Märchen (I)

Der Wolf und die sieben Geißlein

Frau Böse wollte drei Kinder und bekam sie auch prompt. Danach lieferte die Vorsehung zwei ungewollte Zwillingspaare frei Haus.
Mit den sieben Bälgern gab’s mehr Stress als seinerzeit mit den sieben Plagen Ägyptens. Täglich drehte Frau Böse durch, schrie im gesamten Haus herum und warf Porzellan an die Wand.
Als sie ihren Mann, den sie für einen Nichtsnutz, Tagträumer und natürlich auch für den Verursacher ihres Ungemachs hielt, aus dem Haus geworfen hatte, weinte sie stundenlang, nahm Tabletten und wollte sich vergiften. Sie führte bei den Kindern periodisch Terrorherrschaft ein, um die einfachste Ordnung aufrecht zu erhalten.
Zum Glück lag das Haus abseits und niemand aus dem Dorf hörte all die Flüche und Schreie, weder den Lärm der tobenden Schar, noch das Gewimmer der Kleinsten, wenn sich Mama mal wieder an der eigenen Pulsader zu schaffen gemacht hatte. Erschreckt wurden nur Hasen und Rehe. Die Vögel schlugen eh schon lange einen großen Bogen um das Haus.
Eines Tages sagte die Mutter, die nach der Scheidung wieder ihren Mädchennamen ‚Geiß’ angenommen hatte:
„Ich fahr’ heute Mittag zum Arzt in die Stadt. Macht den Fernseher an und schaut an, was ihr wollt. Macht aber niemandem die Tür auf! Ein Kindermörder geht um im Wald und sucht das nächste Opfer!“
Die Geißlein versprachen: „Ja, ja Mama, mach’ dir keine Sorgen. Die Tür bleibt verriegelt!“
Aber sobald die Mutter weggefahren war, rannte das älteste der Geißlein zum Telefon, wählte und rief:
„Wolf, Wolf, böser Wolf, komm zu uns, die Mutter ist weg, die Tür steht dir offen, bitte Wolf, komm’ schnell!“
Kurz danach fuhr Wolf Böse, der sich nach richterlichem Beschluss vom Haus der sieben Geißlein fernzuhalten hatte, mit dem Auto vor.
Er zog die Wolfsmacke über, die er auf einem Flohmarkt gefunden hatte, klopfte an die Tür und fragte: „Seid ihr auch alle bereit, ihr Geißlein?“
„Ja“, tönte der Chor von drinnen, „komm’ nur herein und friss uns! Wir haben die Geißleinmaske aufgezogen, die du uns vom Fasching mitgebracht hast. Die Mutter kommt erst am Abend zurück und wir haben genug Zeit für unser Spiel.“
Es wurde diesmal turbulenter als je zuvor. Wolf Böse, dieser Nichtsnutz war der beste Kinderspielnarr der Welt.
Die Geißlein konnten immer weniger verstehen, dass Mutter Geiß den Drolligen hinausgeworfen hatte.
Doch dann das Unvorhergesehene.
Als sie eben hinter dem Haus tobten und die Schlussszene spielten - (Wolf zerrt die Geißlein unter seinen weiten Wintermantel und sieht danach so dick aus, als hätte er sie alle gefressen) - hielt vor dem Haus ein Auto.
Mutter war da. Sie musste etwas vergessen haben. Als sie die halb geöffnete Haustür sah, bekam sie den ersten Schrecken. Sie stürzte durch das Wohnzimmer und sah, wie sich die Tür des altmodischen Uhrenkastens bewegte. Hatte sich dort etwa der Kindermörder versteckt? Sie riss die Tür auf und erlebte den zweiten Schrecken. Das kleinste der Geißlein hüpfte heraus, schubste die Mutter dafür hinein und schloss von außen ab. Statt still im Uhrenkasten zu sitzen, wollte es lieber draußen mit herumtoben und vom lustigen Wolf gefressen werden.
Hinter dem Haus simulierte indessen das überfressene Tier eine schlimme Kolik. Es stieß die sechs Gefressenen - eines nach dem anderen - aus seinem Wanst. Am Plastik-Planschbecken kam dann das Hallo zum extatischen Abschluss. Der im Wasser zappelnde Wolf wurde mir allerlei Teddybären, Bällen, Papierknäuel und Pappkartons beworfen.
Niemand hörte allerdings etwas von der Tragödie, die sich gleichzeitig im Wohnzimmer abspielte. Der Uhrenkasten hopste, schwankte, stieß an die Wand, jemand schrie hinter der Tür. Schließlich fiel der Kasten um, die Tür sprang auf und die tote Mutter Geiß rollte heraus. Sie war vor Schreck gestorben.
Seitdem wohnt der böse Wolf wieder bei den sieben Geißlein. Er erhielt das Sorgerecht für die Kleinen, die jetzt ‚die sieben Wölflein’ heißen.

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

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