"Die Friedberger Hilfsbereitschaft war sensationell": Ein Interview mit Bürgermeister Roland Eichmann

Gleich an vier Preisträger durfte das Stadtoberhaupt heuer den Innovationspreis "Friedberger Flügel" verleihen | Foto: Franz Scherer
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  • Gleich an vier Preisträger durfte das Stadtoberhaupt heuer den Innovationspreis "Friedberger Flügel" verleihen
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myheimat: Herr Eichmann, am 24. Februar begann Russland einen Krieg gegen die Ukraine. Welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf, als Sie von dieser Nachricht erfahren haben? Können Sie uns auch Ihren Gefühlszustand etwas näher beschreiben?

Eichmann: Das war eine Mischung aus Unglauben, Entsetzen und Sorge. Ich habe selber Minsk und Kiew 1994 besucht und natürlich hatte ich die Bilder aus den Tschetschenienkriegen und dem Krieg in Syrien im Kopf, in der die russische Militärstrategie einer flächendeckenden Zerstörung offenkundig wurde.

myheimat: In Friedberg wurden viele Zeichen der Solidarität mit der Ukraine gesetzt. Es gab unter anderem eine Mahnwache auf dem Marienplatz, ein Friedensgebet und eine Friedensdemonstration am Schlossweiher mit anschließender Lichterprozession. Darüber hinaus wurde auch ganz praktisch und tatkräftig unterstützt. Sattelschlepper mit Hilfsgütern machten sich auf den Weg in die Ukraine. Auch Geflüchtete erfuhren ein hohes Maß an Unterstützung. Wie beeindruckt waren Sie von dieser „Friedberger Hilfsbereitschaft“?

Eichmann: Das war sensationell! Das Entsetzen über diesen Krieg teilten und teilen so viele in Friedberg und waren bereit, Hilfe zu leisten. Zusammen mit der Stadtpfarrei St. Jakob wollten wir das kanalisieren und haben deswegen die Hilfsaktion „Friedberg hilft“ begründet. Das Echo war enorm, viele haben Menschen in ihrem eigenen Zuhause aufgenommen. Das ist eine völlig neue und berührende Erfahrung: gelebte Solidarität!

myheimat:
Schon jetzt sind die wirtschaftlichen Folgen des Ukrainekrieges gravierend. Privathaushalte, aber auch viele Unternehmen kämpfen mit rasant steigenden Energiekosten. Wirtschaftliche Existenzen stehen auf dem Spiel. Wie ernst schätzen Sie die Lage derzeit ein?

Eichmann: Die Energiekosten und die daraus abgeleitete Inflation sind eine ernste Bedrohung der Wirtschaft. Der deswegen vorgenommene massive Zinsanstieg hat bereits im Baubereich für einen Einbruch gesorgt, neue Projekte werden kaum noch verfolgt, die Zahl der Bauanträge können wir an einer Hand abzählen. Ich erwarte daher tatsächlich schwere Zeiten, auch wenn die makroökonomischen Zahlen das so bisher nicht widerspiegeln.

myheimat:
Welchen Beitrag kann eine Stadt wie Friedberg überhaupt leisten, um die Folgen des Krieges für die Bürger und Bürgerinnen abzumildern?

Eichmann: Die finanziellen Belastungen treffen die Stadt ähnlich wie die Bürgerschaft, hier kann die Stadt auch kaum etwas tun, um die Situation zu erleichtern. Immerhin sind viele Wohngebäude der Stadt energetisch auf einem guten Stand, was neben den niedrigen Mieten auch den Anstieg bei den Strom- und Gaskosten reduzieren hilft. Und für den Fall, dass sich die Situation dramatisch verschlechtern sollte, gibt es auch Überlegungen, wie eine Wärmeinsel eingerichtet werden könnte.

myheimat: Trotz des krisenhaften Weltgeschehens (Corona, Krieg, etc.) bleibt Friedbergs Steuerkraft beträchtlich. Im Jahr 2021 wurden beispielsweise rund 3,5 Millionen Euro mehr an Gewerbe- und Einkommensteuer eingenommen als geplant. Dennoch verringern sich die finanziellen Handlungsspielräume der Stadt zusehends. Welche Ursachen lassen sich dafür ausfindig machen?

Eichmann: Auch 2022 werden wir bei der Gewerbesteuer 2,5 Millionen Euro über Plan liegen, dennoch dürfen die Mehreinnahmen nicht überbewertet werden, denn wir haben schon vor Jahren einen deutlichen Einschnitt bei der Entwicklung der Gewerbesteuererträge verkraften müssen. Das fiel nur nicht auf, weil wir durch die Veräußerung von Gewerbegrund zusätzliche Einnahmen realisieren konnten. Die Planung 2021 basierte auch auf der Unsicherheit angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung der Pandemie. Und die 3,5 Millionen Euro aus 2021 reichen möglicherweise nicht mal, um die Verteuerung der Energiekosten für die Stadt in einem Jahr aufzufangen.

myheimat:
Müssen Projekte aufgrund der angespannten Haushaltslage verschoben oder gar gestrichen werden?

