Schwein, Idiot, Dummkopf - was halt so gebraucht wird...

Was halt so gebraucht wird...

Fellner hatte bereits eine lange Zeit der Arbeitslosigkeit hinter sich, in der alle Versuche, eine Stellung in seinem erlernten Beruf als Personalsachbearbeiter zu finden, fehlschlugen.
Da erfuhr er, von der Möglichkeit, sich durch eine sogenannte Ich-AG selbständig zu machen. Angeblich bekam man da vom Amt sogar Geld für die Gründung.
Nächtelang grübelte er und grübelte, bis er eine Idee hatte: Weshalb nicht einmal die Seiten wechseln? Weshalb immer nur zu denen gehören, denen gesagt wird, was sie zu tun hätten, um dann am Ende doch gekündigt zu werden? Weshalb nicht einfach mal zu denen gehören, welche die Absagen oder die Ablehnungen austeilen und letztlich die Kündigungen selbst aussprechen?
Eines Tages stand Fellner schon früh auf, wusch und rasierte sich, manikürte seine Fingernägel und zog ein weißes Hemd, eine Krawatte, sowie seinen besten Anzug aus dem Schrank. So gerüstet und mit seiner Geschäftsidee im Kopf machte er sich auf den Weg zur Arbeitsvermittlung.

„Womit kann ich Ihnen helfen? Was möchten Sie arbeiten?“ meinte der Arbeitsvermittler.

„Ich möchte von der neuen Möglichkeit Gebrauch machen und eine Ich-AG gründen. Ich habe da so eine Idee...“, begann Fellner, „ich würde gerne als Schwein arbeiten. Von mir aus auch als Idiot, Dummkopf oder Grobian - meinetwegen auch als Arschloch - was eben gerade so gebraucht wird, verstehen Sie.“

„Schwein, Idiot, Dummkopf?“ meinte der Arbeitsvermittler verwundert, „Was soll das denn sein? Was stellen Sie sich unter einer solchen Tätigkeit eigentlich vor?“

„Nun“, begann Fellner zu erklären, „ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, in einem Film oder einem Theaterstück ist eine Hauptrolle zu besetzen, zu der viele Schauspieler zum Vorsprechen geladen werden. Es kann aber nur einer diese Rolle bekommen. Den anderen muß jemand sagen, weshalb sie diese Rolle nicht spielen können. Da tauche ich als Produzent, Regieassistent, Artdirector oder was weiß ich auf. Die Funktion ist völlig ohne Bedeutung, denn im Grunde komme ich als Schwein. Dem einen teile ich mit, er könne die Rolle nicht bekommen, weil er zu alt sei, einem anderen, weil ihm die künstlerischen Voraussetzungen fehlten, einem weiteren vielleicht, weil es ihm ganz einfach an Talent mangelt oder weil er zu groß, zu klein, zu dick oder zu hässlich für diese Rolle sei.
Der Regisseur schont währenddessen seine Nerven, kann weiter an der Produktion arbeiten und behält seinen guten Ruf in der Branche, denn das Schwein bin ich ja.
Ein derartiges Schwein muß sein in der heutigen Zeit, in der die Produktionskosten ins unermessliche steigen und Zeit eben Geld ist.

Aber, ich kann auch ein Idiot sein! Mir ist das egal. Nehmen wir an, jemand hat eine Position, der er absolut nicht gewachsen ist. Er muß plötzlich eine ungewöhnlich komplizierte Korrespondenz erledigen, kann das aber nicht. Da tauche ich als sein Stellvertreter auf. Ich unterschreibe den von ihm redigierten Haufen dummes Zeug und dann heißt es von mir nur: Was für ein hirnrissiges, dummes Zeug hat dieser Idiot hier wieder geschrieben. Der Verfasser des Briefes kann hingegen darauf verweisen, dass man heutzutage kein vernünftiges Personal mehr bekommt. In jeder Behörde oder Firma sollte heutzutage ein Idiot eingestellt werden, damit die anderen besser dastehen. Wie gesagt, für ein kleines Entgelt bin ich gerne bereit, der Idiot zu sein.

