Hainhofen damals
Alloi in der Egerländer Gmoi

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Kulinarische Grenzerfahrungen in der Lechebene

Sechs Wochen Sommerferien kannten wir Dorfkinder in den 60er Jahren auch, Urlaubsreisen hingegen waren uns fremd. Dafür fehlten den Eltern das Geld, das Fahrzeug und die bezahlten freien Tage. Ein paar Mal im Jahr fuhren wir sonntags zur Verwandtschaft nach Herbertshofen am Lech. Anfangs mit dem Zug, das dauerte eine Ewigkeit. Erst mit den Fahrrädern nach Westheim, dann mit dem Zug bis Oberhausen, dort umsteigen in ein anderes Bähnle bis Herbertshofen. Später hatte der Patenonkel aus Ottmarshausen einen gebrauchten VW Käfer mit Platz für bis zu sieben Passagieren. In der hintersten Sitzreihe, dem sog. "Loch" zwischen der Rückenlehne und dem Heckfenster, kauerten mein Cousin und ich und fanden es super.

Im Sommer 1962 beschloß der Familienrat, ich könne doch eine Woche der Ferien in Herbertshofen verbringen. Ich war zwar Erwachsenen gegenüber recht schüchtern, aber dieser Vorschlag gefiel mir und so reiste ich bei einem der Sonntagsbesuche im August mit kleinem Gepäck an. An den Dialekt mußte ich mich erstmal gewöhnen, denn die Verwandtschaft wohnte in einer Siedlung, in der lauter neue Lego-Häuschen für Flüchtlinge gebaut worden waren. Die Doppelhäuser sahen alle gleich aus, hatten große Gärten, ein Gartenhaus inkl. Hasenstall und einen viereckigen Brunnen samt Pumpe, mit der man(n) eiskaltes Lechwasser zum Gießen oder Baden fördern durfte. In Herbertshofen konnte man sich als Ferienkind richtig wohlfühlen. Droben an der Ecke war ein kleiner Supermarkt mit dieser tollen Limo mit Orangengeschmack im Regal, die sie hier seltsamerweise "Brause" nannten. Zu lesen fand ich im Haus massenhaft Bastei-Westernromane, die daheim strengstens verboten waren. Im Erdgeschoß gab es ein richtiges Samstagabend-Badezimmer mit glänzenden Fliesen. Ins Badewasser warf einem die Tante eine Tablette rein, die sich blubbernd auflöste wie ein Kopfwehmittel und sofort duftete der ganze Raum wie der Hainhofer Fichtenwald im Frühjahr.

Die Kost der Vollpension war meist schmackhaft. Gekocht wurde bei Oma und Tante in einer sogenannten "Kochnische". Das war ein winziger Raum mit Schiebetüre neben dem Wohnraum. Hier wurde gelebt ... dort wurde gekocht! Ob es wohl neben dem Schlafzimmer eine extra Liebesnische gab? Die Kochzelle betraten die Männer nie, außer einmal, als bei Oma die erste Generation eines Pseudo-Schnellkochtopfs samt Weißkrauteinlage explodierte. Das Essen war mir manchmal fremd, aber ich mochte es. Bis zu diesem Abend! Oma Amalie schöpfte gerade dem Opa den Teller voll, in dem schon ein Böhmischer Knödel auf den Rest wartete. "Mochst a a Beuscherl?" fragte mich die Oma. Komischer Name für ein Gulasch, dachte ich mir und nickte begeistert mit den Kopf, was die Oma sichtlich erfreute. Als ich erschrocken begriff, daß es sich bei diesem vermeintlichen Gulasch um die Egerländer Variante des "Schwäbischen Voressens" handelte, also um kleingeschnittene Pfui-Teufel-Rindermägen, war es zu spät und bekennen wollte ich meine naive Unwissenheit keinesfalls. Außerdem wollte ich die gute Oma nicht enttäuschen und es begann ein Wettlauf mit der Zeit, ob ich den glitschigen Eintopf oben so schnell reinstopfen konnte, wie mir die warmen, essigsauren Kuhdärme innerlich meine eigenen Eingeweide umstülpten. Den Irrtum zugeben oder sich übergeben, war hier die Frage. Ich entschied mich für die zweite Variante und schaffte es, nachdem mein Teller endlich leer war, gottseidank noch hinaus ins Freie, wo mir ein Maisfeld gleich gegenüber genügend Deckung bot. Ein Maisfeld hatte ich zuhause noch nie gesehen und schätzte sofort den praktischen Nutzen dieser riesigen blickdichten Anpflanzungen.

So kam es, daß ich 50 später in einer kleinen Osteria in Pisa souverän einen dampfenden Teller traditioneller „Trippa“ bestellte und beim Essen mit einem Lächeln an die Oma Amalie und ihr Egerländer Beuscherl denken mußte.

20 Jahre später: 4 Generationen im Garten des Herbertshofer Reihenhäuschens
Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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