Eichmann:
Die Stadt Friedberg steht vor erheblichen Investitionen in den Pflichtaufgaben der Stadt, insbesondere für die Kinderbetreuung, Schulen und den Bauhof. Selbstverständlich haben diese Projekte Vorrang gegenüber freiwilligen Leistungen. Dennoch ist mir wichtig, dass wir diese Projekte planerisch vorantreiben, denn in der Kommunalpolitik gibt es immer wieder überraschende Wendungen und recht spontan aufgelegte Förderprogramme. Wer da nicht schon vorgesorgt hat mit einem gewissen Planungsstand, um das zu nutzen, der war schlecht vorbereitet. Außerdem suchen wir weitere Möglichkeiten wie Investorenmodelle oder abgespeckte Planungen, um dennoch die großen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.

myheimat:
Ein kommunalpolitischer Dauerbrenner ist in diesem Zusammenhang auch die bereits zu Beginn der 1990er Jahre gestartete Altstadtsanierung. Leerstehende, sanierungsbedürftige Gebäude, Defizite bei der Barrierefreiheit, Grünflächen und Parkplätzen sowie der drohende Verlust der historischen Bausubstanz sind nur einige Schlagwörter. Wie sieht Ihr Plan für Friedbergs Innenstadt in den nächsten Jahren aus?

Eichmann:
Bereits 2018 habe ich einen Vorschlag für eine “Altstadtstrategie“ vorgelegt, der auch vom Stadtrat angenommen wurde. Aktuell hat die so genannte „Vorbereitende Untersuchung“ begonnen, um das Sanierungsgebiet und die Sanierungsziele in der Alt- und Kernstadt zu überarbeiten. Das ist nötig, um weiterhin Städtebauförderungsmittel anfordern zu können. Parallel startet jetzt die Erarbeitung des Einzelhandels- und Innenstadtentwicklungskonzepts, um Mittel gerade jetzt gezielt einzusetzen - beide Maßnahmen sind inhaltlich eng verzahnt. Es wird auch eine Überarbeitung der Altstadtgestaltungssatzung geben und natürlich wollen wir auch die Bürgerinnen und Bürger informieren und beteiligen. Neu für die Stadtsanierung sind die Themen Energieversorgung und Klimaanpassung. Ich bin gespannt, was hier von den Fachleuten kommen wird.

myheimat:
Die Anlieger und Geschäftsleute in der Bahnhofstraße mussten einige Geduld beweisen. Im August konnte der nördliche Teil der Bahnhofstraße freigegeben werden. Die Fertigstellung des Kriegsopfermahnmals verzögerte sich allerdings nochmal aufgrund einer Fehlplanung. Welche Bilanz dieser eineinhalbjährigen Baumaßnahme ziehen Sie am Ende des Jahres?

Eichmann:
Das Projekt stand wirklich unter keinem guten Stern. Mitten in der Planungsphase verstarb die Landschaftsarchitektin nach kurzer schwerer Krankheit und das brachte neben der menschlichen Tragik einen Zeitverlust von drei Monaten, die zur Verschiebung der Baumaßnahme führte. Dann brauchte die Telekom statt der ursprünglich selbst genannten sieben Wochen ganze 28 Wochen. Zusätzlich machte uns einer von den zwei Steinlieferanten Kummer aufgrund minderer Qualität der Steine und so zog sich das hin bis zu den letzten Problemen beim Kriegsopfermahnmal. Aber ungeachtet der vielen Probleme ist die Straße nun hoch attraktiv umgebaut, die Geschäftsleute sind zufrieden und wir haben gelernt, wie kompliziert eine Baustelle in einer Altstadtstraße ist.

myheimat: Wie soll eine zukunftsfähige Heiztechnik für Friedberg aussehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Stadtrat schon seit geraumer Zeit. Michael Linkersdörfer vom Augs-burger Ingenieurbüro LUP riet von einem gemeinsamen Fernwärmenetz rund um die Aichacher Straße ab. Er sprach sich für kleinere Netze aus. Durch den Einsatz moderner Technologien könnten erhebliche energetische Verbesserungen erreicht werden, so sein Fazit. Im Fokus steht dabei eine neue Energiezentrale für die Theresia-Gerhardinger-Grundschule samt Mittelschule, Stadthalle, Stadtbad und Jugendzentrum. Welche Lösung für dieses Problem favorisieren Sie?

Eichmann:
Eine Lösung favorisiere ich dann, wenn wir fachlich ausreichende Untersuchungen darüber haben, welche Möglichkeiten denn zur Auswahl stehen. Denkbar sind eine Hackschnitzelanlage oder eventuell auch eine Luftwärmepumpe. Es ist zu wünschen, dass auch weitere Gebäude angeschlossen werden können, aber das hängt von der Leistungsfähigkeit der Anlage ab. Wichtig ist erstmal, dass wir auf dem nun eingeschlagenen Weg schnell fortschreiten.

myheimat:
Die Energieversorgung in eigene Hände nehmen – das klingt als Slogan erst einmal recht griffig und steht sicher jeder Stadt gut zu Gesicht. Sie hatten dazu eine Veranstaltung im Wittelsbacher Schloss mit 120 Besuchern. Hauptredner war Markus Käser, Vorsitzender der bayerischen Bürgerenergie-Genossenschaften. Was kann die Stadt Friedberg bzw. der Landkreis Aichach-Friedberg von der Stadt Pfaffenhofen an der Ilm lernen?