Oder, noch ein Beispiel: Stellen Sie sich einen Behördenleiter des Wohnungsamtes, oder Sozialamtes, der Führerscheinstelle, oder des Einwohnermeldewesens am Vormittag um 10:30 Uhr vor.
Abgespannt und müde braucht er eine Pause und schließt sich in seinem Zimmer ein, um endlich in Ruhe einen Kaffee trinken und die Zeitung lesen zu können. Ich setze mich im Vorzimmer an den Schreibtisch und teile den drängelnden Leuten, die zum Teil von weit her gekommen sind oder sich extra einen Tag frei genommen haben mit, dass der Behördenleiter in einer wichtigen Besprechung stecke oder einen Außentermin habe und heute leider niemanden mehr empfangen könne.
Und... wer bin ich dann? Ich glaube, Sie beginnen zu verstehen. Richtig, ich bin ein Flegel, ein Grobian, vielleicht für manch einen auch das Arschloch. Verstehen Sie, der Behördenleiter kann nur in Ruhe die Beine hochlegen, seine Zeitung lesen und Kaffe trinken, wenn er im Vorzimmer ein Arschloch sitzen hat. Nur so lassen sich die Leute auch abwimmeln, die vielleicht schon zum dritten Mal vom anderen Ende der Stadt hergekommen sind und ein paar Stunden gewartet haben. Sie verfluchen mich und nicht den Leiter der Behörde. Wie gesagt, für eine kleine Entlohnung bin ich gerne mal für eine Stunde oder so der Grobian oder das Arschloch.
Oder stellen Sie sich vor, jemand soll in einer Firma den Kunden die horrenden Preiserhöhungen erklären. Da tauche ich in Gestalt des Firmenchefs einfach für ein paar Euro als der unverschämte Typ auf, der den Hals nicht voll genug bekommen kann.

Oder stellen Sie sich vor, dass bei einer Ausschreibung eines großen Projektes der bessere Entwurf abgelehnt und ein schlechterer angenommen werden soll, nur weil die Frau des schlechteren Architekten dem Leiter der Genehmigungsbehörde versprochen hat, dass sie dann mit ihm ins Bett geht. Wer aber soll nun dem Architekten des besseren Entwurfes mitteilen, dass dieser abgelehnt wurde?
Ich! Ich tauche als Leiter der Kommission auf, die für die Entscheidung verantwortlich ist. In Wirklichkeit komme ich aber als Dummkopf. Dann kann der Leiter der Genehmigungsbehörde dem Architekten ruhig sagen: Für mich persönlich ist Ihr Entwurf nach wie vor der beste, aber was hilft’s, dieser Dummkopf hat ihn abgelehnt. Ich bin also der Dummkopf und er bleibt weiterhin ein anständiger Mensch. Der schlechtere Entwurf wird verwirklicht, der Behördenleiter kann mit der Frau des Architekten im Bett seinen Spaß haben und alles verläuft ganz normal..., so wie immer halt.

Ganz nach Wunsch kann ich auch ganz jemand anderes sein. Stellen wir uns einmal eine Chefredakteur einer großen Zeitung vor, der Angst davor hat, den sehr scharf abgefassten Artikel über die inneren Zustände einer bestimmten Partei, dessen Parteibuch er besitzt, zu bringen. Überlegen Sie nun mal, welchen Mutes es jetzt bedarf, ein Feigling zu sein. Wieder komme ich! Diesmal eben als Feigling, der dem Autor mitteilt, dass der Artikel so nicht durchgeht. Für ein relativ kleines Gehalt kann ich als so genannter Redaktionsfeigling arbeiten, auf den der Chefredakteur dann jeweils zeigen und behaupten kann, der da als Leiter des Kollektivs, der habe den Artikel abgelehnt.

Oder stellen sie sich nur vor, dass ich als Rindvieh arbeite...“

„Schon gut, schon gut“, unterbrach der Arbeitsvermittler Fellner ungeduldig. „Sie gehen als Rindvieh, damit jemand anderes als ordentlicher Mensch gelten kann. Soweit habe ich Sie nun schon verstanden. Aber erklären Sie mir doch bitte, weshalb Sie lauter solche unanständigen, unangenehmen und schmutzigen Beschäftigungen suchen. Weshalb ziehen Sie es nicht viel lieber vor, der anständige, ordentliche, liebenswerte Mensch zu sein? Wäre das denn für Sie nicht wesentlich angenehmer?“

„Wie bitte?“, wunderte sich Fellner etwas aufgebracht. „Ja, bin ich denn für Sie kein anständiger, ordentlicher und liebenswerter Mensch?“

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

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