Rezension: Mordshunger – Wer profitiert vom Elend der armen Länder?

Mordshunger | Foto: Buchcover: Westend
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Jean Feyder aus Luxemburg war Diplomat und kennt die Welthandelsorganisation (WTO) beruflich bedingt sehr gut. Heute wirkt er bei Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit dem Schwerpunkt Entwicklung mit und hat sich dem Thema Ernährungssicherheit verschrieben. Seine Erkenntnisse rund um die globale Hungerproblematik hat er im Oktober 2014 im Buch „Mordshunger“ mit dem Untertitel „Wer profitiert vom Elend der armen Länder?“ niedergeschrieben, welches im Westend Verlag erschienen ist.

Das Welternährungssystem ist momentan so aufgebaut, dass Hunger und Mangelernährungen in vielen Teilen der Erde an der Tagesordnung sind. Dabei wird genügend Nahrung produziert, um die gesamte Bevölkerung der Erde satt zu bekommen. Doch Politik und Wirtschaft sorgen dafür, dass die Interessen der großen Agrarkonzerne offenbar über der Umsetzung eines elementaren Menschenrechtes stehen. Ein Kontinent wie Afrika hat trotz Wüsten, Dürrezonen und Naturkatastrophen gemäß Feyders Ausführungen die Mittel und Fähigkeiten, sich selbst zu ernähren.

USA und EU behindern Entwicklung der Armen
Doch die Industrienationen, allen voran die USA, lassen dies nicht zu. Über die kreditvergebenden Institutionen Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank, bei denen die Vereinigten Staaten von Amerika jeweils ein Vetorecht beanspruchen, diktieren sie der Dritten Welt ihre Bedingungen, allen voran die Öffnung ihrer Märkte für Nahrungsexporte der Industrienationen. Ausreichende Schutzzölle, die maßgeblich zum erfolgreichen Wiederaufbau eines vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Europa beigetragen haben, werden den Entwicklungsländern praktisch untersagt, auch von der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Ganz offensichtlich wollen die westlichen Staaten nicht, dass sich am Elend der armen Länder etwas zum Positiven verändert. Ex-US-Präsident Bill Clinton hat bereits mehrfach zugegeben, dass die Politik seiner Regierung für diese schändliche Fehlentwicklung verantwortlich ist. Selbst unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe geht es den USA lediglich um die Durchsetzung nationaler Interessen, wie der Leser „Mordshunger“ entnehmen kann.

Die USA und die Europäische Union (EU) schütten ihre Agrarerzeuger mit Subventionen zu, um Lebensmittel unter den Produktionskosten in Entwicklungsländern zu verkaufen, dort Einnahmen und Marktanteile zu generieren. Derweil gehen die Bauern in den armen Ländern zu Grunde, da sie mit diesen Dumpingpreisen nicht konkurrieren können. Außerdem sind sie durch eine perverse Anwendung des Patentrechts dazu gezwungen, sich alljährlich neues Saatgut von Agrargiganten wie Monsanto zu beschaffen, sofern sie sich einmal dafür entschieden haben – anstatt einen Teil der Ernte als Saatgut einbehalten zu dürfen wie bei agrarökologischer, herkömmlicher Landwirtschaft. Hinzu kommen Folgekosten für Pestizide, die die Landbevölkerung Chemiekonzernen wie Bayer und BASF in den Rachen werfen muss.

Agrobusiness treibt Bauern in den Selbstmord
Diese von der Gier der Konzerne getriebene Fehlentwicklung führt dazu, dass sich hunderttausende Bauern aufgrund der verheerenden Ergebnisse falscher Versprechen der Agrarmultis in den Selbstmord stürzen. Um ihre Versorgung zu gewährleisten, kaufen beispielsweise reiche arabische Staaten riesige Landflächen in agrarisch geprägten Entwicklungsländern wie Äthiopien, während Konzerne zur Gewinnmaximierung ebenfalls Flächen im armen Ausland kaufen, um Monokulturen für den Export zu ernten. Damit wird den Bauern in der Dritten Welt der Boden unter den Füßen weggezogen. Dabei besteht dort teilweise 80 Prozent der Bevölkerung aus Landwirten.

