Rechtsextremismus
"Warum es falsch wäre, der AfD ein Verbotsverfahren zu ersparen"

Ein lesenswertes Essay  von Dirk Kurbjuweit DER SPIEGEL 06/24

"Die AfD müsse politisch bekämpft werden, heißt es. Doch eine wehrhafte Demokratie muss auch die juristischen Hebel nutzen, die ihr zu Gebote stehen.

Deutsche Unbedingtheit. Was hat Björn Höcke gemeint, als er diesen Begriff in seinem Interviewbuch verwendet hat, um die politische Haltung der AfD zu charakterisieren? Er sagte: »Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen, aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt.« Wie kommt der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Thüringer AfD auf diese ungewöhnliche Formulierung?

Unbedingtheit ist kein Wort, das einer Demokratie gut steht. Das Unbedingte duldet keinen Widerspruch, steht außerhalb jeder Diskussion. Man setzt es entschlossen durch, notfalls mit aller Härte. Wer »unbedingt« im politischen Kontext sagt, kokettiert mit dem Autoritären.
Und warum deutsche Unbedingtheit? Woher kommt diese Koppelung, die nicht gängig ist? Vielleicht hierher: Im Jahr 2002 erschien ein Buch des Historikers Michael Wildt mit dem Titel »Generation des Unbedingten«. Wer war diese Generation? Nun wird es gespenstisch: »Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes«, wie es im Untertitel heißt. Diese Behörde, schreibt Wildt, war zuständig für die »rassische ›Reinhaltung‹ des ›Volkskörpers‹«. Die Wannsee-Konferenz wurde von Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, einberufen, um über die »Endlösung der europäischen Judenfrage« zu beraten, über Deportation und Vernichtung. Die politische Führung, schreibt Wildt, »zielte immer auf Unbedingtheit, auf das Ganze, durfte weder einer regulierenden Norm noch irgendeinem Moralgesetz unterworfen sein«.

Bezieht sich Höcke auf diese deutsche Generation? Er war Geschichtslehrer und hat ein herzhaftes Interesse für den Nationalsozialismus. Gut möglich, dass ihm Wildts Titel geläufig ist. Auch Höcke will sich von Moral nicht beschränken lassen. In seinem Buch sagt er, dass »sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden«. Deutsche Unbedingtheit.
Sollte die AfD die Macht erlangen, würde eine politische Ideologie wirkmächtig, die schon das Reichssicherheitshauptamt geprägt hat. Das ist die Dimension, um die es geht. Die Hunderttausende, die in den vergangenen Wochen demonstrierten, scheinen das verstanden zu haben. Sie sind alarmiert von dem Potsdamer Treffen von Rechtsextremen, Neonazis und AfD-Politikern, die sich darüber ausgetauscht haben, wie man Menschen mit Migrationshintergrund auch unter Zwang aus Deutschland vertreiben könnte.

Diese Demonstrationen sind ein gutes Zeichen. Aber reichen sie aus, um den Rechtsextremismus in Deutschland einzudämmen? Oder braucht es dazu auch eine entschlossenere Politik, mit allen legalen Mitteln, bis hin zu einem Parteiverbot?
Wenn die Frage nach einem Verbot gestellt wird, antworten viele Politiker oder Politikwissenschaftler gern, die AfD müsse »politisch bekämpft« werden, nicht juristisch. Das klingt in vielen Ohren gut, ist aber auch ein bisschen herzig. Man hat es mit einer Partei zu tun, deren stärkster Anführer von einer Politik des Unbedingten träumt, bekämpft sie aber nicht mit allen rechtlichen Mitteln, sondern nur den politischen: Wir sind wehrhaft, aber lieber nicht konsequent. Das kann sich als schwerer Fehler erweisen.
Hat die AfD erst die Macht errungen, wird sie die Republik rasch und nachhaltig verändern. Die liberale Demokratie würde beerdigt, der Wandel zum Autoritären vollzogen. Und man sollte sich nicht damit trösten, dass die AfD in den bundesweiten Umfragen bei etwas über 20 Prozent liegt, also weit entfernt scheint von den 50 Prozent plus einer absoluten Mehrheit der Parlamentssitze.

