Piraten mit Rückenwind...... Parteitag

16.35 UHR: Und weiter geht's, während ein hochzufriedener Christopher Lauer nach der Abstimmung zum Bedingungslosen Grundeinkommen durchs Foyer schwebt. Mit dem Annehmen von PA113 sprechen sich die Piraten nun noch gegen Sanktionen bei Hartz IV aus. Ansonsten: Wurde ein eigener Raucherbereich eingerichtet. Dort amüsiert sich ein Magazinjournalist über die bereits hervorgehobene Berliner Piratin Susanne Graf: Dass die "immer noch an der Garderobe" sitzt, sei doch sehr aussagekräftig für die Rollenverteilung in der Partei.

Ebenso die Tatsache, dass der Frauenanteil auf den Tribünen der Stadthalle deutlich höher sei als im Plenum und an den Rednermikrophonen. Wir lassen das mal unkommentiert stehen. Die Beobachtung als solche ist allerdings sicher richtig.

16.00 UHR: Der Antrag PA284 macht das Rennen und erreicht nach zähem Ringen und Auszählung auch die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit mit 66,905 Prozent der Stimmen. Damit sprechen sich die Piraten unter großem Jubel dafür aus, in Zukunft offensiv für ein existenzsicherndes Grundeinkommen einzutreten. "Dazu wollen wir eine Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag gründen, deren Ziel die konkrete Ausarbeitung und Berechnung neuer sowie die Bewertung bestehender Grundeinkommens-Modelle sein soll. Für jedes Konzept sollen die voraussichtlichen Konsequenzen sowie Vor- und Nachteile aufgezeigt und der Öffentlichkeit transparent gemacht werden. Zeitgleich werden wir uns im Bundestag dafür einsetzen, dass noch vor Ende der Legislaturperiode die gesetzlichen Grundlagen für Volksabstimmungen auf Bundesebene geschaffen werden. Sie sollen den Bürgern ermöglichen, sowohl die in der Enquete-Kommission vorgestellten als auch andere Grundeinkommens-Modelle als Gesetzentwurf direkt zur Abstimmung zu stellen." Vielleicht lag die deutliche Aussprache für den Antrag auch an Protagonisten wie @sleeksorrow. Der schreibt auf Twitter: "Ich war bisher dem #BGE neutral bis leicht optimistisch ggü gestanden. Aber die Gegner haben mich überzeugt. Ich bin jetzt dafür."

15.25 Uhr: Christopher Lauer versucht die Debatte zu drehen: "Die Würde des Menschen hat keine Bedingung. Die Frage ist: Wie verteilt man die reichen Ressourcen dieses Landes gleich?" In einer Zeit, wo Vollbeschäftigung nicht mehr zu erreichen sei. Seine Forderung: das bedingungslose Grundeinkommen in den Programmen festschreiben, aber nicht, wie in einem Antrag gefordert, einen Volksentscheid dazu fordern. "Damit setzen wir die anderen Parteien viel mehr unter Zugzwang." Ein Taktiker und Volkstribun.

15.15 Uhr Jetzt geht's drum - um eine heilige Kuh der Piraten: das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Und die Debatte ist (überraschenderweise?) durchaus kontrovers: Es gibt natürlich die, die das bedingungslose Grundeinkommen, mit dem die Berliner Piraten sogar Wahlkampf gemacht haben, bedingungslos befürworten. Es gibt sogar die, die die Forderung nach einem BGE zu einer "Grundsatzentscheidung" in Richtung einer "neuen sozial-liberalen Kraft" erklären.

Es gibt aber auch Gegenstimmen: etwa der Berliner Gerwald Claus-Brunner, der ein bedingungsloses Grundeinkommen im "nationalen Alleingang" ablehnt. Oder auch die, die dahinter gar "Kommunismus" vermuten. Ob und wie die Piraten die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in ihr Wahlprogramm, um das es hier geht, aufnehmen - das könnte zu einer Richtungsentscheidung werden.

Wenn nicht noch allzu viele mitten in der Debatte gestellte Geschäftsordnungsanträge zur Änderung der Geschäftsordnung - "Daran erkennt man die Unerfahrenheit", raunt der parteien- und parteitagserfahrene Kollege - dazwischen kommen.

14:30 UHR Der Antrag PA052 wird angenommen, die Piraten bekennen sich nun in ihrem Grundsatzprogramm, unter anderem zur doppelten Staatsbürgerschaft für Arbeitsmigranten. Die vorangegangene Aussprache darf getrost als interessant bezeichnet werden: Wer ist Deutscher? Und was bedeutet eigentlich Integration? Können sich die deutschen Sozialsysteme ein liberales Einwanderungsrecht leisten?

