„…dann kam der Schlag auf den Kopf…“ - Wenn Fußballspieler-Väter ausrasten

Erste Aufnahmen, die in der Gemeinschaftspraxis Dr. Wald / Dr. Dülschner in Langweid gemacht wurden, zeigen Blutergüsse und Schwellungen an Raabs linkem Ohr.
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  • Erste Aufnahmen, die in der Gemeinschaftspraxis Dr. Wald / Dr. Dülschner in Langweid gemacht wurden, zeigen Blutergüsse und Schwellungen an Raabs linkem Ohr.
  • hochgeladen von Wolfgang Prokoph

Achsheim/Gersthofen
Wer hätte gedacht, dass Bilder, wie die der brutalen Schläger in der Münchener U-Bahn im Dezember letzten Jahres, auch im Landkreis Augsburg so schnell Realität werden können? Wahrscheinlich niemand! Genauso wenig Heinz Raab aus Achsheim.

Der regional bekannte Schiedsrichter ist am 23. August bei einem Landesliga-Fußballspiel, in dem der TSV Gersthofen den TSV Schwabmünchen empfängt, als Zuschauer. Raab, der in seiner Schiedsrichterkarriere, auch als Linienrichter in der Landesliga schon viel erlebt hat, sieht sich mit einem mal einem Spielervater gegenüber, der schon während des Spiels mehrmals verbal aggressiv wird. Kurz nach Anpfiff der zweiten Halbzeit beweist Heinz Raab Zivilcourage und fordert den Vater eines Gersthofener Spielers auf: „Jetzt halt doch mal die Klappe! Schämst Du Dich eigentlich nicht? Neben Dir stehen auch noch Kinder, die das nicht mitbekommen müssen!“
Von da an hat ihn Kemal C. auf dem Kieker, droht ihn zu schlagen, steigt sogar zwei Reihen nach hinten zu Raab, packt ihn leicht an der Jacke und flüstert ihm in Oliver Kahn-Manier ganz nah ins Ohr, dass er ihn heute noch zusammenschlagen werde.

„Er machte den Arm lang, und ballte seine Faust. Ich dachte noch, gleich haut er zu“, erzählt uns Raab im Interview. Erst als ein Zuschauer dazwischen geht, lässt der aggressive Mann von dem 50jährigen ab. „Danach drohte er mir immer wieder von der vorderen Reihe aus. Du W***r, Du Drecksau, Du sch***e Sau, heute erwische ich Dich noch und hau’ Dir Dein Maul voll! Dabei zeigte er mir auch den berühmten Effe-Finger.“

„…ich habe nur gemerkt, dass etwas schnell auf mich von hinten zukommt…“

Zu Beginn des Spiels soll es keine bestimmte Situation gegeben haben, die den türkischen Vater so hätte aufbringen können. Immer wieder pöbelt er gegen den Schiedsrichter und die Spieler des TSV Schwabmünchen. „Schlimm wurde es erst, als sein Sohn gegen Ende der Begegnung vom Gersthofener Trainer ausgewechselt wurde. Da hat er sich dann mich als Sündenbock rausgesucht, weil ich ihm eben schon vorher die Stirn geboten habe“, erinnert sich Raab. „So geht es in unserer Umgebung eigentlich nicht zu. Die Leute zahlen viel Geld für so ein Spiel. Da wollen sie ihre Ruhe und kein Gepöbel und Gestreite haben!“, erklärt Raab weiter.
„Nach dem Abpfiff wollte er wieder zu mir nach oben. Einer der Ehrengäste ging dazwischen und sagte, er solle nun endlich Ruhe geben, und ist dann mit Kemal C. hinaus gegangen. Ich habe mich derweilen mit dem Schiedsrichterbeobachter über die Leistung des Schiris unterhalten. Wir verabschiedeten uns, ich bin durch den Mittelgang in Richtung Kabinen gelaufen, und habe Kemal C. von dort aus im Biergarten stehen sehen.“

