Überhaupt kein Grund, lauthals zu singen...

eine satirische Fabel - oder eine fabelhafte Satire?

Lerchenmüller war ein eigentartiger Zeitgenosse. So viele Träume, Pläne und Ziele hatte er, und dennoch..., trotz seiner subjektiv empfundenen Grandiosität wollte es ihm einfach nicht so recht gelingen, auch nur einen seiner gedanklichen Höhenflüge in die Tat umzusetzen.
Durch alles und jeden fühlte er sich stets daran gehindert, wirklich ganz nach oben zu kommen und richtig Karriere machen zu können. All seine Mitmschen, so dachte er, schienen es stets ganz besonders darauf abgesehen zu haben, ihn zu behindern und ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen, wo es nur ging.
Und so klammerte er sich weiter an die eine Hoffnung, irgend jemand würde ihn eines Tages aus der Misere befreien oder irgend ein Zufall würde ihm schon zu Hilfe kommen.
Und dann würde er es aber allen zeigen...!

Da hatte er eines Nachts einen sonderbaren Traum:

Inmitten einer Wüste saß er auf einem Stein und starrte mißmutig, mit sich und der ganzen Welt unzufrieden wie eh und je, in die unendliche Weite.
Eine ganze Weile saß er so da, als plötzlich ein Wicht neben ihm auftauchte.
"Was willst du von mir, wer bist du?", fragte Lerchenmüller ihn mütrrisch.

"Ich bin der Wüstenwunschzwerg und ich werde, wenn du willst, dein sehnlichtes Begehren für dieses eine Mal gerne erfüllen!", antwortete er.

"Ach einmal nur...", trug Lerchenmüller ihm seufzend vor, "nur ein einziges Mal möchte ich mich über alles und jeden erheben dürfen, möchte abheben, davoneilen und aus unerreichbaren Höhen auf all meine Widersacher herabsehen können!"
Und noch im gleichen Augenblick nahm ihm der Wunschzwerg seine Identität mit einem Müller und verwandelte ihn augenblicklich in eine Lerche.
Voller Freude stimmte er sogleich einen wunderbaren Gesang an, hob ab und schwang sich in dem einer Lerche eigenen, steil aufsteigenden Rüttelflug höherwärts. Die Wüsten, Berge, Meere und dort all jene zurücklassend, die ihn stets am Emporkommen gehindert hatten, stieg er höher und höher, jubilierend und zwitschernd vor Freunde, es endlich geschafft zu haben.
Je höher er aufstieg, desto kälter wurde es allerdings. Aber was kümmerte es ihn. Er mußte einfach weiter nach oben. Hinauf, hinauf! Die ganze Welt wollte er unter seinen Fittichen haben.
Da erfaßte ihn plötzliche ein eiskalter Wind und ließ ihn augenblicklich zu Eis erstarren. Unfähig, auch nur noch einen Flügelschlag zu tun, begann er zu fallen, zu fallen, zu fallen, immer schneller, der Erde entgegen.
Der Aufschlag war hart und raubte im kurzzeitig die Besinnung.
So lag er, noch immer zu Eis erstarrt, eine ganze Weile auf dem kargen Wüstenboden umher, als ein Kamel des Weges kam. Erstaunt hielt es inne und beschnupperte ihn neugierig von allen Seiten.
Plötzlich drehte sich das Kamel unvermittelt um, platzierte sein Hinterteil genau über ihm, hob den Schwanz und entleerte seinen Darm.
Entsetzt und voller abscheu starrte Lerchenmüller durch seien Eispanzer den herabfallenden Massen entgegen. Das Kamel indes, trottete, sichtlich erleichtert, gemächlich von dannen.
Die ihn umgebende Masse wärmte ihn jedoch auf wundersame Weise. schon wenige Augenblicke später erwachte er daher aus seiner Starre und streckte den Kopf aus dem Fladen. Vorlauter Freude darüber, dass er noch am Leben war, stimmte er sogleich das schönste Lied seines Repertoires an. Lauter und lauter hob sich sein Gesang. Die ganze Welt sollte hören, dass ein Lerchenmüller nicht so leicht klein zu kriegen war. Ja, richtig hineinsteigern konnte er sich hierbei und seine Stimme überschlug sich förmlich!
Dies vernahm offenbar auch ein Wüstenfuchs, der sich durch den Gesang in seiner Mittagsruhe gestört sah. Neugierig, aber auch voller Grimm schlich er sich daher näher.
Als Lerchenmüller den Fuchs kommen sah, versagrte ihm augenblicklich die Stimme. Die Gefahr ahnend, versuchte er noch, sich tiefer in seinen warmen Fladen zu ducken. Jedoch es war zu spät.
Mit einem Satz war der Fuchs bei ihm, packte ihn knurrend, zog ihn aus dem Fladen und nachdem er ihn abgeschüttelt hatte, dass die Federn nur so flogen, fraß er ihn auf der Stelle auf.

Hier erwachte Lerchenmüller wieder von seinem Traum - schweißgebadet.

Schlagartig wurde ihm deutlich, dass es gar nicht so erstrebenswert ist, derart hoch hinaus zu wollen, weil man umso tiefer fallen kann, je höher man steigt und der Aufschlag oftmals eben recht hart sein kann.
Gleichzeitig wurde ihm aber auch klar, dass nicht jeder, der auf ihn scheißt, gleich ein Feind sein muß.
Andererseits muß sich aber auch nicht jeder, der ihn aus der Scheiße zieht, unbedingt als Freund erweisen.
Die wichtigste Erkenntnis war für ihn allerdings die, dass es, wenn man schon bis zum Hals in der Scheiße sitzt, keinen Grund gibt, auch noch lauthals zu singen!

aus: W. Kreiner - "kein Grund, lauthals zu singen" (Titelgeschichte)
Heiteres, Satirisches, Nachdenkliches sowie Cartoons
203 Seiten Paperback, ISBN: 978-3-935192-25-5
Gryphon-Verlag München

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

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