Die Piraten hören alle Argumente, die es in dieser Buntheit sonst bei wohl wenigen Parteien gibt - und positionieren sich schließlich - auch wenn sie sich selbst auch heute wortreich außerhalb des traditionellen politischen Felds sehen - links.

14:15 UHR Erneut droht Gefahr für die Berichterstattung: Über 1300 Parteimitglieder sind jetzt in der Halle, und mehr wollen rein. Ein Meinungsbild wird erstellt: Sollen zuerst Besucher oder Pressevertreter den Saal verlassen? Ergebnis: Die Presse darf bleiben.

14:10 UHR Beobachtungen am Rande des Parteitags gibt es zur Genüge: Da ist die Ex-Grüne Angelika Beer, die mit den Worten "Ich muss zurück zu meinen Piraten" den Pressebereich verlässt. Da ist auch Heute-Show-Korrespondent Carsten van Ryssen, dessen lästerliche Fragen der Bundesvorsitzende der Piraten, Sebastian Nerz, in einer Ecke des Saals gekonnt abtropfen lässt. "Es ist eben ein Prozess", sagt Nerz. Aus solchen Aussagen ist schwer Satire zu machen - van Ryssen dürfte hier aber genügend dankbare Opfer finden, denn auch Exzentriker gibt es nicht zu knapp: Da ist der bärtige Alte im Piratenkostüm (komplett mit verschlissenem Gehrock), auf dessen Hut "Junge Piraten" steht. Und da ist die Frau, die ihren kleinen Mischlingshund auf das eigens aufgefahrene Piratensegelschiff vor der Halle setzt und das verstörte Tier aus allen Lagen ablichtet.

14:00 UHR Einen sehr besonderen Auftritt legt bei diesem Bundesparteitag die Berliner Piratenabgeordnete Susanne Graf hin: Erst verteilt sie morgens bei der Presseakkreditierung Bändchen, nun sitzt sie an der Garderobe und verteilt Infomaterial. Eitel ist anders.

13:30 UHR Jetzt eine kurze Ansprache von Marina Weisband, politische Geschäftsführerin der Partei, bekannt aus Funk und Fernsehen und erste Frau, die auf dem Podium spricht. Auch sie beschwört die vorangegangenen Erfolg und die Einigkeit, fordert, "unsere Ideen auch verständlich zu formulieren": "Wir müssen Ahnung haben von dem, von dem wir sprechen, und wir müssen unsere internen Strukturen bilden." Das sei - eine Spitze Richtung Berlin? - "langweiliger, als in Kameras zu sprechen und Wahlpartys zu veranstalten".

Und dann zielt auch sie aufs große Ganze: "Wir sind eine Bewegung, die für eine Idee steht. Wenn wir diese Ideen für die Menschen klar kriegen, dann können wir sie verwirklichen." Der Mensch müsse frei und glücklich sein. "Indem wir bilden, aufklären, Informationen zur Verfügung stellen", könne dieses Glück erhalten bleiben.

Genau deshalb sei die Piratenpartei eine Partei des Informationsflusses. Und dann auch noch das: "Streitet weiter - aber tut es produktiv und auf einer sachlichen Ebene. Tut es dafür, dass wir Politik möglichst gut machen: indem wir möglichst viele Menschen möglichst glücklich machen."

Wir halten - im Sinne des kleinen Philosophieseminars - fest: Marina Weisband glaubt an Freiheit, Glück und daran, dass möglichst viele Leute daran partizipieren sollen. Erreicht werden kann das durch Informationsflüsse. Das wäre eine Art Informationsutilitarismus in Zeiten der Netzwerke. Das Plenum applaudiert.

13:15 UHR Und doch scheitert der Antrag. Entscheidend vielleicht noch die letzten Gegenredner: Das im Antrag festgeschriebene Menschenbild, wonach die Würde des Menschen sich in seiner Fähigkeit gründe, sein Wesen und Wollen selbst zu bestimmen und dass er von Natur aus frei in der Wahl seiner Ziele und der inneren Gesetze sei, nach denen er handele und entscheide, sei falsch.

Ein Hauch von Philosophieseminar in Offenbach - und weiterhin keine Präambel im Programm der Piraten.

Ungemach derweil im rein Profanen: Aus brandschutztechnischen Gründen ist der Saal voll, doch draußen stehen noch Parteimitglieder. Fliegt jetzt doch die Presse raus? Möglich bleibt hier alles.

Quelle:Blog der Piratenpartei...2011

Bürgerreporter:in:

Wolf STAG aus Essen

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