„Kultur ist Ausdruck innerer Werte“

Inderwies: "Kultur ist Motor der Selbstverwirklichung"
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myheimat: Herr Inderwies, ein ereignisreiches Jahr liegt hinter uns. Stellvertretend seien die Kunstausstellung im Finanzamt und der Pfaffenhofener Kultursommer genannt. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz der Kultursaison 2007 aus?
Inderwies: Vor allem freue ich mich über das breite Interesse und das durchwegs positive Echo, die das kulturelle Geschehen insgesamt in Pfaffenhofen ausgelöst hat. Die 25 Veranstaltungen unseres Kultursommers sind da natürlich an erster Stelle zu nennen. Dass das Finanzamt mit seinen Ausstellungen auf hohem Niveau inzwischen zu einem „Kulturtempel“ Pfaffenhofens geworden ist, ist allenthalben bekannt. Sehr glücklich bin ich vor allem aber auch darüber, dass unsere im September 2006 eröffnete „Städtische Galerie“ im „Haus der Begegnung“ zu einer solch blühenden Kulturoase geworden ist, dass sie noch vor Ablauf der Erprobungsphase vom Kulturausschuss der Stadt zur festen Einrichtung erklärt wurde. Unser neu gegründetes Kunstgremium hat hier - auch im wortwörtlichen Sinn! - hervorragende Arbeit geleistet und mit dieser Galerie ein augenscheinliches Beispiel dafür geschaffen, wie man unsere etwas verwaiste Innenstadt beleben kann.
myheimat: Der Stadtrat hat Sie zum Kulturreferenten der Stadt Pfaffenhofen bestimmt. Wo liegen die Wurzeln des kulturellen Engagements? Stammen Sie aus einem kulturinteressierten Elternhaus?
Inderwies: Als Landkind bin ich gewissermaßen in die „Wiege der Kultur“ hineingeboren. Für meinen Großvater war die Musik so wichtig wie die Arbeit auf seinem Bauernhof. Eine zentrale Rolle spielte hernach die humanistische Erziehung im Internat und am Gymnasium. Neben dem Sport, gleichermaßen ein hohes Kulturgut, gehörten hier Klavier- und Theaterspiel sowie die Literatur zu meinem Alltag. In meinem Beruf als Germanist und Historiker am Gymnasium, hatte ich mich tagtäglich mit der Kulturwelt auseinanderzusetzen. Zudem habe ich ja einst auch noch Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte an der Münchner Universität studiert.
myheimat: Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gerät der Bereich „Kunst und Kultur“ in eine Legitimationskrise. Stadt- und Staatstheater, aber auch andere kulturelle Einrichtungen wie Bibliotheken, Museen oder Archive sind von harten Einsparmaßnahmen betroffen. Sind Sie mit dem Kulturetat der Stadt Pfaffenhofen zufrieden?
Inderwies: Maßnahmen zum kulturellen Wohl der Bürger gehören zu den Pflichtaufgaben einer Gemeinde. Das sollte man auch in Zeiten enger Haushalte nicht vergessen, zumal „Kunst und Kultur“ ganz wichtige Vermittler von Wissen und Bildung sind. Wer hier zu sehr spart, der spart mit Sicherheit an falscher Stelle. Vor kurzem ist die „Landesvereinigung Kulturelle Bildung Bayern“ gegründet worden, der Verbände, regionale Organisationen, Mediengesellschaften, Bildungs- und Erziehungsinstitutionen fast aller Bereiche, Rundfunkanstalten usw. usw. angehören, weil man vor allem auch auf Grund der PISA - Studien am Beispiel Japans und Finnlands erkannt hat, dass deren führende Stellung ganz wesentlich auf ihre beispielhafte musische und künstlerische Erziehung zurückzuführen ist. Das sollte auch in Pfaffenhofen bei der Erstellung des Kulturhaushalts bedacht werden. Wir haben im Vergleich mit anderen Mittelzentren einen erheblichen Nachholbedarf aufzuweisen. Man betrachte nur das Joseph Maria Lutz – Museum und das Kreis- und Heimatmuseum. Beide befinden sich in einem Dornröschenschlaf. Unserer Musikschule und unserer Stadtkapelle fehlen geeignete Räumlichkeiten, ein sehr rühriger Theaterspielkreis arbeitet unter äußerst schwierigen Bedingungen.
myheimat: Warum braucht der Mensch überhaupt „Kultur“?
Inderwies: Der Kulturbetrieb ist der Gradmesser der Lebensqualität. Über seine Rolle als Wissens- und Bildungsvermittler hinaus besitzt er eine ganz wichtige Funktion bei der Integration in eine Gemeinschaft und deren inneren Zusammenhalt und Identität, bei der ethischen, sittlichen und religiösen Erziehung des Menschen, bei der Bewahrung und Erhaltung geschichtlichen Bewusstseins und Brauchtums, bei der Freizeitgestaltung und Erholung. Kultur geht weit über den Bereich von „elitären“ Konzerten, Theateraufführungen und Gemäldeausstellungen hinaus. Auch ein gelungenes Volksfest, eine harmonische Vereinsfeier, eine spannende und faire Sportveranstaltung sind Ausdruck von Kultur.
myheimat: Von Gerhart Hauptmann stammt der sinnreiche Ausspruch: "Zivilisation ist Zwang, Kultur Freiheit". Was bedeutet "Kultur" für Sie?
