Noch nie gehört?
Wie unsere Marine auf den Hund kommt

Foto: P. Gross

Sollten Sie zufällig in Zukunft einmal Gelegenheit haben, ein deutsches Kriegsschiff besichtigen zu dürfen, dann achten Sie bitte unter Deck im "Schiffstechnischen Leitstand" auf Dinge, die Sie dort eigentlich nicht vermuten würden. Zum Beispiel? Ein Stofftier!

Präzise gesagt: Ein Stoffhund, denn so seltsam das zunächst anmutet: Es ist keineswegs egal, um was für ein Stofftier es sich handelt. Elefanten, Bären, Giraffen und Katzen gehören da auf keinen Fall hin! Und so peinlich das auch für die Besatzung ist: Nur ein Stoffhund hat seine Berechtigung, dort herumzulümmeln.

Aber... weshalb?

Das zu erklären macht es nötig, die Vorgeschichte zu kennen:

Um an internationalen Einsätzen (z.B. der NATO) teilnehmen zu dürfen, muss ein Marineschiff eine Art „TÜV- Prüfung“ durchlaufen: Das „GOST“- das „German Operational Sea Training“ in Plymouth / England. Ähnlich wie bei einem Kfz- TÜV- Termin wird das Schiff von oben bis unten auf seine Funktionen hin überprüft. Aber anders als beim TÜV wird nicht nur das Schiff überprüft, sondern auch die gesamte Crew- vom Kommandanten und den Offizieren über die Unteroffiziere mit und ohne Portepée bis hinunter zu den Mannschaftsdienstgraden. Jeder an Bord hat eine Aufgabe und wie diese Aufgabe erfüllt wird, wird benotet. Und das äußerst streng: Bevor es überhaupt zur sechswöchigen (!) kombinierten Untersuchungen des schiffstechnischen Zustands des Schiffs und Überprüfungen der Einsatzbereitschaft der Besatzung kommt, findet zunächst ein „Material Assessment & Safety Check“ (MASC, früher Staff Sea Check) statt. Einen Tag lang wird der materielle Klarstand an Bord detailliert überprüft. Das Ergebnis gibt Aufschluss, ob die Einheit „safe to train“ ist. Bei festgestellten Mängeln lehnt FOST (Flag Officer Sea Training- der Leitungsstab) es ab, sein Personal an Bord gehen zu lassen, und die Ausbildung findet erst gar nicht statt. 

Tage massierter Übungen sind als „Thursday War“ (Gefechtsdonnerstag) oder „Weekly War“ (wöchentlicher Krieg) bekannt. Bis zu 30 Schiedsrichter, die sogenannten „Searider“ gehen an Bord und steuern bzw. beobachten einen Übungseinsatz, bei dem es z.B. darum geht, ein zu schützendes Fahrzeug (zumeist das dem FOST abgestellte Tankschiff) ohne Verzug zu einem Zielpunkt zu geleiten. Dabei gilt es, zur Übung simulierte U‑Boot‑, Überwasser- und Luftangriffe abzuwehren sowie Minen auszuweichen. Seit einigen Jahren wird auch der Umgang mit asymmetrischen Bedrohungslagen durch simulierte Angriffe von Piraten und Terroristen geübt. Die „Gegner“ in den Übungen sind britische, deutsche, niederländische und auch polnische U‑Boote (die auf diese Weise selbst ihre Fähigkeiten trainieren), Hawk- und Learjets (zivil gechartert) und Jachten (die ebenfalls zivil angemietet werden).

Das Ende eines solchen Tages der intensiven Gefechtsübungen stellt eine mündliche und schriftliche Manöverkritik, d. h. Bewertung der Schiffsführung und aller Abschnitte dar („Assessment“).

Während einer der Hafenwochen wird schon mal eine umfangreiche Katastrophenübung („Desaster Exercise“) durchgeführt. Es geht z.B. darum, an Land nach einer simulierten Naturkatastrophe Rettungsmaßnahmen möglichst realistisch zu üben (Brände löschen, Menschen retten, Verletzte versorgen, Tote bergen, Infrastruktur wieder herstellen, Bevölkerung mit dem Notwendigsten versorgen). Wie detailgetreu die Engländer diese Katastrophenübungen anlegen, ist durchaus beeindruckend. Es werden Schauspieler engagiert, die die mehr oder minder Verletzten mimen und- z.B.- ein Schulbus in einer 30m tiefen und engen Schlucht platziert, als sei er hinabgestürzt. Ob ein Rettungsversuch der Passagiere hier oberste Priorität besitzt oder woanders die Hilfe nötiger ist, muss die an Land gegangene Besatzung selbst entscheiden. Jede falsche Entscheidung wird von den Searidern gnadenlos notiert.

Ab dem Jahr 2019 führte die Deutsche Marine das GOST auch in heimischen Gewässern, jedoch nach britischem FOST-Vorbild durch. Einer der Gründe war, dass die Royal Navy durch Zulauf neuer Einheiten, z. B. zweier Flugzeugträger, einen erhöhten Eigenbedarf an Ausbildungskapazität hatte. Die erste Einheit, die den GOST in dieser Weise absolvierte, war im Herbst 2019 die Fregatte Lübeck.

Was aber hat das jetzt alles mit dem Stoffhund zu tun?

Nun, wie beim Abitur gibt es mehrere Stufen einer erfolgreichen Teilnahme am GOST. Sehr häufig waren es Schiffe der Deutschen Marine, die zu den erfolgreichsten Prüflingen gehörten. Aber es gibt durchaus auch die andere Seite: Schiffe und Crews, die unterhalb des erforderlichen Standards abschließen. Sie erhalten das Prädikat „below standard“ (in der Schule wäre das eine 5 gewesen) und sind durchgefallen. Natürlich haben Sie die Chance, die Prüfung zu wiederholden, aber das dauert in der Regel mindestens sechs Monate. Und so lange darf das Schiff an keinen internationalen Einsätzen teilnehmen.

„Below standard“... diese englische Bezeichnung wurde im Alltag zu einem kurzen „below“, wenn die Frage aufkam, wie denn das Schiff abgeschlossen hätte. Und dieses „below“ verdeutschte sich dann mit der Zeit in ein knappes „Bello“.

Und so kommen deutsche Marineschiffe, die beim GOST durchfallen, schnell auf den Hund. Auf den "Bello" eben, der als sichtbares Zeichen mit einem Knopf im Ohr jedem Eingeweihten verrät: "Wir sind Loser!"

Was zeigt, dass Marinesoldaten durchaus Sinn für Humor besitzen und auch über sich selbst lachen können. Was der Schiffsführung allerdings deutlich schwerer fallen dürfte. Immerhin: Sie erdulden zumindest diesen Hund an Bord.

Bürgerreporter:in:

Peter Gross aus Bochum

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