Dumm, dümmer, Exportweltmeister

Mit diesen Worten brachte ein Genosse eine der Ursachen für die andauernde Finanz- und Wirtschaftskrise in der Mitgliederversammlung des Kreisverbandes DIE LINKE Marburg-Biedenkopf auf den Punkt. Die Finanz- und Wirtschaftskrise stand im Mittelpunkt dieser Mitgliederversammlung.

Im Käte-Dinnebier-Saal des DGB stellte Sabine Leidig, MdB DIE LINKE, die linke Sichtweise zu diesem Themenkomplex vor. Als ehemalige Geschäftsführerin des globalisierungs- und finanzmarktkritischen Netzwerkes attac bestens mit der Materie vertraut, zeigte sie zunächst die Schwachstellen in der Konstruktion der europäischen Währungsunion auf, die für die Währungsturbulenzen verantwortlich sind.

Die Staatenkonkurrenz ist eines der zentralen Leitmotive der Europäischen Union (EU). Diese Philosophie wurde bei der Gründung der Währungsunion einfach übernommen. Statt sich über wesentliche Eckpunkte eines gemeinsamen Währungsraums wie Lohnentwicklungen, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verständigen, führt der vertraglich festgehaltene Wettbewerbsdruck zu einem Unterbietungswettlauf. Das gilt für Besteuerung gleichermaßen wie für Lohnkosten und Sozialstandards. So etwas kann aber in einem gemeinsamen Währungsraum auf Dauer nicht funktionieren.

Ein Mindestmaß an Koordination scheiterte besonders auf Druck Deutschlands. Die deutschen Bundesregierungen verfolgen spätestens seit Mitte der 1990er Jahre eine repressive Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Dabei hat sich Rot-Grün mit der Agenda 2010, mit Hartz IV und dem Ausbau des Niedriglohnsektors besonders aggressiv verhalten. Die Folge war, dass hierzulande seit Beginn der Europäischen Währungsunion (EWU) die Reallöhne im Gegensatz zu allen anderen Euro-Ländern gesunken sind. Aus Sicht einer EU als Projekt der Staatenkonkurrenz ist dies ein Wettbewerbsvorteil für Deutschland. Tatsächlich aber ist der enorme deutsche Exportüberschuss ein Nachteil für alle, außer für die deutschen Exportunternehmen, Banken und deren Aktionäre. Die deutschen ArbeitnehmerInnen, RentnerInnen und Erwerbslosen mussten den Gürtel immer enger schnallen.

Unsere europäischen Partnerländer verloren Marktanteile und Arbeitsplätze. Sie mussten sich immer mehr im Ausland verschulden, um ihre Importüberschüsse zu finanzieren. Diese Auslandverschuldung erfolgte vornehmlich über den Privatsektor. Ausländische Banken, Unternehmen und Privathaushalte (z.B. als Häuslebauer) verschuldeten sich immer mehr gegenüber deutschen Gläubigern. In den letzten fünf Jahren hat Deutschland knapp 600 Milliarden Euro an Leistungsbilanzüberschüssen gegenüber den anderen EU-Ländern erzielt. Der deutsche Exportboom und die wachsenden Schuldenberge in Griechenland, Portugal und anderen EU-Staaten sind zwei Seiten derselben Medaille.
Als weitere Ursache benannte Sabine Leidig die enorme Vermehrung von Höchstrendite suchendem Kapital. In der Realwirtschaft können die Traumrenditen eines Josef Ackermann nicht realisiert werden. Daher drängen die durch Steuerentlastungen einer ganz großen Koalition aus CDU/CSU/SPD/FDP/Die Grünen gigantisch angewachsenen Geldvermögen der Reichen, Superreichen und der Großunternehmen in den Markt für Finanzanlagen. Zusätzlich vergrößert wird das Finanzvolumen durch die Umstellung von Renten- und Pflegeversicherung auf kapitalgedeckte Verfahren (Riesterrente).

Neben den Verwerfungen an den Kapitalmärkten und ihren Rückwirkungen auf die Realwirtschaft führt die von jener ganz großen Koalition politisch gewollte Vermögensvermehrung zu einer immer größer werdenden sozialen Spaltung in der Gesellschaft. Die Kluft zwischen arm und reich wird immer größer. Nahezu fünf Billionen Euro Geldvermögen besitzen die privaten Haushalte in Deutschland. Der Haken an der Sache: etwa zwei Drittel davon gehören einer Minderheit von zehn Prozent der Bevölkerung.