Eichmann:
Lernen kann man immer etwas, wenn man sich ansieht, was andere machen. In Pfaffenhofen gibt es seit vielen Jahren eine große Mehrheit im Stadtrat für einen konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere über eine Bürgerenergiegenossenschaft. Das hatten wir so in der Form nicht. Aber trotzdem geht es um einen Weg in und für Friedberg, wir brauchen passgenaue Lösungen für unser Stadtgebiet und den Landkreis. Daran arbeiten wir und haben mit der Bürgerenergiegenossenschaft Neuburg-Schrobenhausen-Aichach-Eichstätt eG einen hervorragenden Verbündeten.

myheimat: Kommt eine neue Windkraftanlage bei Derching?

Eichmann: Das entscheidet in letzter Konsequenz der Genehmigungsantrag, der beim Landkreis eingereicht wird und über den dann viele Fachbehörden mitentscheiden. Darunter besonders wichtig die Flugsicherung wegen der Anflugszone auf Augsburg. Aber ich kann mir persönlich östlich der Straße nach Frechholzhausen drei bis fünf Windkraftanlagen vorstellen, die dort kaum menschliche Siedlungen beeinträchtigen.

myheimat: Eine „Dauerbaustelle“ im wahrsten Sinne des Wortes ist das Thema „Bezahlbarer Wohnraum in Friedberg“. Welche Fortschritte brachte das Jahr 2022 im Hinblick auf dieses Politikfeld?

Eichmann: Nach dem Abschluss des städtischen Wohnbauprojekts an der Afrastraße mit 67 neuen Wohnungen haben wir heuer die Grundlagen gelegt für das nächste Wohnbauprojekt: Am Weilerweg in Ottmaring könnten um die 20 Wohneinheiten entstehen. Das Ziel ist möglichst klimaneutrales Bauen. Ich bin gespannt, welche Ergebnisse bei der beauftragten Machbarkeitsuntersuchung herauskommen und hoffe, dass auch weiterhin ein attraktives Förderumfeld besteht. Die Abschaffung vieler KfW-Förderungen durch das Bundeswirtschaftsministerium ist hier kritisch zu sehen. Für unseren umfangreichen Altbestand gilt, dass wir weiterhin bei unseren niedrigen Mieten bleiben werden.

myheimat: Ein weiteres wichtiges Themenfeld für die Zukunftsfähigkeit einer Stadt ist der Bereich Kinderbetreuung. Die Pläne, an der Bozener Straße einen Kindergarten zu errichten und den in Friedberg-West zu erweitern, gibt es seit 2019. In beiden Fällen ist es - aus unterschiedlichen Gründen - schwer, schnell Kitaplätze zu schaffen. Der Betreuungsbedarf in Friedberg wächst aber stetig. Hinzu kommen noch Flüchtlingskinder, für die eine Integration wichtig wäre. Eine verlässliche Planung ist aufgrund dieser vielen unvorhersehbaren Parameter fast unmöglich, oder?

Eichmann: In der Tat haben die letzten Jahre gezeigt, dass die Prognosen für die Kinderbetreuungsquote unter drei Jahren deutlich überschritten wurden. Dazu kamen die Flüchtlinge von 2015 ff. und aus der Ukraine, die natürlich so auch niemand vorhergesagt hatte. Wir sind gerade in der Ausschreibung des dreigruppigen Kindergartens „Unterm Berg“, sind bei der Realisierung der Erweiterung in Friedberg-West und in der Vorbereitung der Bozener Straße. Aber wir sehen die Problematik, dass die Träger vorhandene Räume nicht vollumfänglich nutzen können, weil das Personal fehlt. Das scheint mir immer mehr das eigentliche Problem zu sein.

myheimat:
Etwas verlässlicher können Sie sicher die Betreuung Ihrer eigenen Tochter planen. Wie fiel denn Ihre persönliche „Schlafbilanz“ im Jahr 2022 aus?

Eichmann (lacht): Meine Tochter Leonie werden wir tatsächlich Anfang 2023 für die Kinderkrippe anmelden, denn Mitte 2023 steht bei uns nochmal Nachwuchs an und dann wird das doch etwas viel. Mal sehen, ob und wo wir einen Platz bekommen, darüber entscheiden ja erstmal die Leitungen der Einrichtungen. Die Schlafbilanz 2022 war tatsächlich so defizitär, wie ich es dem städtischen Haushalt nie wünsche und 2023 verspricht da keine Besserung.

myheimat-Team:

Joachim Meyer aus Friedberg

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