SEX, DRUGS & ROCK AND ROLL!

Cool Cat
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Tenerife. Aus dem Schuhkarton purzeln mir die alten Fotos aus den frühen 60-ern entgegen. Oh Mann, das waren damals Klasse Typen, die mit mir in der Schülerband „The Stompers“ an der Cucamonga Highschool in L.A., Kalifornien den heißesten Rock’n’Roll der Westküste spielten. Wenn wir in der Aula der Schule zum „Teenage-Hop“ aufspielten, ging kein Apfel mehr zu Boden, und die Girlies kreischten und tobten, als wären wir Stars. Wir vier waren „Cool Cats“, die Spaß, Spaß und nochmals Spaß haben wollten. Egal, ob wir am Strand „surften“ oder die „Chicks“ anmachten. Blödsinn war immer und überall angesagt.

Da sehe ich auf dem Foto Dennis, den Typen mit der dicken schwarzen Hornbrille und dem ewigen Mundgeruch, der den Elektrobass bediente. Wenn er ein Solo sang, blühte er auf wie die Rose im Frühling, denn er war total schüchtern, zitterte vor dem Auftritt wie Espenlaub und zwang sich selbst immer wieder auf die Bühne, um seine Komplexe zu besiegen.

Das hatte der blauäugige strahlend blonde Ken nicht nötig, denn alle „Chicks“ himmelten ihn an, auch wenn er die drei Harmonien auf der E-Gitarre öfters einmal durcheinander brachte, weil er mehr in die Ausschnitte der Fan-Blusen schielte, als auf die Finger seiner linken Hand. Er trug immer extra enge Jeans, in die er eine vertrocknete Hasenpfote, seinen „Good Luck Charme“ (Glücksbringer) steckte und genoss die schmachtenden Blicke seiner weiblichen Fans.

Und dann war da unser Buddy am Schlagzeug, der immer nur Blödsinn im Kopf hatte. Seine Drum-Sticks konnte er an allen Fingern wie ein Zirkusclown durch die Luft wirbeln. Sein Beat war so brutal zwingend, dass unser Publikum nie ruhig bleiben konnte. Wenn eine Nummer zu Ende war, fiel ihm immer noch ein Trommelwirbel ein, den er oben drauf setzen konnte, und alle Girlies kreischten ekstatisch. Er sang mit mir meist zweistimmig, wie es damals bei den berühmten „Surf-Bands“ Kaliforniens „in“ war.

Dass der Vater von Buddys Freundin im Capitol-Tower, dem damals berühmtesten Tonstudio in L.A. arbeitete, erfuhren wir erst, als er uns einlud, dort eine Probeaufnahme zu machen. Oh Gott, was waren wir aufgeregt. WIR im Capitol-Tower, in einem richtigen Tonstudio, wo Nat King Cole, Brian Wilson und andere Stars ein und aus gingen, Wahnsinn! Mit einem Kloß im Hals und steifen Fingern packten wir unter den Augen der professionellen Toningenieure unsere Instrumente aus. Nur unserem unverbesserlichen Buddy fiel natürlich immer noch ein blöder Spruch oder andere Faxen ein. Er setzte sich in seine „Schießbude“, legte seinen brutalen Beat vor. Spontan stiegen wir in unsere beste Nummer „Surf the world“ ein. Unsere Anspannung verging sofort, und wir vergaßen unsere Umgebung. Neunzehn Mal steigerten wir uns im Zusammenspiel und im Gesang. Dennis stieg plötzlich mit der dritten Stimme ein, und die Nummer kam perfekt rüber. Sogar die Toningenieure klatschen begeistert und schenkten uns ein Acetat vom letzten „Take“.

