Hainhofen damals
FASSE DICH KURZ!

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Von der Wählscheibe zu WhatsApp

Meine erste Erfahrungen mit einem Telefon machte ich in der Oberklasse der Volksschule. Ein eigenes Telefon im Haus hatten in den frühen 60er Jahren in einem kleinen Dorf wie Hainhofen nur wenige Privilegierte wie der Bürgermeister, der Pfarrer und der Herr Lehrer. Als wir in Sachkunde zum Thema Telefontechnik kamen, wurde der Unterricht durch eine praktische Übung aufgelockert. Dazu brauchte man einen zweiten Anschluß, den man von der Lehrerwohnung aus anrufen konnte. Bei den Eltern meines Klaßkameraden Edgar gab es gottseidank auch einen dieser modernen Apparate in glänzend schwarzem Bakelit und mit einer großen Wählscheibe. Edgars Vater war Ingenieur, also "was Besseres". In so einem begüterten Haushalt wurden bereits gesunde Haferflocken zum Frühstück geknuspert und nicht ein gewöhnliches "Mamaladbrot" gemampft wie bei den meisten von uns. Die Hälfte der Klasse wanderte also den steilen Kuglerberg hoch und wir anderen durften das allerheiligste Wohnzimmer unseres Lehrers betreten und dann wurde aufgeregt gewählt und mit dem eigenen Banknachbarn telefoniert.

Einen öffentlichen Fernsprecher gab es zu der Zeit immerhin auch schon und zwar in der Poststelle der "Huber Luis" neben dem Gasthof zum Lamm. Dort befand sich der winzige, dunkle Postschalter, in dem es immer nach modrigem Holz roch. Hier gab man die seltenen Briefe auf oder holte für die Oma die magere Rente ab, wenn sie wegen des schlimmen Rheumas nicht mehr gut zu Fuß war. Im Vorraum stand eine hölzerne Telefonkabine mit einem gläsernen Fenster. Wenn man telefonieren wollte, mußte man dies bei der Posthalterin anmelden, die wählte dann von ihrem Apparat aus den gewünschten Anschluß und anschließend durfte man in der Kabine sein Gespräch führen und am Ende bei ihr bar bezahlen. Allzu Vertrauliches sollte man dabei aber nicht verraten, denn irgendwie "vergaß" die Huber-Luis immer ihren Hörer aufzulegen und so hörte sie „versehentlich“ alles mit, behaupten jedenfalls böse Zungen. Aber diese Verleumder sagten ihr auch nach, sie hätte den Wortlaut aller Postkarten gekannt, die sie vormittags im Dorf austrug.

Da wurde die Privatsphäre in dem modernen knallgelben Telefonhäuschen der Deutschen Bundespost neben dem Alten Feuerwehrhaus schon besser gewahrt. Als verliebter Teenager benutzte man dieses Häuschen mit seinem dicken, abgegriffenen Telefonbuch und der notorischen Aufforderung "Fasse Dich kurz" tatsächlich regelmäßig. Zwar gab es zuhause inzwischen auch einen dieser hellgrauen Apparate, aber lange Flirts mit der Angebeteten belasteten gnadenlos die elterliche Monatsrechnung und im heimischen Hausgang, wo der Apparat auf einem traditionellen Telefonbänkchen stand, ließen sich nicht ungehemmt und ungehört Zärtlichkeiten austauschen. Also schlich man sich abends mit einem schweren Hosensack voller Zehnerle zum Telefonhäusle und stotterte dort mit mäßigem Erfolg seine Liebesbezeugungen in die Sprechmuschel bis einem der Hörer an den heißen Ohren pappte. Nebenbei konnte man an kühleren Tagen den Namen seiner Herzensdame und unzählige Herzchen an die beschlagene Glastür des Häuschens malen, zumindest solange, bis einen von außen der nächste Kunde ungeduldig anglotzte und bar jeder Romantik auf das Fasse-Dich-Kurz-Schild deutete.

Die gelben Telefonhäuschen mit Münzeinwurf wurden später von den grauslig rosafabenen Kartentelefonkabinen der Telekom abgelöst, aber die haben es gar nicht mehr bis nach Hainhofen geschafft. Dort ist man schleichend zum kabellosen Handy gewechselt, aber mit der ständigen Verfügbarkeit und der unbegrenzten Flatrate ist jeglicher romantischer Zauber des Münzeinwurfs historischer Telefonate verloren gegangen. Und die kommt auch nicht wieder, selbst wenn man sich bei 15 Grad minus mit seinem Smartphone nachts vors Alte Feuerwehrhaus stellen würde, um seine Geliebte anzurufen. Da würde vermutlich der Akku noch vor dem durchgefrorenen Liebhaber schlapp machen!

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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