Sternenkinder-Initiative Meitingen
Oster- und Weihnachtswichtel - Eine Sternenkind-Geschichte

Oster- und Weihnachtswichtel
- Eine Sternenkind-Geschichte -

Ostern war schon ein paar Wochen vorbei und ich schob mir genüsslich mein letztes Schokoladenei in den Mund. Stolz wie Bolle war ich, weil ich mir die Schokolade auf mehrere Wochen aufgeteilt hatte und nicht gleich alles in der ersten Woche aufgemampft wie mein großer Bruder Ben.
Mama und Papa hatten den Mittagstisch gerade abgeräumt und stellten nun Sektgläser mit Orangensaft auf den Tisch. „Wir haben noch eine Überraschung.“, sagte Mama geheimnisvoll.
„Der Osterhase hat nämlich noch ein Geschenk versteckt.“ Sofort überlegte ich fieberhaft, wo ich am Ostersonntag nicht nachgesehen hatte. „Ah klar, das Vogelhäuschen!“, rief ich und war schon auf dem Weg zur Haustüre als mich Papa ausbremste: „Nein nein, nicht im Vogelhäuschen. Bei Mama hat sich ein Baby eingenistet. Ein paar Monate muss es noch wachsen und im Dezember werden wir es knuddeln dürfen.“
Na das war ja viel toller als noch ein Osterhasennest! Ich jubelte und hopste und begann sogleich Pläne zu schmieden: „Da baue ich dieses Jahr eine lebendige Krippe! Ich bin die Maria, das Baby ist das Jesukind, meine Hasen spielen Ochs und Esel. Ach und Ben darf den Josef spielen. Das wird wunderbar!“ Ben erwiderte nur brummelnd: „Seh ich etwa aus wie Josef?“ „Nee, eher wie ein Esel!“, gab ich lachend zurück. Auch wenn Ben es nicht gleich zeigen konnte, er freute sich genauso wie alle anderen auf unser Baby. Mit Orangensaft stießen wir auf diese Neuigkeit an.

Ein paar Tage später kam Mama etwas blass um die Nase vom Arzt nach Hause und zeigte uns zwei Ultraschallbilder. „Das ist unsere Osterüberraschung und das ist noch eine zusätzliche Weihnachtsüberraschung. Wir bekommen Zwillinge!“ „Hatte die Maria denn noch ein Baby irgendwo im Heu abgelegt? Was mache ich denn nun mit dem zweiten Baby?,“ fragte ich. „Na, dann kannst du, wenn dein Jesukindlein weint, es einfach Mama in den Arm drücken und dein zweites Jesukindlein in deine lebendige Krippe legen.“ „Oder falls Du Stunts einplanst, hast du ein extra Baby für die Stunt-Szenen.“, meinte mein Bruder. „Also da habe ich allerdings etwas dagegen!“, mischte sich Papa lachend ein.

In den nächsten Wochen kreisten alle Familienmitglieder um Mamas immer dicker werdenden Bauch. Es wurden Anschaffungen getätigt (ein grösseres Auto, eine andere Trage u.n.v.m.) und alte Babyklamotten aus den Kartons im Keller geholt. Die Vorfreude war riesig! Endlich würde ich große Schwester sein dürfen!

An einem Freitag fuhren Mama und Papa zur Vorsorge zu einem besonderen Arzt, der einen großen feinen Ultraschall machen sollte. Oma passte in der Zwischenzeit auf Ben und mich auf.
Stunden später kamen Mama und Papa zurück. Zuerst dachte ich, ihre Gesichter sind vom Regen nass... …aber es waren Tränen. Und ich musste einfach mit weinen als Mama sagte, dass ein Zwilling zwar momentan munter in seiner Fruchtblase schwebte, aber wohl nicht so wächst, wie er laut Arzt sollte. Womöglich würde dieser noch in Mamas Bauch, während oder kurz nach der Geburt versterben. Plötzlich war alles anders. War ich vielleicht Schuld daran, weil ich nur ein Baby in meiner lebendigen Krippe benötigte? Oder weil ich Mama letztens geärgert hatte, weil ich auf dem Nachhauseweg vom Kindergarten so getrödelt habe?