Aber genau in diesem Moment, als Heinz Raab denkt, jetzt könne ihm nichts mehr passieren, und er das Gelände verlassen will, geschieht das Unfassbare. Der Mann sprintet vom Biergarten durch die Menge und fällt Raab hinterrücks an.
„Ich habe nur gemerkt, dass irgendwas schnell auf mich von hinten zukommt. Als ich den Kopf leicht nach links hinten drehte, spürte ich den ersten Faustschlag gegen meine Schläfe und ging sofort zu Boden. Während ich fiel trat er mir noch mit dem Fuß in die linke Gesichtshälfte. Von da an weiß ich nichts mehr.“

Gut 10 Minuten lang ist Raab bewusstlos, liegt zitternd und wehrlos, wie Augenzeugen berichten, vor dem völlig ausgerasteten Kemal C., der ihm immer wieder mit dem Fuß in den Oberkörper tritt. Die massive Gewalt in die Nieren-, Rippen- und Schultergegend bekommt Raab zu seinem Glück schon nicht mehr mit.

Erst als zwei Ordner zu Hilfe kommen, und den Türken von seinem Opfer wegzerren, hört das brutale Nachtreten auf. Der Täter versucht zu fliehen, was ihm allerdings misslingt.
Wie sich im Nachhinein herausstellt, war Kemal C. offenbar stark alkoholisiert und hatte wohl auch noch Betäubungsmittel zu sich genommen.

Alles, was Raab während der kurzen Phasen, in denen er die Augen öffnen kann merkt, ist, dass ihn Claudia Fischer vom TSV Schwabmünchen, umsorgt und versucht, ihn anzusprechen, ihn wach zu halten.
Das Erste, woran sich Heinz Raab erinnert, ist die Notaufnahme des Augsburger Klinikums: „Es gab Untersuchungen wegen Verdachts auf innere Blutungen. Da ich nach einer Operation im Juni das Medikament Marcumar zur Blutverdünnung nehme, wurde ich vorrangig vor allen anderen Patienten behandelt. Gott sei Dank gab es keine Auffälligkeiten. Erst im Schockraum, wo man mich mit Ultraschall untersuchte, wurden alle Verletzungen festgehalten.“
Prellungen im Nierenbereich, Prellungen im rechten Rippenbereich und an der linken Schläfe, am linken Ohr (s. Bilder) an seinem Hinterkopf, und im Schulterbereich links… Die Liste der Verletzungen ist lang.

„Nachts um Drei wurde ich auf die Station verlegt. Mein Blutdruck lag bei 210. Erst nach den Schmerzmitteln konnte ich einigermaßen schlafen, und bin bereits am nächsten Tag entlassen worden. Als ich mich am Dienstag darauf gegen Mittag zuhause hinlegte, wachte ich danach mit großen Kopfschmerzen auf. Irgendwas stimmte mit meinem Gesicht nicht.“
Sofort alarmiert seine Frau Rosmarie die Ärzte. Raab kommt mit Verdacht auf Hirnblutung wieder in die Notaufnahme des Augsburger Klinikums. Hier diagnostiziert man eine linksseitige Gesichtslähmung. „Es war schlimm. Mein linker Mundwinkel hing runter, ich konnte meinen Speichel nicht mehr bei mir behalten… einfach nur schlimm!“
Die Ärzte bestätigen, dass die Schwellung durch den Schlag auf die Schläfe auf seine Nerven gedrückt hat. Erst mit dem Abklingen wurde es wieder besser.