Im letzten Teil des Vortrages stellte Sabine Leidig die Vorschläge von Bundestagsfraktion und Partei DIE LINKE zur Behebung der Krise vor:

1. Löhne, Renten und Sozialleistungen müssen deutlich und real steigen, damit es steigende Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen gibt.
2. Die Macht der Finanzmärkte, Banken und Spekulanten über die Politik muss gebrochen werden, indem die Kreditversorgung der Staaten auf eine öffentliche europäische Bank übertragen wird, spekulative Geschäfte verboten werden und sich die Geldversorgung der Bevölkerung und der Realwirtschaft auf ein System von Sparkassen, Genossenschaftsbanken stützt, die sich über die Einlagen der Sparer finanzieren und auf Spekulationsgeschäfte verzichten.
3. Die Entschuldung der Staaten muss von den Profiteuren der Krise und ihrem aufgehäuften Geldvermögen durch eine europaweite Vermögensabgabe getragen werden. Dies ist der einzig gerechte Lastenausgleich.
4. Der Euro wird scheitern, wenn nicht in allen Staaten der Eurozone gleiche gerechte Bedingungen für Wirtschaft, Steuern, Sozialpolitik gelten.
5. Zur Finanzierung der Europäischen Union muss eine Finanztransaktionsteuer auf alle Geldgeschäfte an den Börsen erhoben werden.
6. In Europa muss es eine große Anstrengung für Investitionen in Infrastruktur, Umwelt und Bildung geben. Dies wollen wir durch eine höhere Einkommensteuer bei den Bestverdienern, durch eine Bankenabgabe und die gerechte Besteuerung von Kapitaleinkünften finanzieren. Nur durch eine Politik des realen Aufschwungs werden auch die derzeitigen Krisenstaaten in der Lage sein, ihre Verschuldung abzubauen.
7. Das Recht Geld zu schöpfen muss einer öffentlichen Institution übertragen werden

In der sich anschließenden lebhaften Diskussion wurde von den TeilnehmerInnen übereinstimmend festgestellt, dass es einen großen Aufklärungsbedarf über grundlegende volkswirtschaftliche Zusammenhänge sowohl bei der Bevölkerung als auch in vielen Medien gibt. All zu oft werden Denkmuster und Verhaltensweisen, die auf der individuellen Ebene sinnvoll sind, auf unzulässige Weise auf die Volkswirtschaft als Ganzes übertragen. So ist das Ansammeln von Geldvermögen im privaten Haushalt und bei einem Betrieb, also das Sparen, durchaus sinnvoll und möglich. Eine Volkswirtschaft als Ganzes jedoch, kann nicht Sparen, weil die Geldvermögen des Einen die Verbindlichkeiten (Schulden) eines anderen sind. Unter dem Strich ist die Summe aus Vermögen und Verbindlichkeiten (Schulden) gleich Null.

Nahezu unbekannt ist auch die Tatsache, dass modernes Geld kein „Geldding“ ist, das gehortet werden kann. Der Gebrauch von Münzen und Banknoten ruft diesen falschen Schein hervor. Tatsächlich ist modernes Geld, „Fiat money“, gemachtes Geld, überwiegend von Geschäftsbanken durch Kredit erzeugt. Daher ist es erforderlich, nicht nur die Banken in öffentliches Eigentum zu überführen, wie im Programmentwurf der Partei DIE LINKE gefordert. Es ist auch notwendig das „Geldregal“, das Recht Geld zu schöpfen vollständig einer öffentlichen Institution zu übertragen. Erst wenn auch die Menge des Giralgeldes von einer Zentralbank gesteuert werden kann, ist eine antizyklische Finanzpolitik überhaupt möglich.

Einig war sich die Runde darin, dass die Konzepte der Bundesregierung die Krise nicht stoppen werden. Im Gegenteil: Das Aufflackern von nationalistischen und antieuropäischen Stimmungen und Untertönen in Europa erinnert fatal an das nationalistische Getöse vor dem 1. Weltkrieg. DIE LINKE bietet die besseren Konzepte für ein demokratisches, soziales, gerechtes und friedliches Europa. Selbst Frank Schirrmacher von der FAZ sinniert öffentlich darüber nach, ob die politische Linke nicht doch Recht habe. Dies sollte Ansporn sein, offensiv für die Idee des demokratischen Sozialismus zu streiten. Die TeilnehmerInnen der Mitgliederversammlung wollen jedenfalls verstärkt für die Unterstützung dieser Konzepte bei der Bevölkerung werben.

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

49 folgen diesem Profil

2 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.