Doch die braucht man nicht für die Macht. Die Nationalsozialisten haben im Herbst 1932 rund 33 Prozent der Stimmen geholt, trotzdem wurde Adolf Hitler wenig später Reichskanzler. Auch wenn sich die Verhältnisse damals und heute kaum vergleichen lassen – mit 30 Prozent würde die AfD in der Nähe der Macht lauern. In den aktuellen Umfragen für die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen liegt sie in diesem Bereich. Und wer wollte ausschließen, dass sie nicht doch Koalitionspartner findet, die sie in die Regierung heben?
Aber ist es nicht undemokratisch, eine Partei zu verbieten, weil sie unliebsame Meinungen vertritt? Das kann einem so vorkommen, doch die bundesdeutsche Demokratie wurde nicht für das gesamte Meinungsspektrum gegründet. Sie stand und steht unter dem Vorbehalt des »nie wieder«. Etwas Ähnliches wie der Nationalsozialismus sollte sich nicht wiederholen können. So sahen das die Väter und Mütter des Grundgesetzes, deshalb haben sie die Würde des Menschen für unantastbar erklärt, deshalb haben sie die Möglichkeit geschaffen, verfassungsfeindliche Parteien verbieten zu lassen.
Die DDR ist diesen Weg auf ihre Weise gegangen und hat sich zum »antifaschistischen Staat« erklärt, ein anderer Ausdruck für ein »Nie wieder«.

Ohne ein solches Bekenntnis hätten sich die beiden deutschen Staaten überhaupt nicht gründen können, es ist die Voraussetzung ihrer Existenz. Die Nachbarn in Europa und die Großmächte USA und Sowjetunion brauchten diese Sicherheit. Und hier ändern die Jahre nichts. Auch rund 80 Jahre nach der Katastrophe gilt die deutsche Verpflichtung. Es ist unglaublich, dass sie jetzt angefochten wird.
Hat die Bundesrepublik überhaupt eine Wahl, ob sie sich entschlossen gegen eine Partei wie die AfD wehren will? Oder ist es nicht die Pflicht, die sich aus ihrer Gründung ergibt, die Pflicht, das gesamte rechtliche Instrumentarium der Wehrhaftigkeit zu nutzen?
Die AfD sei nicht so wie Björn Höcke, heißt es. Der mag sich der Unbedingtheit verschrieben haben, mag Faschist sein. Doch so sei nicht die gesamte Partei, hört man von denen, die glauben möchten, die AfD werde zu Unrecht »in die rechtsextreme Ecke gedrängt«. Vielleicht denkt nicht jedes Mitglied wie Höcke, ganz sicher nicht jede Wählerin und jeder Wähler. Aber alle können wissen, wie Höcke denkt. Wer ihm folgt, folgt einem Faschisten. Und man sollte nicht darauf vertrauen, dass sich am Ende vermeintlich milde Kräfte in der AfD durchsetzen. Bislang sind immer die »Milderen« verdrängt worden, Bernd Lucke, Frauke Petry, Jörg Meuthen.

Deshalb wäre es naiv anzunehmen, die AfD würde nicht von Verfassungsfeinden geprägt, von Leuten, die von einem autoritären System träumen, von der Unmenschlichkeit als Mittel der Politik.
Was heißt das überhaupt, die AfD politisch zu bekämpfen? Auf jeden Fall: eine gute, eine überzeugende Politik zu machen, inhaltlich und performativ. Das hat die Ampel bislang zu wenig geschafft, vor allem ihr Auftreten lässt zu wünschen übrig, wie der Bundeskanzler in einem Interview mit der »Zeit« eingeräumt hat: »Leider ist es zu selten gelungen, wichtige Beschlüsse ohne langwierige öffentliche Auseinandersetzungen zu treffen.« Hier liegt in der Tat Potenzial, die AfD politisch besser zu bekämpfen.