„…die Psyche macht mir mehr zu schaffen…“

„Der Heilungsprozess geht mit den Prellungen eher schleppend voran“, klagt Heinz Raab. „Die Psyche macht mir aber mehr zu schaffen. Ich habe Angstzustände, wache nachts auf, und denke mir, ist mir das wirklich alles passiert? Nachts gehe ich gar nicht mehr vor die Tür. Kemal C. ist für mich eine tickende Zeitbombe. Wer weiß, was dem alles einfällt? Gerade jetzt, wo noch so Einiges auf ihn zukommen wird!“

Raabs Rechtsanwältin, Charlotte Ratzenberger-Seitz: „Der Täter wird aller Vorsaussicht nach mit einer Anklage wegen schwerer Körperverletzung und weiterer Delikte rechnen müssen. Nur so viel: Von der Brutalität und Aggressivität ist der Fall meines Mandanten durchaus mit der U-Bahn-Schlägerei in München zu vergleichen. Ich bin sicher, dass der Täter seiner gerechten Strafe zugeführt wird. Meist ist der Fall für die Opfer jedoch nicht abgeschlossen. Die besondere Problematik liegt darin, dass Letztere bei derartigen Taten neben den körperlichen Beschwerden auch mit gravierenden psychischen Folgen dauerhaft belastet sind.“

Raab steht nach wie vor unter ärztlicher Überwachung. Gut zwei Wochen nach der Attacke gegen ihn, sieht er alles auch aus einer gewissen Distanz: „Fußballspiele auf dem Land werden interessanter, auch etwas härter, aber nie gegen oder unter Zuschauern. Was mir da passiert ist, könnte jedem beim Einkaufen, im Zug oder Bus passieren, wenn ein Mensch, der seine Hemmschwelle überschritten hat, so kaltblütig angreift. Das hat nichts mit dem TSV Gersthofen zu tun. Die leisten gute Arbeit im Ordnungsdienst. Nur ist es ja nicht möglich, dass man zu jedem Gast oder Zuschauer auch einen Ordnungsdienst hinstellt. Wenn so etwas passiert kann nie der Verein schuld sein. Solche Typen gehen nur auf den Sportplatz, um zu randalieren und zu schlägern. Beim Betreten des Geländes ist das nur schlecht zu erkennen.“

"...nicht alle sind gleich..."

Gefreut hat er sich über die zahlreichen Anrufe seitens des TSV Gersthofen. Mehrfach erkundigte sich der Verein nach seiner Gesundheit. Genauso taten dies die Schiedsrichtervereinigung und das Sportgericht. Auch, und das freut Raab besonders, sehr viele türkische Mitbürger haben sich bei ihm gemeldet, die sich von ihrem aggressiven Landsmann distanzieren wollen. „Deswegen darf man auch nicht gleich alle Türken in einen Topf schmeißen. In allen Bevölkerungsgruppen gibt es solche und solche. Es war nur einer von vielen, der hier über die Strenge geschlagen hat.“

Eine ehrliche Entschuldigung erwartet Raab allerdings nicht von seinem Peiniger. „Die gibt’s wahrscheinlich nur auf das Anraten seines Rechtsanwaltes hin. Dies könnte sich vor Gericht nämlich strafmildernd für Kemal C. auswirken.“

Auch mit dem Verzeihen ist das so eine Sache: “Das ist immer im Kopf gespeichert. Die Psyche wird für immer angeknackst bleiben. Mit einer Entschuldigung alleine kommt er bei mir nicht an. Dafür ist bei mir und in mir in diesem Moment einfach zu viel kaputt gegangen. Es geht mir nicht um Schmerzensgeld, es geht mir nur darum, dass solche Leute nicht auf unsere Sportplätze gehören, und dass auch alle, die so was miterleben oder sehen, sich stark machen, zu zweit oder zu dritt hingehen und eingreifen. Immer daran denken: Wie würde es jetzt mir an Stelle des Opfers gehen?“

Als Schiri wird Heinz Raab nicht mehr auf den Platz gehen. Das hat allerdings weniger mit diesem Vorfall zu tun. Am Ende des Interviews kam doch wieder ein bisschen der alte Heinz Raab durch, als er grinsend meint: „Mit 50 erkennt man, dass Fußball immer schneller wird, und man sich ab einem gewissen Alter einfach eingestehen muss, dass es dann doch nicht mehr geht.“

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Prokoph aus Meitingen

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