwendige Basteleien unter professioneller Anleitung, wie sie heute schon im Kita-Alter üblich sind, wurden uns damals noch nicht angeboten. Also wurde zum Pelikan Wasserfarbkasten oder zu den Buntstiften gegriffen und ein kitschiges Bild gemalt mit einer Vielzahl möglichst herzerweichender Symbole wie den blauen Vergißmeinnicht, romantischen Herzchen, abgepaust aus dem Poesiealbum und einer Frau Sonne mit Grinsegesicht. Unverzichtbar stand darunter in großen ungelenken Lettern: „Der lieben Mutter“!

Dazu wurde der hauptberuflichen Mutti als Geschenk ein bunter Strauß Blumen überreicht. Den hätte man beim Gärtner Reuß in Westheim kaufen können, aber dazu fehlte wie eingangs erwähnt das nötige Kleingeld und die großen Gartenmärkte waren noch gar nicht erfunden. „Selbstgepflückt“ lautete demnach die Devise und die mühevolle Handarbeit im Schweisse des kindlichen Angesichts sollte das Präsent ohnehin moralisch noch aufwerten. Um an den kostenlosen Blumenschmuck zu kommen, waren die Schmutterauen sinnbildlich „a gmahde Wiesn“. Die Flächen links und rechts des Kirchenwegs nach Westheim waren von feuchten Gräben durchzogen und im Mai war das Angebot an Frühlingsblüten reichlich. Das rosa oder weiß im Wind wogende duftige Wiesenschaumkraut bildete sanfte Wellen im grünen Gras, die Schlüsselblumen wucherten üppig wie Unkraut, das himmelblaue Vergißmeinnicht mußte man schon intensiver suchen, der langstielige Hahnenfuß hingegen blieb verschmäht stehen, da er als „Soichblume“ verrufen war. Völlig ungeeignet war auch der prächtige gelbe Löwenzahn mit seinen röhrenförmigen Stielen, aus denen die bittere Milch lief, welche die Finger schwarz färbte. Ein paar davon nahm man aber gerne für den Eigenbedarf mit, denn aus den kleinen Schläuchen konnte man zuhause im Sandkasten zusammengesteckt prima Wasserleitungen bauen. Das hübsche Gänseblümchen war zwar allgegenwärtig, aber so kleinwüchsig, daß es für einen Strauß nicht zu verwenden war. Geschickte Mädchenhände konnten aus ihnen immerhin kleine Kränze flechten oder ihre Blüten kichernd beim beliebten Liebesorakel "er liebt mich, er liebt mich nicht" abzuzupfen. Die dekorativen roten Blutströpfchen zogen die Nähe der Wasserläufe vor, dort fand man an den Böschungen der Gräben auch die Sumpfdotterblume oder die heißbegehrte gefüllte Trollblume. Die rötlich violette Kuckucksblume mit ihren faserigen Blüten mußte man dagegen eher im schattigen Buschwerk am Ufer der Schmutter aufspüren. 

Aus dem gepflückten Mix ergab sich ein Strauß mit einem wenig einheitlichen Gesamtbild, denn jede der Pflanzen hatte eine andere Länge der Stängel und ihre Blüten hielten sich unterschiedlich lange frisch. Die meisten davon waren höchst empfindlich und das federleichte zarte Wiesenschaumkraut überlebte oft schon den kurzen Transportweg nach Hause nicht. Auch den anderen Wildblumen fehlte die haltbarmachende Chemotherapie heutiger Discountersträuße und sie ließen innerhalb weniger Stunden saft- und kraftlos ihre Köpfchen hängen. Wenn man sie schon am Samstag gepflückt hatte, taugten sie am Sonntagmorgen des Ehrentags kaum noch als Ausdruck innigster Mutterliebe und dann blieb oft nur der Notfallplan B mit dem schnell gemalten und gottseidank selten eingelösten „Gutschein für 10mal Abspülen“!

Wenn man heute die selben Wiesen besucht, steht man oft enttäuscht vor einheitlich grünen Anbauflächen, die früh gemäht werden, schon bevor die Blumen eine vasengeeignete Länge erreicht haben. Aber deren große Vielfalt ist ohnehin nicht mehr vorhanden und nicht wenige Arten sind für immer aus unserem Landschaftsbild verschwunden. Immerhin ist in letzter Zeit ein gegenläufiger Trend erkennbar, insbesondere seit diverse Projekte zur Rettung der Bienen ihre Wirkung zeigen. Deshalb sollte man die Wiesen nicht mehr ihrer Blüten für einen kostenlosen, kurzlebigen Blumenstrauß berauben und lieber stattdessen darüber nachdenken, weshalb man zur Würdigung seiner Mutter oder Ehefrau diesen einen (Pflicht-)tag im Jahr braucht, wo man doch an den übrigen 364 genug Gelegenheit hätte, ihr diese auf andere Art und Weise entgegen zu bringen.

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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