„Eintracht“ im 18. Jahrhundert.
Exotische Flaschensiegel-Funde auf der Holtensener Hütte - Braunschweiger Flaschen für Hannover?

4 Mariengroschen Hannover
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Die ehemals braunschweigische Glasmanufaktur Holzen am Ith, auch Grünglashütte von Holtensen genannt, bestand von 1744 bis 1768. Sie produzierte hauptsächlich Hohlglas in Form von Bouteillen und in geringerem Umfang auch Flachglas. Es handelte sich um eine der ersten ortsfesten Glashütten des Weserberglandes im Gegensatz zu den älteren Wanderglashütten. Die Glashütte in Holzen wurde im Jahr 1744 in der Regierungszeit des Braunschweiger Herzogs Carl I. gegründet. Sie diente der Produktion von Flaschen. Nahezu zeitgleich entstanden im braunschweigischen Weser-Distrikt eine Glashütte in Schorborn für Hohl- und Tafelglas und die Spiegelglashütte auf dem Grünen Plan.
Bei Ausgrabungen durch den ehemaligen Kreisarchäologen Dr. Christian Leiber (Holzminden) wurden zwischen 2000 und 2005 die Relikte der Hütte Holzen freigelegt, die im Garten eines Privatgrundstücks liegen. Dabei wurden und anderem zahlreiche verschiedene Flaschensiegel gefunden. In 7 Exemplaren sind dabei auch Siegel mit Hannover-Bezug entdeckt worden, die amtlichen Charakter anzeigen (Fundmeldung an den Verfasser durch C. Leiber).
Sie bilden alte Embleme für die Stadt Hannover ab: Ein steigender Löwe (wohl dem welfischen Wappen entlehnt) nach rechts. Er „hält“ mittig ein Kleeblatt (auch vor-metrisches Eichzeichen für Hannover); daneben befindet sich rechts eine Maßangabe „2“ (wohl für 2 Quartier, etwa 1,9 Liter). Der Hüttenbetreiber oder der mutmaßliche Besteller der Flaschen (ein Wirt oder Glashändler aus Hannover?) ist im unteren Bereich mit „W“ vermerkt (Foto).

Rösser, Löwen und ein Kleeblatt

1482 erscheinen erstmals auf einer Münze (Groschen) die beiden Elemente des Stadtwappens, das bewehrte Tor auf der Vorderseite und das Kleeblatt auf der Rückseite der Münze mit einer treffenden lateinischen Devise die übersetzt lautet: „Gelobt sei die Heilige Dreifaltigkeit“. Frühe Siegel der Stadt Hannover zeigen die Mauer mit offenem Tor und den Löwen zwischen den Türmen, aber noch ohne Kleeblatt. Das Secretsiegel der Stadt aus dem Jahr 1534 übernimmt erstmals das Kleeblatt in das Stadtwappen Hannovers. Die alten Mariengroschen der Stadt Hannover (Foto) reduzieren das „Stadt-Logo“ dann bereits nur auf Kleeblatt und Löwen. Sie dürften dem Stempelschneider als geeignete Vorlage für eine entsprechende Petschaft gedient haben.

Ähnlich den Holzener Funden an Hannover-Flaschensiegeln sind die späteren Eichzeichen im Königreich Hannover (ab 1814) gestaltet. Nach 1837 wurde das Sachsenross links neben dem Wappen oder Namenszeichen der Stadt die die Eichung durchführte (Eichamt) zum Pflichtzeichen. Schon zwischen 1819-24 fand eine Rückbesinnung auf das alte Sachsenross auch für gesiegelte Schankflaschen statt. Pferd, Gehalt und Hüttenstempel wurden ab dato den hannoverschen Glasfabriken und Wirten für diese Flaschen vorgeschrieben.
Falls in Holzen einst nicht in sehr großem Umfang altes „ausländisches“ Bruchglas von der Hütte verwertet wurde, so ist eine Produktion „fremder Bouteillen“ für eine Bestellung aus dem „Ausland“ in dieser eigentlich braunschweigischen Glashütte naheliegend, eine damals durchaus schon gängige Praxis!
Zitate aus einem Bericht des Revisors Georg Christoph Seebaß der Schorborner Hütte (siehe unten) um 1781 beschreiben diese Praxis eindeutig:
„Es sind auch nur einerley Formen bei der grünen Hütte (Bereits 1775 wurde die Grünglasproduktion aufgrund Holzmangels in Schorborn in das nur 2,9 Kilometer südöstlich gelegene Pilgrim bei Heinade verlegt!) in Gebrauch, und wenn ja eine Bestellung aus dem hildesheimischen eingeht, so werden die Bouteillen in die ordinäre braunschweiger Form geblasen, und nur anders eingestochen… Die Bier Bouteillen werden aus freier Hand und bloß nach dem Augenmaß gemacht, und ich überreiche hierbey zu hoher und gnädigst gefälliger Untersuchung eine Kannen Bier Bouteille (etwa 1,8 Liter).“

