Ihr Platz für Frische ist nicht mehr in Stadtallendorf

Festzug vor dem Edeka-Markt
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Zum Frühling 2012 wurde Stadtallendorf um zwei Geschäfte mit einer langen Geschichte ärmer.

Einer der beiden Läden war der Edeka-Lebensmittelmarkt der Familie Kostial. Bei der Familie Kostial handelte es sich um echte Stadtallendorfer. Die Vorfahren stammten aus dem Sudetenland und hatten sich wie viele andere Leute nach dem Krieg in der auf einem ehemaligen Munitionswerk errichteten Stadt niedergelassen. Der Edeka-Markt von Kostials befand sich in einer verkehrsgünstigen Lage an der Niederkleiner Straße. Bis zum Bau des neuen Busbahnhofs hielten Stadtallendorfs Stadtbusse direkt vor dem Laden, hinter welchen sich der Bahnhof befand.
An dem Edeka-Markt ist die Zeit nicht ohne Veränderungen vorübergegangen. Dazu gehörten ein Umbau, bei dem das gläserne Vordach errichtet wurde. Das Geschäft wurde um einen getrennten Getränkemarkt erweitert, welcher auf der gegenüberliegenden Straßenseite neben einer Tankstelle befand. Für den Getränkemarkt wurde ein schon bestehendes Geschäftsgebäude genutzt. Eine andere Erweiterung betraf die Parkplätze für die Kunden. Da vor dem Supermarkt selbst kaum Parkmöglichkeiten bestanden, wurde die Wiese hinter dem benachbarten Wohnblock zur Anlage von Parkflächen geopfert.
Kostials "Centrum der Frische" gehörte nicht nur zum Stadtbild, sondern war auch im Bärenboten, dem wichtigsten Stadtallendorfer Mitteilungsblatt, durch ganzseitige Anzeigen präsent. Ein wichtiges Erkennungsmerkmal der Anzeigen war eine Zeichnung von der Außenfassade des Gebäudes, welche durch 15 sich davor bewegende Leute belebt wird.

In den letzten zwei Wochen sollten Rabatte den Ausverkauf von Kostials Waren beschleunigen. Die zunächst angebotenen 20% Rabatt hatten noch keinen auffälligen Effekt. Ab dem 19.3. gab es alle Produkte bis auf Zeitungen und Tabakwaren zum halben Preis. Dies führte dazu, dass der Laden gestürmt wurde. Es wurde erzählt, dass sich jemand größere Mengen an Kostmetikprodukten mit einem Griff durchs Regal in den Wagen gefegt hatte. Von den Kassen bis zur Rückseite des Markts bildeten sich lange Schlangen, in denen die Leute viel Geduld beweisen mussten.
Bei den vielen Leuten im Laden und den sich recht schnell leerenden Regalen konnte man leicht an historische Ereignisse wie die Einführung der Deutschen Mark in West- und Ost-Deutschland denken. Schon nach wenigen Stunden sah es aus, wie man sich einen Laden in der DDR vorstellte: leere Regale mit kaum Waren. Nach und nach wurden die übrig gebliebenen Dinge zusammengeräumt, so dass sich die Verkaufsfläche mehr und mehr reduzierte. Am 28.3. erfolgte die Schließung des Ladens. Im Kostial-Bau blieben nur noch eine Kneipe und die zum Supermarkt gehörige Bäckerei. Unbrauchbare Teile der Inneneinrichtung wurden auf den Hof neben den angrenzenden Wohnblock gestellt, wo sie nach und nach verschwanden.
Der Supermarkt von Kostial ist nicht der erste Edeka-Markt, welcher in Stadtallendorf aufgegeben wurde. In der Niederkleiner Straße gab es etwa einen Kilometer weiter südlich den Lebensmittelmarkt von Otto Haas, welcher schon seit vielen Jahren nicht mehr existiert.
Ein Edeka-Markt ist übrigens noch in Stadtallendorf verblieben: Der Edeka-Markt von Falker im Musikerviertel. Er gehört zu den raren Lebensmittelmärkten, die sich nicht in Gewerbegebieten, Einkaufszentrum oder an Hauptstraßen finden, sondern mitten in einer Siedlung liegen.

Nicht weit entfernt von Kostials Centrum der Frische gab es bis zum 7.4.2012 eine IhrPlatz-Filiale in Stadtallendorfs Stadtmitte. Diese war dort seit dem Bau der Stadtmitte, welche Anfang der achtziger Jahre entstand. Davor war IhrPlatz in der Niederkleiner Straße. Links von dem Laden war ein Zeitschriften- und Tabakhändler Kremer, welcher an den Frisörsalon Ferdinand angrenzte. Lange vor der Erfindung von Payback-Karten gab es damals schon ein Rabatt-System bei IhrPlatz. Beim Kauf erhielt der Kunde Rabattmarken, die es in verschiedenen Stückelungen von 10 Pfenning bis 5DM gab. Mit diesen Marken konnte man ein Rabattheft füllen und erhielt dafür 5DM. Auf einigen Seiten hatte man die Wahl, ob man viele kleine oder wenige große Marken einsetzte. Auf anderen benötigte man Marken eines vorgegebenen Typs. Dadurch konnte man auch nach einem großen Einkauf nicht sogleich ein Rabattheft füllen, sondern musste den Markt mehrfach besuchen.
Am 7.4. 2012 war der Laden schon um 14 Uhr geschlossen, obwohl er bei regulären Öffnungszeiten noch bis 15 Uhr geöffnet gewesen wäre.
Grund für die Schließung der Filiale war nicht die Insolvenz der Schlecker-Gruppe, die IhrPlatz übernommen hatte, sondern die ungünstige Geschäftssituation in Stadtallendorf. Seit dem Bau des neuen Einkaufszentrums war die Zahl der Kunden merklich zurückgegangen. In Hessen waren Filialschließungen nur an drei Standorten geplant: In Stadtallendorf, wo IhrPLatz 38 Jahre ansässig war, in Gießen, wo es wohl ähnliche Probleme durch zu viele andere Märkte gab, und im Frankfurter Hauptbahnhof.

Leider gibt es immer noch einige Geschäftleute und Politiker, die aus den bisherigen Ereignissen nichts gelernt haben und sogar noch das Hallenbad durch Geschäftsflächen ersetzen wollen. Dass es schon genug leerstehende Geschäftsräume gibt und man durch Vermehren der Ladenfläche nicht unbedingt die Kaufkraft vermehrt, ist offensichtlich nicht jedem bekannt.

Bilder von Sören-Helge und Leif-Erik Zaschke

Bürgerreporter:in:

Sören-Helge Zaschke aus Stadtallendorf

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