HR4-Tour 2009 - zweiter Tag: Erinnerungen an den Grenzverkehr

Diese Fassade am Marktplatz zeigt, was früher wichtig in Bebra war: die Eisenbahn.
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  • Diese Fassade am Marktplatz zeigt, was früher wichtig in Bebra war: die Eisenbahn.
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Der zweite Tag der HR4-Radtour führte bei meist sonnigem Wetter durchs Grenzgebiet zwischen Bebra und Eschwege.

Anreise aus Stadtallendorf
Der zweite Tag begann für mich zunächst mit einer kleinen Radtour: Mit dem Fahrrad ging es auf der Straße nach Wiera, von wo aus ich mit der sogenannten Scheißhaus-S-Bahn (Mittelhessen-Express) nach Treysa fuhr und dort nach kurzem Aufenthalt in den RegionalExpress nach Kassel stieg. Vom Kasseler Hauptbahnhof fuhr ich mit der Cantus-Bahn nach Bebra. Eine Fahrkarte brauchte ich nicht, denn mein Entdecker-Ticket vom Vortage war immer noch gültig.

Von Bebra nach Herleshausen
Die HR4-Tour begann am Marktplatz, wo auf einer Hausfassade eine alte Dampflok zur Abfahrt bereit zu stehen schien. Bebra war einmal ein bedeutender Eisenbahnknoten: Viele Fernverkehrszüge und der Grenzverkehr Richtung DDR belebten den großzügig ausgestatteten Bahnhof, von dem aus Bahnstrecken in vier Richtungen führen. Inzwischen ist es dort ruhiger geworden: Es gibt keinen Grenzverkehr mehr abzufertigen, und viele Fernverkehrszüge brausen auf der ICE-Neubaustrecke an dem kleinen Ort vorbei. Auch die Bahnhofsgaststätte zwischen den Bahnsteigen ist inzwischen verlassen.
Nach wenigen Kilometern erreichte die Tour das Dorf Gilfershausen, welches zu Bebra gehört. Die Einwohner hatten keine Mühen gescheut, den Radfahrern einen überwältigenden Empfanf zu bieten: Vor dem Ortseingang wurden die Radler vom Teufel begrüßt. Direkt danach gab es einen Fahrradfriedhof neben der Straße, für den viele Räder herbeigeschafft worden waren. Neben winkenden Leuten am Straßenrand gab es eine bemalte Straße, Märchenfiguren, Wasserspiele von der Feuerwehr und hinter dem Ort stand noch ein aus zwei Strohballen gebasteltes Riesenfahrrad.
Etwas ruhiger, dafür aber bergauf ging es nach Solz. Hinter diesem Dorf wartete eine frisch erneuerte Straße mit einer knackigen Steigung auf die Radfahrer. Nach der Überwindung der Steigung wurde daher erst einmal ein Halt zum Sammeln eingelegt. Im weiteren Streckenverlauf fuhr die Tour durch Orte mit ungewöhnlichen Namen: Bauhaus und Süß sind Begriffe, die nur wenig nach Dorf klingen. Danach gabs noch ein paar der Tour zuwinkende Dorfbewohner und einen französischen Reisebus am Straßenrand, dessen Fahrgäste sich auch über die Radler freuten, die unter der großen Autobahnbrücke hindurchbrausten. Hinter der Autobahn lag der hessische Ort Untersuhl, der dicht an der früheren DDR-Grenze lag. Keinen Kilometer weiter waren die Radfahrer schon im thüringischen Gerstungen. Die früher einmal am Grenzzaun endende Straße war teilweise noch gepflastert, und bei einigen Häusern hatte noch der in der DDR weit verbreitete graue Putz überlebt. Der einige Meter abseits am Ende einer Seitenstraße liegende Bahnhof war früher eine wichtige Grenzstation, wo der Inhalt von Zügen gründlichst von DDR-Grenzern eifrig untersucht wurden. Für die DDR ungünstig war der Grenzverlauf an dieser Stelle, da die Bahnstrecke hinter Gerstungen noch einmal einen kurzes Stück durch Hessen geht, an welchem der Bahnhof Herleshausen in einer ähnlichen Insellage liegt.
Im Werratal hinter Gerstungen finden sich alte Brückenpfeiler - letzte Überbleibsel von durch die DDR-Grenze zerschnittenen Verkehrswegen. In dem kleinen Dorf Sallmannshausen gab eine zwar bescheidene, aber dafür umso herzlichere Begrüßung durch die thüringischen Einwohner. Im nachfolgenden Lauchröden hingegen fanden die Radfahrer wenig Beachtung. Von dort führt eine schmale Straße, welche nach der Grenzöffnung gebaut worden war, über die Werra nach Herleshausen.