Die folgenden Tage verbrachte Mama viel im Bett. Papa hatte sich frei genommen und kümmerte sich um alles. Ben verzog sich oft in sein Zimmer und hörte Musik. Ich malte viel und kroch ab und an zu Mama ins Bett. Am vierten Tag kam mir dann eine Idee, die ich sofort Ben und Papa erzählen musste: „Wir wollten doch alle mit unseren Oster- und Weihnachtswichtel-Babys Weihnachten feiern. Wenn unser Osterwichtelbaby nun im Mamabauch versterben sollte, sollten wir Weihnachten einfach schon mal jetzt feiern, damit das Baby weiß, wie sich Weihnachten anfühlt. Es soll wenigstens ein Weihnachtsfest auf Erden miterleben können.“

Papa runzelte die Stirn. Ben zögerte kurz, schnappte sich aber dann ein Blatt und einen Stift und fing an, alles zu planen.

Es war, als wären Papa, Ben und ich aus unserer Schockstarre erwacht. Eifrig holten wir die Weihnachtsdeko vom Dachboden, dekorierten, backten Plätzchen und kauften Zutaten und Geschenke ein für unseren vorgezogenen Heiligabend.

Mama bekam von den Vorbereitungen nichts mit. Zumindest bis wir sie in das ebenfalls festlich geschmückte Badezimmer schoben, in dem wir ganz viele Teelichter am Badewannenrand drapiert und ihr ein schönes warmes Bad eingelassen hatten. Danach durfte sie in ihr schönes blaues Sommer-Umstandskleid schlüpfen und zu uns ins Wohnzimmer kommen. Sie staunte nicht schlecht, was sie dort erwartete: Unser im letzten Jahr selbst gebastelter Weihnachtsbaum aus Treibgut samt Weihnachtskugeln und Zuckerstangen aus Glas stand mitten im Wohnzimmer, darunter für jeden – auch für unsere Babys – je ein Geschenk. Auf einem Weihnachtsteller stapelten sich unsere mit Zuckerstreuseln bunt verzierten Butterplätzchen und aus der Küche duftete es nach Käsespätzle. Während draußen die Vögel zwitscherten, stimmten Ben und ich drinnen „Oh Tannenbaum“ an. Papa und sogar Mama sangen bei der zweiten Strophe dann mit.
Es war ein richtig gelungenes Fest. Wir lachten, wir weinten und wir waren in dem Moment einfach glücklich einander zu haben.

Sonst hatte uns an Weihnachten immer Mama ins Bett gebracht, dieses mal begleiteten wir sie nach der Feier ins Bett und legten ihr die neue Spieluhr auf den Bauch, damit auch die Babys wohlbehütet einschlafen konnten.

Der Sommer ging, der Herbst ließ die Blätter gelb leuchten und schließlich herabfallen. Es wurde bald schon früher dunkel und der Winter samt unserer Zwillinge kündigte sich an.

Am 24.12. konnte ich meinen vierzehn Tage alten Bruder Niko mit Hilfe von Papa in die Krippe unter unserem Weihnachtsbaum legen. Ben hatte sich als Josef verkleidet und meine Hasen durften draußen im Stall ihr Weihnachtsfestessen mümmeln. Mama hatte gemeint, wegen der Hasenbollerei wäre es wohl keine gute Idee, die beiden als Ochs und Esel im Wohnzimmer hoppeln zu lassen.
Über unserer lebenden Krippe hatte ich noch einen Osterwichtel gehängt. Dieser Osterwichtel steht für unser verstorbenes Zwillingsbaby Jonas. Einen Tag durften wir zusammen mit ihm verbringen ehe er zurück zu seinem Wichtelstern reisen musste.

Mama und Papa haben uns übrigens ihr Indianer-Ehrenwort gegeben, dass keiner Schuld am Tod von unserem Sternenbaby Jonas hat. Der Himmel hat von seinen beiden süßesten Wichteln nur einen entbehren können. Aber Jonas wird sicher auch neben all seinen himmlischen Aufgaben auch ab und zu schauen, wie es seiner Familie auf Erden geht.

Ein gesegneten dritten Advent wünscht die Sternenkinder-Initiative Meitingen

Text/Foto von Kessler Nicole
Plätzchen gekauft bei Marija Skrobo-Jakobovic - Backmagie by SJ -
(und auch dieses Jahr wieder für himmlisch gut befunden)

Text/Foto darf gerne geteilt und unter Nennung des Urhebers zu nicht kommerziellen Zwecken verwendet werden.

Bürgerreporter:in:

Nicole Kessler aus Meitingen

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