Rote Karte Depression – Tabus im Fußball

Andreas Biermann - Rote Karte Depression. Buchcover. | Foto: Gütersloher Verlagshaus
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Nationaltorwart Robert Enke hat sich deswegen das Leben genommen. Weil er sie hatte und sich nicht dazu bekennen konnte. Und die Karriere vom vielversprechenden Nationalspieler Sebastian Deisler war früh vorzeitig zu Ende, weil er den Druck nicht mehr ausgehalten hat. Depression ist eine Volkskrankheit. Jeder Fünfte in Deutschland leidet darunter. Auch Fußballer. Doch im harten Sport, in dem Werte wie Männlichkeit zählt, werden Depressionen des Feldes verwiesen. „Rote Karte Depression“ heißt das Buch von Rainer Schäfer, der sich in Zusammenarbeit mit Ex-Profi Andreas Biermann diesem Tabu-Thema im Fußball widmet – und zwar anhand von dessen Karriere. Untertitel: „Das Ende einer Karriere im Profifußball“. Eine Rezension einer Neuerscheinung aus dem Gütersloher Verlagshaus.

„Rote Karte Depression“ ist die Biographie von Fußballprofi Andras Biermann. „Biere“ kommt aus Spandau, wird wegen seiner roten Haare oft gehänselt. Als Kind leidet er unter den Attacken seiner Mitschüler. Nur auf dem Fußballplatz trumpft er mit seiner Ballbeherrschung auf. Dort findet der kleine Junge aus Spandau die Anerkennung die er sucht. Heute weiß er, wie er in einem der Zitate, die an manchen Stellen im Buch einfließen, dass er seinen Widersachern allein optisch und von seinem zu zarten Verhalten viel Angriffsfläche geboten hat. Als er Fußballprofi wird, versteckt er seine Haarfarbe.

Andras Biermann spielte lange für Schwarz-Weiß Spandau und trotzdem für die Berliner Auswahlteams. Dann wechselt er zu den Amateuren von Hertha BSC, spielt klasse bei Göttingen 05 und beim Chemnitzer FC, lernt mit 23 als Sportinvalide und Co-Trainer beim MSV Neuruppin seine Frau Juliane kennen und kehrt über den 1. FC Union Berlin noch einmal zurück in den Profifußball, bestreitet später noch Partien beim FC St. Pauli. Dort bekennt er sich nach langem Zureden seiner Frau, auch der beiden Kinder wegen, öffentlich zu seinen Depressionen. Als erster Fußballprofi – und bislang als Letzter. Durch den Schritt an die Öffentlichkeit ist seine Karriere vorbei. Niemand will einen Kicker mit Depressionen und einer Krankenakte, so dick wie die Biographie.

Wie der FC St. Pauli und Mannschaftskollegen mit ihm umspringen, findet Andreas Biermann nicht gut. Trainer Holger Stanislawski unterstützt den Fußballer, der bereits einen Suizidversuch hinter sich hat, wo er nur kann. Doch das reicht nicht. Stanislawski würde einen Profi mit Depressionen spielen lassen, sagt der Fußballlehrer – sofern der Kicker in Behandlung ist. Mit Andreas Biermann hat er gute Erfahrungen gemacht. Noch in der Woche des Selbstmordversuchs stand „Biere“ auf dem Platz – danach. Er spielte gewohnt souverän. Stanislawski hat einen riesigen Respekt vor der „Wahnsinnsleistung“ von Andreas Biermann, der sich immer wieder an die Mannschaft herangekämpft hat, obwohl der Körper sich gewehrt hat. „Im Nachhinein ist erklärbar, warum er diese ganzen Verletzungen hatte“, so der Coach des FC St. Pauli. „Sein Körper konnte diese Hochbelastung nicht mehr wegstecken und musste sich eine Auszeit nehmen“, erklärt er im Interview, das im hinteren Teil des Buches abgedruckt ist.

Der Fußball war der Zufluchtsort von Andreas Biermann und gleichzeitig ist das Karriereende eine Befreiung. Seine Psychologin Silke Hagena, die medizinische Erklärungen im Fall Biermann ebenfalls in einem in „Rote Karte Depression“ enthaltenen Interview gibt, meint: „Nachdem er stark gehänselt worden war, steht er plötzlich im Rampenlicht. Er hat gelernt, nur über extreme öffentliche Aufmerksamkeit kann ich mich halbwegs wertvoll fühlen.“ Eine Grundannahme, die falsch ist und von der Andreas Biermann sich nach zwei Selbstmordversuchen, zahlreichen Verletzungen, seinem Karriereende, seinem Outing und Therapien inzwischen befreit hat.