Inderwies: Eigentlich gibt es dem Ausspruch Gerhart Hauptmanns nichts hinzuzufügen. "Zivilisation" sorgt für die unerlässlichen äußeren, die materiellen Bedingungen zur Erhaltung unseres physischen Daseins, "Kultur" ist Ausdruck innerer Werte. Sie ist Motor der Selbstverwirklichung und Grundbedingung für Menschlichkeit und damit eben ein Parameter von Lebensqualität. Je höher echtes Kulturbewusstsein entwickelt ist, desto weniger greift der Mensch zum Schießprügel.
myheimat: Für welche Sparte des Kulturangebots – Kabarett/Comedy, Tanz und Show, Musiktheater, Konzert, Lesung/Vortrag – interessieren Sie sich selbst am meisten?
Inderwies: Sicherlich für die Literatur, Sprech- und Musiktheater und die bildende Kunst, aber durchaus auch für Kunst, die aus dem Brauchtum des Volks entstanden ist. Alle Bereiche stehen ja in einem inneren Zusammenhang. Dass ich fairen und sauberen Sport für ein wichtiges Kulturgut halte, habe ich bereits dargelegt.
myheimat: Im Vergleich zu anderen Städten vergleichbarer Größenordnung wie Gersthofen oder Neusäß verfügt Pfaffenhofen über keine moderne Stadthalle. Ist diese Tatsache nicht ein erheblicher Standortnachteil, wenn es darum geht, renommierte Künstler und Kabarettisten in die Ilmstadt zu locken?
Inderwies: Mit Sicherheit! Wenn wir wenigstens über einen geeigneten Veranstaltungssaal mit Bühne, der 300 bis 400 Personen fasst, verfügen würden! Die Niederscheyerer Dreifachturnhalle ist allein schon aus akustischen Gründen für darstellende und musische Kunst gänzlich ungeeignet. Wer möchte hier schon mit Lust und Freude einen Galaball oder ein Symphoniekonzert besuchen? Zudem wird grundsätzlich der Sportbetrieb gestört. Von dem, was die sicher etwas reicheren Kommunen Gersthofen und Neusäß zu bieten haben, kann ich als Kulturreferent in Pfaffenhofen augenblicklich nur träumen. Ich hoffe, dass sich unsere Situation durch der Erwerb des E.ON – Gebäudes an der Ingolstädter Straße dadurch etwas entspannt, dass man hier vor allem für den Musikbereich eine Unterkunft schafft und das gänzlich überbelegte „Haus der Begegnung“ entlastet. Sollte dieser Kauf nicht zustande kommen, muss umgehend eine andere Lösung gefunden werden. Die Arbeitssituation der Musikschule und der Stadtkapelle, auf die wir wegen ihrer Qualität sehr stolz sind, ist nicht mehr länger zu verantworten.
myheimat: Inwieweit prägen Vereine und Verbände das kulturelle Leben der Stadt Pfaffenhofen?
Inderwies: Allein mit dem schmalen städtischen Haushalt, der für kulturelle Veranstaltungen zur Verfügung steht, ist ohne den zumeist recht uneigennützigen Einsatz unserer Künstler und Künstlergruppen, der Schulen, der Vereine und Verbände ein kulturelles Leben überhaupt nicht denkbar. Zudem sind Wirtschaftsunternehmen, vor allem die Banken, die finanziellen Säulen unseres Kulturbetriebs. Ich kann mich bei den Genannten nur immer wieder für ihren Idealismus und ihre Unterstützung bedanken. Diese Hilfe ist für mich die größte Motivation bei meiner Arbeit. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch noch auf eine Besonderheit vertrauensvollen kommunalen politischen Zusammenwirkens in Pfaffenhofen hinweisen, nämlich auf die überfraktionelle Kulturarbeit, die ich nun bereits seit fast zwölf Jahren zusammen mit meinen Stadtratskollegen Reinhard Haiplik und Martin Wolf tätige. Hier geht es wirklich einzig und allein um die Sache, ohne dass man sich ständig mit irgendeiner programmatischen Parteiideologie oder persönlicher Rechthaberei profilieren will.
myheimat: Gibt es eine kulturelle Veranstaltung, die Ihnen besonders im Gedächtnis haften blieb, zum Beispiel eine persönliche Begegnung mit einem prominenten, renommierten Künstler?