Als wir drei Wochen später an einem Wochenende eine Surf-Party am Strand von Redondo stiegen ließen, ertönte plötzlich unsere Nummer aus dem Kofferradio und der DJ sagte: „Hallo, Chicks und Cats, hier kommt der heißeste Newcomer der Woche, direkt aus Cucamonga, dem neuen Musikzentrum der Welt, denn hört mal, wie hier bei den „Stompers“ die Post abgeht!“ Ich erinnere mich an das unbeschreibliche Gefühl, wenn man sich zum ersten Male im Radio singen und spielen hört. „Cool“, da hatte doch tatsächlich der Vater von Buddys Freundin unser Acetat an das kleine Colpox Label verkauft, und die hatten zunächst 500 Singles davon gepresst. Die Nummer schlug ein, wie eine Bombe. Nach zwei Wochen war unser Song nachgepresst unter den ersten zehn in der Hitparade von Südkalifornien. In der Schule durften wir die ersten Autogramme den „Chicks“ auf die Oberschenkel schreiben, damit die Eltern sie nicht sehen konnten. Bei der Abschiedsfeier unserer High-School mussten wir zum „Graduation-Day“ unseren Hit insgesamt sechs Mal spielen. Schulterklopfen, Küßchen-Küßchen und Telefonnummern zustecken waren angesagt. Doch ein Lebensabschnitt ging zu Ende. Unsere Band und somit unsere Clique würde nicht weiter bestehen können, denn unsere Wege mussten sich nun trennen. Der „Ernst des Lebens“ wartete auf uns. Doch es kam anders.

Zwei Monate später landeten wir vier in Chicago, weil uns eine Konzert Agentur für eine Rock’n’Roll Tournee mit dem Bus durch alle Staaten engagiert hatte. Dieser rollende Musikzirkus bestand aus zehn verschiedenen „Acts“, also Sängern und Gruppen, die zurzeit die meisten Platten landesweit verkauften. Das durfte doch nicht wahr sein, plötzlich saßen wir – WIR - neben unseren Rock’n’Roll Idolen im Bus, direkt neben Paul Anka, Jerry Lee Lewis, Jan & Dean, Chuck Berry, Brenda Lee, Connie Francis, den Shirelles, den Miracles und anderen. Egal in welche Stadt unser Bus rollte, Massen von Teenagern stürmten uns entgegen, umringten den Bus, schrieen uns Liebesschwüre entgegen und versuchten, den Bus zu erstürmen, um Autogramme zu sammeln oder uns die Kleider vom Leibe zu reißen.

Nachmittags und abends teilten wir die Bühne mit unseren Idolen. Nachts mussten wir vier Neulinge auf dem Fußboden des Busses schlafen, weil sich alle anderen „Stars“ auf den Sitzbänken zusammen rollten. Besonders heftig war der Kampf um die bequeme Rückbank,
denn Jerry Lee Lewis war Mitglied des Ku-Klux-Klans und wollte nie in der Nähe des seiner Meinung nach „dreckigen Niggers“ Chuck Berry schlafen. Morgens wuschen wir uns im Freien, wurden mit Fast-Food abgespeist und von Stadt zu Stadt immer weiter durch die kreischenden Fantumulte getrieben.

Zurück von der Tournee, steckte man uns ins Tonstudio, um die Songs zu produzieren, die wir auf der Tournee selbst geschrieben hatten, oder die man uns von anderen Künstlern gab.
Aus unserer duften Clique wurden Berufsmusiker, aus den „Stompers“ wurden die „Pigeons“
und plötzlich waren „Folkrock“ und „Soul“ angesagt. Rock’n’Roll war jetzt von gestern.

Doch nun gab es auch Geld für uns. Durch unsere Unerfahrenheit im Showbusiness bemerkten wir nicht, dass wir von unserem Manager, von der Plattenfirma und den Tourneeveranstaltern hinten und vorne betrogen wurden. Wir kauften uns die schicksten Cabriolet-Autos mit viel Chrom, Haifischflossen am Heck und heiß gemachten Motoren und „cruisten“ abends und nachts durch die Städte südlich von L.A., um „Chicks“ für unsere Strandparties u.a. anzumachen. Alkohol und Drogen wurden zu unseren ständigen Begleitern.