„Rote Karte Depression“ will erreichen, was der Freitod von Robert Enke im Endeffekt nicht erreicht hat. Die Aufrufe von DFB-Präsident Theo Zwanziger, offen mit Depressionen im Fußball umzugehen, sind verpufft. Niemand will seine Karriere dafür aufs Spiel setzen. Zwar sind viele Profifußballer deswegen in Behandlung, doch sich zu ihrer Krankheit bekennen, machen sie nicht. Andreas Biermann, der Kraft und neuen Lebensmut durch den Tod von Robert Enke und insbesondere durch den Umgang von dessen Frau Teresa Enke mit dem Thema danach, geschöpft hat, bleibt der Einzige.

Rezension der Andreas Biermann-Biographie „Rote Karte Depression“
„Rote Karte Depression“ widmet sich den Tabu-Themen des Fußballs anhand der Biographie von Andreas Biermann. Dabei kommt nicht nur diese Krankheit und ihre Auswirkungen auf Fußballer wie Sebastian Deisler und Robert Enke zur Geltung. Auch das Thema Alkoholismus im Profifußball wird in einer kurzen Episode am Beispiel von Michel Mazingu-Dinzey angesprochen. Relativ ausführlich wird die Spielsucht im Fußball thematisiert. Glücksspiel ist eine unterschätzte Gefahr, von der sehr viele Kicker befallen sind. Paradebeispiele wie René Schnitzler verschleudern ihr Gehalt beim Poker. Auch Andreas Biermann hat Bestätigung im Poker gefunden. Weil der Abiturient Online-Poker mit mathematischem Ansatz gespielt hat. Und meist gewonnen. Wegen seiner Begabung für das Kartenspiel mit Suchtfaktor hat er weitere Anerkennung erfahren. Von Teamkollegen wie Marius Ebbers oder eben dem extrovertierten Schnitzler, der besonnener agiert hat, wenn Andreas Biermann mit ihm gepokert hat.

Das 192 Seiten starke Buch beginnt in der Kindheit von Andreas Biermann, geht aber nicht immer streng chronologisch vor. Am Anfang der einzelnen Kapiteln werden meist Informationen aus dem oder den vorhergehenden Buchabschnitten zusammengefasst und zudem werden viele Sachverhalte wiederholt, was die Biographie für Leser, die das Werk am Stück verschlingen, etwas aufbläht, allerdings auch die Empfänglichkeit für die tabuisierte Thematik schärft. Wer interessante Informationen über und Einblick in Tabus im Fußball erhalten will, bekommt einige traurige Fälle (Sebastian Deisler, Michel Mazingu-Dinzey, Robert Enke und René Schnitzler) kurzbiographisch, sowie neben dem Kernthema Depression auch noch das Fußballer-Laster Glücksspiel mitgeliefert. Drei Interviews mit Betroffenen (Ehefrau Juliane Biermann, Trainer Holger Stanislawski und Psychologin Silke Hagena) im Fall Biermann aus unterschiedlichen Positionen runden das Werk von Rainer Schäfer gelungen ab. Dazu gibt es im Fließtext immer wieder Impressionen von Andreas Biermann selbst, sowie von Wegbegleitern wie Marius Ebbers. Für sachliche Einschätzungen und verständliche Erklärungen, wie beispielsweise Glücksspiel auf Fußballer wirkt, kommen sachkundigen Experten wie Sportpsychologe Thomas Graw und Spielsuchtfachmann Jörg Petry zu Wort. Fettgedruckte, einseitige und eindringliche Vorschauen wecken am Ende der Kapitel den Hunger, im nächsten Abschnitt tiefer in die Materie einzusteigen.

Trotz kleinerer Schwächen wie dem Fehlen einer Karriere-Chronologie von Andreas Biermann ist „Rote Karte Depression“ lesenswert. Für Sportinteressierte, Fußballprofis, Spielsüchtige und Depressive, sowie für alle, die an Tabus im Fußball interessiert sind, ist diese erweiterte Biographie Pflichtlektüre. Letztendlich ist „Rote Karte Depression“ ein Appell von Andreas Biermann und Rainer Schäfer an Funktionäre, Fußballer und Fans, mehr Verständnis und Sensibilität für Krankheiten und andere Tabu-Themen im Profifußball zu zeigen. Es wäre gut, wenn diese Menschen die Biographie von Andreas Biermann lesen und endlich entsprechend handeln.

„Rote Karte Depression. Das Ende einer Profikarriere im Fußball“ ist 2011 im Gütersloher Verlagshaus erschienen und kostet 14,99€.

Bürgerreporter:in:

Michael S. aus Neusäß

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