Inderwies: Gewiss! Eine Vielzahl. Trotz sehr beschränkter finanzieller Mittel haben wir es immer wieder geschafft, bei unseren Kultursommern und den Europäischen Kulturtagen nicht nur eine Vielzahl von Veranstaltungen mit hohem Niveau, sondern auch Highlights anzubieten: Gabriela von Habsburg zusammen mit weltbekannten Holzbildhauern beim zweimaligen „Euroskulp“, die Bamberger Symphoniker, den weltbekannten litauischen Künstler Augustinas Virgilijus Burba (2002), der mir vor ein paar Wochen bei der Eröffnung einer Ausstellung mit seinen Radierungen in München vor Freude über das Wiedersehen um den Hals gefallen ist und eine Laudatio auf „Pfaffenhofen mit seinen wunderbaren Menschen“ gehalten hat. Pavel Kohouts Lesung und das japanische Flötenensemble „Lynx“ aus Tokio, vier Damen in Kimonos, die portugiesische Künstlergruppe „Sopa dos artistas“, die mein früherer Kollege am Schyren-Gymnasium, Thomas Wimmer, hierher geführt hat. Und wir sollten natürlich auch nicht vergessen, dass wir sehr prominente Pfaffenhofener Künstler mit teilweise internationalem Bekanntheitsgrad besitzen. Die für mich besonders im Gedächtnis verhaftete Begegnung mit einem weltbekannten Literaten fällt in das Jahr 1987, als ich zusammen mit Frau Irmgard Bernhart die Dichterlesungen am Schyren-Gymnasium begründete. Martin Walser bestritt den Auftakt. Ich musste ihn nach der Lesung und einem Empfang um Mitternacht nach München ins Hotel bringen. Als wir in Schweitenkirchen auf die Autobahn fuhren, fragte mich der promovierte Germanist, welches seiner Werke ich im Unterricht mit den Schülern gelesen hätte und wurde daraufhin eine halbe Stunde über den Inhalt seines Romans „Brandung“, über die Literaturtheorie der Moderne, über Erzählsituationen und Perspektiven, Personengestaltung einer Prüfung unterzogen, die einem Staatsexamen glich. Als wir aus dem Auto gestiegen waren, reichte mir Walser die Hand und meinte: „Ich mag keine interpretierenden Studienräte. Aber, ich muss schon sagen, Sie haben sich bei unserer Unterhaltung sehr tapfer geschlagen.“
myheimat: Welchen Künstler würden Sie gerne in Pfaffenhofen sehen?
Inderwies: Sehr viele, die wir uns nicht leisten können! Günter Grass, Anne Sophie Mutter, den chinesischen Pianisten Lang Lang, Ensembles der bayerischen Staatstheater, Münchner Philharmoniker, Placido Domingo, Elton John, Gerhard Richter ... Nein! Nein! Wir müssen die Kirche beim Dorf lassen. Pfaffenhofen ist Kreisstadt und hat in dieser Funktion zunächst einen lebendigen Kulturbetrieb für unsere heimische Bevölkerung zu gewährleisten. Das heißt, dass wir in erster Linie den Bedürfnissen der Region zu entsprechen haben. Deswegen wollen wir nicht gänzlich auf Künstler mit internationalem Ruhm verzichten, wenn es unser Haushalt gestattet. Die großen Stars gehören aber primär in die Hochburgen kulturellen Lebens, von denen wir eingerahmt sind: München, Augsburg, Regensburg, Ingolstadt.
myheimat: Geben Sie uns einen kleinen Ausblick auf die Kultursaison 2008. Auf welche kulturellen Leckerbissen dürfen sich die Pfaffenhofener freuen?
Inderwies: Vom 4. April bis 4. Mai 2008 gehen die interkulturellen und interreligiösen Wochen der Katholischen Pfarrei St. Johannes Baptist unter dem Thema „Wo ist meine Heimat? – Heimat finden. Zweiheimisch leben.“ mit Ausstellungen, Kinderfest, Filmdokumentation, Stadtführung, Dichterlesung, Kochabenden usw. usw. über die Bühne. Bereits am 30. Mai wird das landesweite Großprojekt des „Arbeitskreises für gemeinsame Kulturarbeit bayerischer Städte“ eröffnet. Bis 14. September 2008 wird „Kunst im öffentlichen Raum“ in 49 Städten Bayerns zu sehen sein. Für die Region 10 haben die Kulturreferenten der Städte Ingolstadt, Neuburg, Eichstätt und Pfaffenhofen das Thema „Kunst im Fluss“ gewählt. In unserer Stadt Pfaffenhofen werden annähernd 20 Projekte zusammen mit dem turnusmäßigen Kultursommer präsentiert, an denen die Künstler- und Künstlervereinigungen der Region, Schulen usw. beteiligt sind. Selbstverständlich werden unsere Bürger auch nicht auf die gewohnten Veranstaltungsreihen verzichten müssen. Ich darf die Bevölkerung schon jetzt sehr herzlich dazu einladen. Jeder wird etwas finden, woran er seine Freude hat.
myheimat: Herr Inderwies, vielen Dank für dieses Gespräch.

myheimat-Team:

Joachim Meyer aus Friedberg

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