Kindheit mit Krieg

3. August 2010
Schmale Wietze, Misburg
Meine Schwester und ich - ca. 1941
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Der Krieg war für uns Kinder nicht gerade lustig. Ich war zu Beginn 2 Jahre, meine Schwester Ilse gerade 7 Monate alt.

Aber manchmal doch:
Wir wohnten in einer Siedlung nahe des Waldes, bestehend aus Einfamilienhäusern mit Rasen vorm Haus und einer Ligusterhecke zur Straße hin. Die Straße bestand aus Schotter, worauf man wunderbar Huckekasten, Klipp und Völkerball spielen konnte.
Hinter der Hecke konnte man sich prima verstecken. Uns gegenüber wohnte "Blaumeise". Wir nannten sie so, weil sie immer eine blaue Kittelschürze trug. Sie mochte keine Kinder und wir mochten sie nicht, weil sie unsere Bälle, die beim Spielen in ihren Garten fielen, nicht wieder gab.
Immer, wenn die Sirenen heulten, war Fliegeralarm und wir mussten entweder in unseren Keller oder in den Bunker, je nachdem, wie schwer der Angriff der Bomber sein würde. "Blaumeise" hatte, wie wir wussten, panische Angst bei Fliegeralarm und stürmte beim ersten Heulton sofort los. Wir Kinder setzten uns also hinter unsere Hecke ihrem Haus gegenüber , fingen laut an zu "heulen" und freuten uns diebisch, wenn die arme Frau mit ihrem Koffer aus der Haustür Richtung Bunker rannte. Irgendwann erfuhr unsere Mutter davon und machte dem Spuk ein Ende.

Unser Keller war besonders abgestützt und mit festen Türen und Luftschutzbetten versehen worden. Bei leichteren oder weiter entfernten Luftangriffen versammelten sich die Nachbarn also bei uns. Das war immer lustig! Wir Kinder lagen im oberen Bett und alberten rum. Unser Nachbarjunge Herbert, etwa 13 Jahre älter als wir, flüsterte mit uns "pütschepü, pütschepü", wir lachten, vergaßen die Angst, hörten nicht mehr das Krachen der Bomben in der Ferne und schliefen ein. Noch heute sind wir ihm dankbar dafür; er wurde später und ist noch heute unser Onkel.

Bei stärkeren Angriffen in der Nähe mussten wir in den nahe gelegenen Bunker. Am Tage war es nicht gar so schlimm; aber die meisten Luftangriffe erfolgten in der Nacht. Unsere Mutter holte uns dann aus den Betten, zog erst mich und dann meine Schwester in Windeseile an. In der Zeit hatte ich mich oft wieder ausgezogen und war im Bett eingeschlafen. Mutter drückte mir das Verpflegungs-, meiner Schwester das Medikamentenköfferchen und jeder ihre Puppe in die Hände und schickte uns allein in die dunkle Nacht. Die Luft war vernebelt, hervorgerufen durch stinkenden Nebel aus Tonnen, die in der Nähe aufgestellt waren, um den Flugzeugen die Sicht zu erschweren. Wir stolperten über ein Feld hinter unserem Gemüsegarten - einmal hat meine Schwester einen Schuh verloren - , dann durch eine Häuserreihe hindurch bis zum Bunker, wo wir hinter den dicken Mauern und Eisentüren in Sicherheit waren. Dann kam die Angst um unsere Mutter, die unser Haus meistens in allerletzter Minute verließ. Sie war allein verantwortlich; unser Vater war in Russland.
Erst wenn die Sirenen Entwarnung heulten, konnten wir den Bunker verlassen, oft wieder aus dem Schlaf gerissen.
Einmal kamen wir morgens aus dem Bunker und fanden das Elternhaus unserer Freundin Isolde als Trümmerhaufen vor. Wir litten mit ihnen. Ein anderes Mal hatte die Bombe ein Loch in die Wand eines benachbarten Schweinestalls gerissen. (Alle Häuser hatten integrierte Ställe für die Selbstversorgung) Das Schwein überlebte und war auf der Flucht. An der fröhlichen, erfolgreichen Jagd beteiligte sich die gesamte Nachbarschaft. Das Schwein wurde anschließend provisorisch untergebracht, bis das Loch wieder geflickt war.

Eines Tages spazierten wir mit Freundinnen im Dorf herum, als es plötzlich Alarm gab. Schnell rannten wir in unseren Bunker, machten es uns gemütlich - wir waren fast die einzigen - und überhörten dabei die Entwarnung. Als wir nach Hause wollten, standen wir vor der verschlossenen, vergitterten Eisentür. Wir waren ganz allein! Verzweifelt riefen wir durch die Gitter um Hilfe, bis ein vorbei kommender Passant auf uns aufmerksam wurde. Er benachrichtigte den in der Nähe wohnenden Bunkerwart, der uns mit Schlüssel und Schimpfe befreite. Verheult kamen wir zu Hause an, wo unsere Mutter schon wartete.

Dann plötzlich, eines Tages ging es von Mund zu Mund "Der Krieg ist aus, die Amis sind schon auf der Autobahn!" Wir Kinder rannten durch den Wald zur Autobahnbrücke. Und tatsächlich rollten Lastwagen und Panzer unter der Brücke hindurch. Wir winkten und schrien "Gif mi Schokolet" - das hatten wir irgendwo aufgeschnappt - ; sie warfen tatsächlich Schokolade zu uns rüber und winkten freundlich zurück. Das sollte der Feind sein? Lachende "Neger" und dann noch Schokolade, was für ein Tag!

Sofort wurde das Foto von dem "Mann in Uniform mit Schnauzbart", das in der Küche hing, verbrannt. (Für uns Kinder schwer zu verstehen. Das ist doch unser geliebter Führer, dem wir immer zugejubelt haben.) Aus der Fahne schnitt unsere Mutter das Hakenkreuz heraus und nähte aus dem roten Stoff unsere geliebten "Fahnenkleider", kombiniert mit schwarzem Stoff, auf dem sich bunte Streublümchen verteilten.

Allein auf unser Dorf Misburg, jetzt Stadtteil von Hannover, sind ca. 40 000(!) Bomben gefallen. Hier befanden sich nämlich wichtige Industrieanlagen, wie die Erdöl Raffinerie und mehrere Zementwerke, die getroffen werden sollten.
Allerdings kamen unsere Leute auf die grandiose Idee, am Rande des Dorfes und Waldes auf freiem Gelände ein sogenanntes Schein-Ölwerk aufzubauen und zu beleuchten. Das echte Werk wurde getarnt und verdunkelt. Die meisten Bomben fielen also auf das Scheinwerk, wo man einen Bombentrichter neben dem anderen sehen konnte, die sich mit Wasser füllten. Wir Kinder haben darin später so manchen Frosch gefangen.
Als aber die echte Raffinerie doch mal getroffen wurde, stand "unsere Welt" tagelang in Flammen.

Meine Schwester und ich - ca. 1941
Kriegsspielzeug
Bürgerreporter:in:

Irmgard Richter-Brown aus Springe

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