Ein altes Lied und seine Herkunft
Wer will schon gerne ein Schaf sein

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Im Mai diesen Jahres war ich auf der Insel Texel. Dort konnte man auf einem Bauernhof Lämmer kuscheln. Ich habe es sehr genossen - aber ich war ja auch der Mensch. Bei den Tieren spürte ich doch eher eine große Schutzbedürftigkeit und sie waren sicher oft froh, wenn die großen und kleinen Leute mit ihren tausend Händen wieder abzogen.

Es ist schon verwunderlich, dass sich der große König und Kriegsheld David in der Bibel mit einem solchen Schaf vergleicht (Psalm 23 Der Herr ist mein Hirte...) Der David, der schon als junger Bursche die Raubtiere von der Schafherde seines Vaters vertrieb und die menschliche Kampfmaschine Goliath umnietete. Sind wir starken Menschen vielleicht nicht immer so heldenhaft, ja, manchmal sogar schwach? Nicht umsonst sind die Filme so erfolgreich, in denen unverletzbare Superhelden mal eben die Welt retten und alle bösen Mächte besiegen. 

Das erinnert mich an ein Lied aus meiner Kindheit.
In früheren Zeiten wurden Kinder in der Regel nicht von ihren Eltern gefragt, ob sie Lust hätten, etwas zu tun, was man von ihnen verlangte. Es gab Dinge, die gehörten zum Leben dazu und man tat sie, weil es selbstverständlich war.

Zu diesen Gewohnheiten, die nicht nach Lust und Laune fragten, gehörte der wöchentliche Gang zur Sonntagschule. So nannte man den Kindergottesdienst in unserer Kirchengemeinde. Nach dem Mittagessen, kurz vor 13 Uhr, machte ich mich regelmäßig auf den Weg zu unserem Gemeindehaus. Ich hatte wirklich nicht immer Lust dazu und manchmal war ich froh, wenn mir eine Ausrede einfiel. Allerdings konnte man nicht jeden Sonntag Bauchschmerzen haben. Ich weiß nur, dass ich hinterher immer froh war, doch dagewesen zu sein. Man war in einer Gruppe von großen und kleinen Menschen, zu der man gehörte, und das gab einem eine gewisse Geborgenheit. Außerdem erhielt man ein Fleißkärtchen mit einem bunten Bild und einem Spruch darauf.

Unsere Sonntagschule wurde von Onkel Walter gestaltet. Er stand vorne im Raum an einer Flanelltafel, an die man beim Erzählen bunte Figuren von den biblischen Geschichten heften konnte. Seine Lieblingsgeschichte war die vom guten Hirten Jesus. Die Bilder von den Schafen auf der Weide gefielen mir gut. Passend dazu sangen wir ganz oft dieses Lied:

Weil ich Jesu Schäflein bin, freu ich mich nur immerhin
über meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten;
der mich liebet, der mich kennt und bei meinem Namen nennt.

Unter seinem sanften Stab geh ich aus und ein und hab
unaussprechlich süße Weide, dass ich keinen Mangel leide;
Und so oft ich durstig bin, führt er mich zum Brunnquell hin.

Sollt ich denn nicht fröhlich sein, ich beglücktes Schäfelein?
Denn nach diesen schönen Tagen werd ich endlich heim getragen
in des Hirten Arm und Schoß. Amen, ja, mein Glück ist groß!

(Gedichtet nach Psalm 23)

Damals, als Kind, hatte ich zu viele andere Dinge im Kopf, als dass ich bei dem Lied eine geistliche Ergriffenheit gefühlt hätte. Und weil wir es so oft sangen, kam dabei auch etwas Langeweile auf. Kinder denken nicht darüber nach, was nach diesen schönen Tagen kommen soll. Schon gar nicht denken sie an ein Ende ihres Lebens. Erst jetzt, wo ich älter werde, wird mir bewusst, wie viel Trost und Zuspruch dieses alte Kirchenlied vermittelt, auch wenn der Text  eher kindlich und naiv anmutet.

Die Herkunft des Liedes
Getextet wurde es im 18. Jahrhundert von der adligen Henrietta Maria Luise von Hayn (1724–1782), Sie war Diakonisse und Leiterin des Schwesternhauses in Herrnhut. Also eigentlich eine starke Frau. Es war ein Geburtstagsgeschenk für eine Freundin und hatte ursprünglich sieben Strophen. Die Melodie kam erst ein Jahrhundert später hinzu und somit die Aufnahme als Abendmahlslied in die Kirchengesangbücher.

Wer will schon gerne ein schutzbedürftiges Schaf sein? Wären wir doch lieber ein Löwe. der sich selbst verteidigen kann. Vielleicht sind wir auch gelegentlich beides - mal so, mal so. Aber das Universum ist so riesig, da kommt schon oft das Gefühl der Ohnmacht auf. Und was morgen ist mit dieser Welt und meinem Leben, weiß ich erst recht nicht. Der Trost: da ist einer, der ist größer!

(Die Fotos stammen nicht von der Insel Texel, es sind Aufnahmen aus meinem heimatlichen Gefilde)

Bürgerreporter:in:

Nelia G

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