Von Herleshausen nach Wanfried
Der hessische Ort Herleshausen war bei DDR-Reisenden bekannt, da hier die westdeutsche Grenzstation an der Autobahn A4 lag. Für die HR4-Tour war es eine günstige Gelegenheit, um auf hessischem Gebiet eine Pause einzulegen. Während der Pause hatte einer der HR-Moderatoren die nette Idee, Radfahrer mit Tour-Shirts der letzten Jahre zu versammeln, um mal auf einen Blick die unterschiedlichen Gestaltungen zu zeigen. Außerdem konnte man sich an einem Brunnen noch eine Erntekrone anschauen - eine aus Getreideähren und Äpfeln erstellte Dekoration. Solches Brauchtum findet man in anderen hessischen Regionen nicht.
Nach der Pause ging die Tour erst einmal weiter auf der Straße und führte dabei auch an dem schon erwähnten Bahnhof von Herleshausen vorbei. Nach dem Ortsausgang wurde die Radlergruppe erst einmal zerrissen, da die Straße nach Thüringen dort über einen Bahnübergang führt und zwei ICEs auf ihre Vorfahrt bestanden. Nächster markanter Ort war Hörschel, wo eine hohe Autobahnbrücke über den Ort führt und die Straße Richtung Eisenach abzweigt.
In Creuzburg gibt es eine Burganlage auf einem Hügel, welche schon aus der Ferne sichtbar war. Bevor die Tour in die Nähe des Ortes kam, gab es erst einmal eine Getränkepause auf einem Rastplatz an der Straße. Von Creuzburg bekamen die Radler aber später auch nicht allzu viel zu sehen, da der Ort weitestgehend auf einer Umgehungsstraße umfahren wurde. Kaum einem dürfte dabei das alte Bahnhofsgebäude am Ortsrand aufgefallen sein, welches zu den letzten Resten einer einst entlang der Werra durchs Grenzgebiet führenden Bahnlinie gehörte.
Hinter Creuzburg war es wieder Zeit für sportliche Betätigungen, da ein längerer Anstieg zu überwinden war. Nach der Steigung ging es über einige Kilometer wieder abwärts. Da jedoch vor der Abwärtsfahrt kein Sammelhalt eingelegt worden war, hatte sich das Feld so aufgeweitet, dass man kaum noch andere Radfahrer in Sichtweite hatte und leicht vergessen konnte, dass man mit einer großen Gruppe unterwegs ist.
Letzter Ort vor der ehemaligen DDR-Grenze war Treffurt. In dem hübschen Örtchen findet man alte Häuser und Straßen mit holprigem Pflaster aus alten Zeiten - aber davon war während der kurzen Durchfahrt kaum etwas zu sehen. Eisenbahnfreunden hingegen sollte das frühere Bahnhofsgebäude direkt an der Strecke aufgefallen sein. Ein Stück nach dem Ort traf die Tour auf eine Unterführung, die unter der früheren Bahnstrecke durchführt und ungefähr an der Grenze zu Hessen liegt. Nun war es nicht mehr weit bis zum nächsten Zwischenstop in Wanfried. Einer der Begleitpolizisten, welcher in Wanfried für freie Fahrt sorgte, war aber überhaupt nicht von der Tour begeistert. Missmutig brummte er die Radfahrer an, dass sie sich etwas beeilen sollten, da es noch andere Verkehrsteilnehmer gäbe.

Von Wanfried nach Eschwege
Bei der Pause in Wanfried hatten die Radfahrer der Tour wieder einmal Gelegenheit zu einem Museumsbesuch. Im Heimatmuseum wurde natürlich auch die DDR-Grenze vorgestellt. Ein Modell zeigte die Landschaft mit der Grenze, die einige benachbarte Dörfer von mehreren Seiten umgab.
Von Wanfried war es nicht mehr weit bis Eschwege, wo die Radfahrer in der Altstadt empfangen wurden. Wer sich aber von Eschwege aus mit der Bahn auf den Heimweg begeben wollte, hatte aber noch eine schwierige Aufgabe vor sich, nämlich das Auffinden des nächsten Bahnhofs. In Eschwege gab es nämlich keinen Bahnhof, auch wenn in den Fahrplänen die Station "Eschwege (West)" genannt wurde. Diese liegt nämlich einige Kilometer abseits hinter einem Hügel.