Dementsprechend sollte auch ein beträchtlicher Anteil westlicher Entwicklungshilfe in den Agrarsektor fließen. Gemäß Feyder sind mindestens zehn Prozent nötig und sinnvoll, doch in der Realität sind es meist nur ein oder zwei Prozent. Landlose in Lateinamerika, Afrika, Südasien, Brasilien und Indien können laut Feyders von der Organisation GRAIN beeinflussten Schlussfolgerung „nur einen Ausweg aus ihrer extremen Armut finden, wenn sie Zugang zu Boden erhalten und in den Genuss einer wirklichen Agrarreform gelangen“ (S. 282).

Agroökologie statt Monokulturen, Selbstversorgung statt Export
Ostasiatische Länder wie China, Taiwan und Südkorea haben solche Agrarreformen durchgeführt. Tatsächlich schafft es China, seine komplette Bevölkerung selbst zu ernähren – auf der Grundlage von bäuerlichen Kleinbetrieben anstatt Landwirtschaft mittels Großgrundbesitz. Diese Kleinbetriebe auch anderswo zu stärken würde voraussetzen, die lokalen Agrarmärkte vom Weltmarkt zu entkoppeln. Preisschwankungen, verursacht unter anderem durch Lebensmittelspekulationen – eine weitere Perversion des Weltwirtschaftssystems und Ausmaß der Gier – und der aus Export ausgelegten Produktion in den Entwicklungsländern, müssten abgefedert werden.

Farmer sollten wieder Obst, Gemüse und Getreide hauptsächlich für die Selbstversorgung anbauen, nicht noch mehr Kaffee, Kakao, Soja und Erdnüsse für den Weltmarkt. Ohne genetisch verändertes Saatgut, das bislang den Beweis von ergiebigeren Ernten gemäß von Feyder erwähnten Studien schuldig geblieben sei. Ohne fossile Energien und ohne chemische Düngemittel und Schädlingsvernichter. Angesichts des Klimawandels der Bedrohung unserer Ökosysteme müssen demnach auch der Anbau von Monokulturen sowie der Fleischkonsum deutlich zurückgehen. Überhaupt: Importierte Tiefkühlhähnchen in afrikanischen Supermärkten erfüllten zumindest bei einer Untersuchung in Kamerun nicht einmal minimalste Hygienebestimmungen und erwiesen sich als gesundheitsgefährdend (S. 274). An vor Ort angepasste Agroökologie lautet der Schlüssel für eine produktive Landwirtschaft, die einen beträchtlichen Teil zur Ernährungssicherheit und damit zur Lösung der globalen Hungerproblematik beitragen kann. Wer weiter denkt, stellt fest, dass dadurch auch die Verstädterung und die Flüchtlingsproblematik eingedämpft werden könnte.

Rezension von „Mordshunger“
Jean Feyder beleuchtet die Fälle Ghana und Haiti näher und widmet sich in eigenen Kapiteln den landwirtschaftlichen Maßnahmen, Taten und Zielen der USA, der EU, Brasiliens, Indiens und China. Er erläutert in „Mordshunger“ nicht nur die zahlreichen Probleme in Sachen Welternährungssystem, sondern benennt auch die Ursachen und zeigt Lösungen auf. Der Haken dabei ist, dass für die erfolgreiche Bekämpfung des Hungers Anstand und Moral von Konzernen erwartet wird, dass die Zurückstellung wirtschaftlicher Interessen unumgänglich ist und dass der Boom von Agrotreibstoffen ein Hindernis für vernünftige Landwirtschaft ist.

Bei all seinen Ausführungen deuten einige Hundert Fußnoten und Verweise auf z.B. den Weltagrarbericht darauf hin, dass der Autor in „Mordshunger“ nicht nur eigene Gedanken zu Papier gebracht hat, sondern die Erkenntnisse zahlreicher Fachleute und Organisationen zusammenführt. Vor allem greift er auf Veröffentlichungen von Jacques Berthelot, Michel Chossudovsky, Agrarökonom Marc Dufumier, Professor Marcel Mazoyer, Joseph E. Stiglitz und dem UN-Sonderbotschafter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter zurück. Aber auch zahlreiche Berichte der FAO abgekürzten Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN, der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) oder Oxfam fließen in diesem Werk ein.

Herausgekommen ist ein mit Fallbeispielen und historischen Entwicklungen gespickter Überblick über das Welternährungssystem, der aufrüttelt und wütend macht.

Titel: Mordshunger
Autor: Jean Feyder
Verlag: Westend Verlag
Erscheinungsdatum: Oktober 2014
Infos: 336 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-86489-078-9

Bürgerreporter:in:

Michael S. aus Neusäß

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