Der Reichsadler als Flaschensiegel-Fund
Kaisertreue Peiner „Reichsbürger“ im 17. Jahrhundert ?

Flaschensiegel der Alleinregierung Rudolf August (Fundort: Peine)
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Auf dem Gebiet der Horst (westlich der Peiner Altstadt) liegt die Horstkirche (St. Nicolai), eine kleine Fachwerkkapelle und älteste noch erhaltene Kirche in Peine-Stadt. Es handelt sich um einen 1739 erbauten, rechtwinkligen kleinen Fachwerkbau. Auch die Kirchenglocke ist die älteste Glocke in Peine. Bereits um 1350 stand hier vermutlich eine Kapelle. 1760 umfasste der Weiler Horst zwei kleine Häuser und ein Frauenhospital. Bei Erdarbeiten in den Jahren 1990/91 barg ein Anwohner eine Vielzahl Flaschensiegel aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Neben dem häufigstem hoheitlichem Fundsiegel dieser Epoche im heutigem Bundesland Niedersachsen, dem „REMIGIO ALTISSIMI“ – Siegel für Herzog Rudolf August (Alleinregierung 1666-85), fand sich auch eine relativ große, grob-primitiv gestaltete Glasmarke mit einem Doppeladler (Reichsadler). Da das Siegel nahezu keine Wölbung aufweist, dürfte es sich um eine ehemals großvolumige Flasche (Bierflasche?) gehandelt haben. Der „Verkaufs Tariff für das Braunschweigische Glas=Magazin“ listet gut 100 Jahre später „Vom grünen Glas Bouteillen“ bis ca. 4,8 Liter, aber auch Weinflaschen bis ca. 3,75 Liter.
Zunächst erstaunt die Wahl dieses Symbols auf einer Flasche nach 1648 (die Möglichkeit einer älteren Herstellung und damit längeren Verwendung der Reichsadler-Flasche sollte man durchaus auch in Erwägung ziehen), als bekanntlich eine Vielzahl souveräner deutscher Kleinstaaten-Regenten eifrig anordneten „ihre“ diversen Landesprodukte mit den persönlichen Herrscher-Emblemen zu kennzeichnen. Doch auch andere Gefäße wurden noch weitaus später identisch markiert (Foto: Detail Steinzeug-Krug). Als Vorlagen für die Stempelanfertigungen waren damals die heutzutage geschätzten alten Reichstaler noch problemlos verfügbar.
Reichsadler nennt man den Adler derjenigen Staatsgebilde, die sich durch das Adlersymbol auf eine Reichsidee beziehen und – mittelbar oder unmittelbar – an die Tradition des Römischen Reiches anknüpfen oder diesen Anspruch verfolgen.

EIN PROSIT AUF KAISER UND REICH!

Ein Reichsadlerhumpen (siehe Foto) oder Adlerglas war ein vom 16. bis ins späte 18. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen beliebtes Trinkgefäß aus Glas, das als Verzierung einen doppelköpfigen Reichsadler trägt. Die Reichsadlerhumpen zeigten die Verbundenheit des Besitzers mit dem Reich und waren wegen ihrer dekorativen Wirkung und der leuchtenden Farben sehr beliebt. Aber auch aufgrund ihres großen Fassungsvermögens (bis um 3 Liter) wurden diese Trinkgefäße geschätzt.
Das ganze Mittelalter über bis in das 20. Jahrhundert war der Adler das Sinnbild für die – aus römischer Tradition übernommene – kaiserliche Amts- und Befehlsgewalt. Wie einige andere europäische Wappen-Adler leitet sich der Reichsadler aus den römischen Feldzeichen ab. Er bezieht sich in dieser Traditionslinie auf die herrschaftliche Befehlsgewalt als solche, das Imperium, und nicht auf die Person oder die Dynastie des Herrschers, denn die Caesaren führten den Adler nicht als persönliches oder dynastisches Emblem. Nach mittelalterlich-heraldischer Lesart aber steht der Adler primär für ein Territorium und die herrschaftliche Befehlsgewalt über dieses. Anknüpfend an die Ikonografie der Kaiser Ostroms wurde der Adler – zuerst mit einem Kopf, später allgemein zweiköpfig – europaweit zum Emblem der kaiserlichen Würde und Stellung.
Der Doppeladler geht auf Kaiser Sigismund und das Jahr 1433 zurück – in einer Übergangsphase symbolisiert der einfache Adler den römisch-deutschen König, der doppelköpfige den Kaiser. Er wurde bald darauf mit einer Auswahl an Wappen der Reichsstände auf den Flügeln belegt.
Der Adler galt sowohl als kaiserliches Symbol wie auch als Symbol des Reiches. Die Verwendung eines Adlers war daher auch immer ein Bekenntnis zu Kaiser und Reich und wurde von den römisch-deutschen Kaisern oft auch verliehen. So sind Adlerwappen typisch für viele freie Reichsstädte (z.B. Goslar), die Wert auf ihre Reichsunmittelbarkeit legten und sich keinem Territorialherrn unterwerfen wollten, und finden sich auch in Zunftwappen.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (so lässt sich das Flaschensiegel aus der Peiner Horst wie beschrieben zeitlich wohl eingrenzen), entstammten die Kaiser dem Geschlecht der Habsburger. Das Heilige Römische Reich erlosch am 6. August 1806 mit der Niederlegung der Reichskrone durch Kaiser Franz II.
Fotos/Repros: Verfasser
Quellen und weiterführende Literatur:
Akten/Fundmeldungen der IG-Glassiegel, Peine (1993/fortlaufend)
Koch, Jens: Glassiegel mit königlichen Monogrammen. Peine 1995.
Koch, Jens: Grabungsfunde aus der Peiner Altstadt. Peine 1997.
Koch, Jens u. Poser, Karl-Heinz: Verkaufstarif für das Braunschweigische Glas-Magazin von 1773. In: Die Flaschenpost, Heft 2/1999 S. 18-20.
Koch, Jens: Frühe Formbouteillen und Glassiegel. Ältere Glasmarken und Flaschen mit Hüttenzeichen. Peine 2016.
Siebmacher, Johann Ambrosius: Wappenbuch. Nürnberg 1605.
Wikipedia gemeinfrei

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