Von Eschwege zum Bahnhof
Um zu verstehen, wieso man so schwer von Eschwege zum Bahnhof kam, muss man schon einen Blick auf die Eisenbahnstrecken bei Eschwege werfen: Die Hauptbahn von Bebra nach Eichenberg führt leider nicht durch Eschwege, sondern nur das zu Eschwege gehörende Dorf Niederhone. Von dort aus gingen einmal zwei Nebenbahnen ab. Von der nach Osten führenden Strecke hatte man während der HR4-Tour bereits einige Überreste wie die Bahnhöfe Großburschla und Wanfried sehen können. Sie hatte auch einen Bahnhof direkt im Stadtgebiet von Eschwege, der aber auch nicht wirklich zentral gelegen ist. Die durch Eschwege führende Bahnstrecke wurde durch die Teilung Deutschlands unterbrochen, und der Verkehr auf dem in der Bundesrepublik Deutschland liegenden Teilstück wurde nach und nach eingestellt. Ab 13.12.2009 fuhren keine Züge mehr nach Eschwege. Erst im Jahr 2009 wurde diesem unbefriedigten Zustand ein Ende gesetzt, indem umfangreichen Baumaßnahmen die Züge von Niederhone aus zum Stadtbahnhof Eschwege und von dort zurück auf die Hautstrecke geführt wurden. Zur feierlichen Eröffnung des Bahnhofs am 12.12.2009 war sogar das Stadtallendorfer Hessentagspaar zu Gast.
Von der Altstadt in Eschwege, welche am Rande eines Hügels liegt, waren weder Bahnhof noch Niederhone ausgeschildert. Mit der Kenntnis, dass ich den Hügel umfahren muss, kam ich auf die Straße, die an dem noch im Bau befindlichen Stadtbahnhof vorbeiführte. Aber auch in der Nähe von Niederhone war es noch aufwändig genug, zu dem in "Eschwege (West)" umbenannten Bahnhof zu kommen, da er sehr ungünstig außerhalb des Dorfes liegt und man nicht von jeder Richtung aus auf direktem Wege dorthin gelangt.

Heimreise nach Stadtallendorf
Nach der Ankunft im Bahnhof hatte ich noch mit einem anderen Problem zu kämpfen: Ich wußte zwar von früheren Fahrten, dass die günstigsten Verbindungen nach Kassel über Eichenbenberg führen und im Stundentakt verkehren, hatte aber nicht berücksichtigt, dass der Takt auf der Strecke schon zu früherer Stunde ausgedünnt ist. So musste ich länger als geplant auf einen Zug warten (und hätte mich stattdessen noch etwas mehr in der Stadt umschauen sollen) und war dann noch nicht einmal sicher, ob ich es nach Hause schaffen würde. Einen Automaten, an dem ich eine Fahrplanabfrage hätte machen können, gab es auch nicht. Ich nahm den Zug nach Bebra, wo ich noch einige Zeit Aufenthalt hatte und erfuhr, dass das in Treysa zum Entleeren der Zugtoiletten eingesetzte Fahrzeug vorher in Bebra seinen Dienst versehen hatte. Nach einer weiteren Fahrt mit einem Cantus-Zug konnte ich in Kassel in den letzten RegionalExpress nach Stadtallendorf steigen.
Eine Schwierigkeit gab es noch zu überwinden: Das Verbundloch. Der Schaffner erklärte mir, dass ich mit meinen zwei Fahrkarten nicht durchfahren könne, da es an der Verbundgrenze zwischen Wiera und Neustadt eine Lücke gäbe. Wobei noch anzumerken ist, dass diese Lücke in den Netzplänen der Deutschen Bahn nicht dargestellt wird. Das Überwinden dieses Lochs wird dadurch ungemein erschwert, dass das Personal im Zug keine Verbundfahrkarten verkaufen darf, und im Gegensatz zum Cantus-Zug auch kein Automat an Bord ist. Der Schaffner ließ mich aber auch ohne Lückenkarte mitfahren, da es der letzte Zug war. Mein Fahrrad hätte mich zwar auch ab Treysa noch nach Hause gebracht, aber das hätte die Fahrt um noch einmal fast eine Stunde verlängert, und deswegen war ich froh, mit der Bahn bis Stadtallendorf zu kommen.

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Bürgerreporter:in:

Sören-Helge Zaschke aus Stadtallendorf

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