Brillenschlange Dennis stieg als Erster traurig aus, denn er war dem Stress nicht gewachsen und wollte keine musikalische Veränderung mitmachen. Ein Studiomusiker sprang für ihn ein. Unsere Interpretation eines Bob Dylan Songs eroberte den Platz Nummer Eins in der US Hitparade und wir wurden weiter von Termin zu Termin gejagt. In einem Hotelrestaurant in Charleston standen wir plötzlich vor einem total bekifften Bob Dylan. Er war beim Essen eingeschlafen und sein Gesicht lag auf der kalten Lasagne. Als er uns bemerkte, meinte er, wir hätten da einen super Song geschrieben, der abgeht wie Nachbars Lumpi. Vergebens versuchten wir ihm klar zu machen, dass das doch seine eigene Komposition sei, doch sein Gesicht lag schon wieder im Lasagne-Teller.

Unser Teenie-Schwarm Ken hatte inzwischen auch genug von Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Er schmiss ebenfalls das Handtuch, um sich zum Surfen nach Hawaii zurück zu ziehen. Dort am North Shore ritt er schon bald die letzte perfekte Welle seines Lebens (Cowabonga) und ging in den Surfer-Himmel ein. Doch Buddy und sein Humor verließen mich nicht, und wir holten uns einen Ersatz für Ken in die Band.

Unsere vier veröffentlichten LPs verkauften sich millionenfach in der ganzen Welt, die wir nun ebenfalls tourten. Nun flogen wir Erste Klasse, wohnten in 5 Sterne-Hotels und wurden mehr und mehr von unseren Fans isoliert. Klar, dass wir nach den „Gigs“ (Auftritten) mit Adrenalin voll gepumpt waren und nicht schlafen konnten. Wir machten die Nacht mit Alkohol, Drugs und „Chicks“ zum Tage und schliefen am nächsten Tag im Flugzeug.

Tricia, die Tochter von Präsident Richard Nixon, lud uns als ihre Lieblingsband zu ihrer „Independence Day-Party“ am 4.7.1969 ins Weiße Haus in Washington D.C. ein. Zur Eröffnung kündigte sie uns mit den Worten an: „Meine Damen und Herren, ich freue mich riesig, Ihnen die amerikanischste Band unserer Zeit vorzustellen: „The Pigeons“. Und dann ließen wir es krachen (nicht nur auf der Bühne)!

In London besuchten wir nach unserem Auftritt in der Royal Albert Hall einen Club in Soho. Obwohl wir durch die Hintertür eintraten, erkannte man uns sofort, und wir mussten auf die Bühne, um wenigstens ein paar Worte an unsere britischen Fans zu richten. Direkt vor der Bühne stand ein Tisch, an dem drei total ausgeflippte Gestalten hingen: John, Paul und George von den „Fab Four“. Unglaublich – wir wollten immer wie die Beatles sein. Wir imitierten sie bis zur Selbstverleugnung. Da saßen sie nun, unsere Idole, unser Götter, und sie wussten nicht mehr, wer und wo sie waren und was sie taten. John kroch auf allen Vieren unter die Tische und fotografierte die Beine der Girls. Paul lallte ununterbrochen von sphärischer Liebe auf einem schottischen Bauernhof, und George hatte seinen Meditationsblick ins Nirwana gerichtet. Plötzlich drückte mir jemand eine wunderschöne gläserne Rickenbacher Gitarre in die Hand. Ich schlug einen Moll-Akkord und eine schrille Disharmonie ließ die Gitarre in meinen Händen zerspringen – einfach so.

Ich werde wach und stoppe das Klingeln des Sch…Weckers. Oh Mann, wo bin ich. War das ein Traum? Oder träume ich jetzt?

Bürgerreporter:in:

Hans-Rudolf König aus Marburg

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