Selbst wenn das gelänge, wenn sich die Ampel deutlich steigern würde, wäre nicht gewährleistet, dass sie damit potenzielle Wähler der AfD überzeugt. Politischer Kampf ist heute komplexer als in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik, als die Öffentlichkeit nach anderen Kriterien funktionierte. Damals war die gesamte Wählerschaft für die Politiker erreichbar. Die Debatte lief zum großen Teil über die Medien, die ein Lagerfeuer für fast alle waren. Zugleich achteten die Medien als eine Art Türhüter darauf, dass das öffentliche Meinungsspektrum im Rahmen des Nie-wieder-Gebots blieb.

Heute spielen die Türhüter eine geringere Rolle, weil viele Debatten über die sozialen Medien laufen. Das hat Vorteile, weil jeder mitreden kann. Der Nachteil ist, dass sich Blasen bilden, in denen die Mitglieder ständig in ihrer Meinung bestätigt, in denen sie mit Falschinformationen gefüttert und manipuliert werden. In diesen hermetischen Räumen lassen sich Rechtsextreme kaum noch politisch bekämpfen. Sie können sich dort unangefochten verbreiten. Auch deshalb wäre es unverantwortlich, nur auf den politischen Kampf zu setzen.
Ein Einwand gegen die juristischen Hebel lautet, dass Richter demokratisch nur schwach legitimiert seien und nicht den Wählerwillen repräsentierten. AfD-Politiker behaupten gern, sie selbst verträten »das Volk«, den Wählerwillen, die Mehrheit. Dieses Argument entspringt gleich zwei Irrtümern.

Zum einen ist die moderne Demokratie nicht als reine Herrschaft des Volkes erfunden worden. Das zeigt sich schon an der Gewaltenteilung: Der Wählerwille drückt sich unmittelbar nur in den Parlamenten aus und wird begrenzt durch die Befugnisse der Exekutive und durch die Rechtsprechung. Niemand soll die ganze Macht haben. Zum anderen geht es bei einer wehrhaften Demokratie nicht nur darum, Minderheiten zu schützen. Auch die Mehrheit braucht mitunter den Schutz vor radikalen Minderheiten. Es soll nicht wieder passieren, dass entschlossene Extremisten sich mit einem Drittel der Wählerstimmen den Weg zur Macht bahnen. Zwar zeichnen sich Demokratien dadurch aus, dass sie den Regierungswechsel möglich machen, damit sich alternative Konzepte beweisen können. Dieser Grundsatz ist jedoch selbstmörderisch, wenn die Alternative im Verdacht steht, das System abschaffen zu wollen. Deshalb sollte er hier nicht gelten, insbesondere wenn sich die Alternative nicht hinter das Credo »Nie wieder« stellt.

Dieser Widerspruch, einerseits den Wechsel zu begrüßen, andererseits bestimmte Wechsel zu verhindern, lässt eine Demokratie nicht gut aussehen. Aber sie kann auch nicht sehenden Auges auf den Abgrund zugehen und gleichsam in Schönheit sterben. Ist die AfD erst an der Macht, wird sie alles tun, diese nicht mehr abgeben zu müssen. Und dann hilft kein »So hatten wir es uns aber nicht vorgestellt«. Dann wird es so, wie es sich die AfD vorstellt, also schrecklich.
Deshalb: Ran an den Werkzeugkasten der wehrhaften Demokratie. Auch ein Entzug von Grundrechten für einen Unbedingten wie Björn Höcke ist denkbar. Man sollte es versuchen. Natürlich kann man scheitern, so wie der Versuch eines Parteiverbots scheitern kann. Das wäre eine Blamage, die AfD und ihre Anhänger würden frohlocken, aber nichts wäre schlimmer, als sich lammfromm den Unbedingten auszuliefern."

https://www.spiegel.de/politik/kampf-gegen-rechtsextremismus-warum-es-falsch-waere-der-afd-ein-verbotsverfahren-zu-ersparen-a-9cdb5767-1407-4576-8da7-6f770c5237a7

Bürgerreporter:in:

Bea S. aus Gießen

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