Offensichtlich war der Revisions-Bericht als eine Art Bestandsaufnahme zur Situation in Schorborn vom neuen Regenten im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel Karl Wilhelm Ferdinand (Sohn Karls I., reg. 1780-1806) angefordert worden, der jedoch keine Ambitionen zu radikalen Eingriffen in das Glaswesen zeigte und erst am 11. September 1806 (kurz vor seinem Tod) für die braunschweigischen Weinbouteillen das Hüttenkürzel SH anordnete. Die „Auslands-Einkünfte“ der fürstlich-braunschweigischen Glashütten waren um die Mitte des 18. Jahrhunderts bereits derart hoch, dass Kur-Hannover 1767 mit der Genehmigung der Grünglashütte im Bramwald (bei Hann. Münden) durch König Georg III. gegensteuerte, um sich nicht vollständig von dieser auswärtigen Glaswaren-Versorgung abhängig zu machen.

Funde einer Petschaft oder eines Probesiegels als absolut sicherere Belege für eine Fertigung der Hannover-Bouteillen in Holzen liegen leider nicht vor. Auch sind derartige Siegel bisher nicht als Konsumenten-Funde aus der Region Hannover bekannt. Eine genaue zeitliche Einordnung (gesichert jedoch vor 1768) der Hannover-Siegel aus dem Fundkomplex Holzen sollte man auch daher eher breit vornehmen (um Mitte 18. Jahrhundert). Ohne eine entsprechende Schriftquelle (Edikt) gibt es für den emblematischen Alleingang (seit 1718 war eigentlich das Pferd als Siegel der kur-hannoverschen Bouteillen Vorschrift) Hannovers unterschiedliche Deutungsmodelle.

Hannover 1755 – König „kneift“– Krieg und Chaos!

Aufgrund der Tatsache, dass Kurhannover durch die Personalunion seiner Landesherren mit Großbritannien dessen Politik teilen musste, wurde man zwangsläufig in die Wirren des Siebenjährigen Krieges einbezogen. Bereits 1755, als sich die Vorboten dieses Krieges zeigten, verließ König Georg II. eilig Herrenhausen und begab sich ins geschützte Großbritannien. Bündnispartner Preußen, das 1757 durch den Präventivangriff auf Sachsen den Krieg eröffnete, sollte auch Hannover schützen und Frankreich treffen. Frankreich wollte durch die Besetzung Kurhannovers Großbritannien schädigen, mit dem es schon länger in Auseinandersetzungen lag. Nach der Schlacht bei Hastenbeck am 27. Juli 1757 stand Hannover den siegreichen Franzosen offen, wurde geplündert und musste als Garnison die Truppen und ein Lazarett aufnehmen. Diese zogen sich im Frühjahr 1758 wieder aus der Stadt zurück, um vor den preußischen Truppen zu weichen. In den folgenden Jahren erschienen die Franzosen noch öfters vor den Toren der Stadt, konnten sie jedoch nicht wieder einnehmen. Siegreich endete endlich am 1. August 1759 für den legendären „Hannover-Befreier“ Ferdinand (Einer der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg und Generalfeldmarschall in preußischen und kurhannoverschen bzw. britischen Diensten, Bruder Carls I.) als Heerführer dieser alliierten Verbände die Schlacht bei Minden mit dem Rückzug der Franzosen.
Man könnte annehmen, dass in der kurzen Besatzungs-Episode (und unmittelbar danach) Hannovers der ordnungsgemäßen Markierung hannoverscher Bouteillen kaum ernsthaft Aufmerksamkeit geschenkt wurde, was eine Erklärung für die Holzener Sonderformen wäre.
König-Kurfürst Georg III. (reg. 1760 – 1820) sprach kein Deutsch; residierte in London; war angeblich nie in Hannover! Fast ein halbes Jahrhundert nach dem Pferde-Edikt von 1718 riskierte man in Hannover möglicherweise letztlich auch deswegen den oben beschriebenen kurzfristigen Wechsel der Flaschen-Markierungen. Die bekannte gesetzliche Einführung der sogenannten Georg-Rex-Bouteillen von 1773 könnte man diesbezüglich sogar als verzögerte Reaktion der Obrigkeit auf die Vorgehensweise werten.

Fotos/Repros: Verfasser

Quellen und weiterführende Literatur:
Akten/Fundmeldungen der IG-Glassiegel, Peine (1993/fortlaufend).
Koch, Jens: Glassiegel mit königlichen Monogrammen. Peine 1995.
Koch, Jens: Frühe Formbouteillen und Glassiegel. Ältere Glasmarken und Flaschen mit Hüttenzeichen. Peine 2016.
Koch, Jens: Hohlglas – Ein Luxusgut in alten Zeiten? Zur Frage des hiesigen Glas-Recyclings in der frühen Neuzeit. In: Braunschweigische Heimat, Heft 1/2017. S. 23-25.
Wikipedia gemeinfrei

Für seine Hinweise zu den historischen hannoverschen Eichzeichen danke ich insbesondere Herrn Wilhelm Neubert, Braunschweig. Mein Dank gilt auch Ute Bartelt (archäologische Denkmalpflege Region Hannover) für ihre Auskünfte in Sachen „Kleeblatt-Siegel“.

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