Das Bedingungslose Grundeinkommen - psychologische Aspekte

Vorbemerkung:

Dieser Beitrag beruht im Wesentlichen auf dem Essay „Psychologische Aspekte zur Frage eines garantierten Einkommens für alle“ von Erich Fromm. Dieser Essay erschien erstmals unter dem Titel „The Psychological Aspects oft he guaranteed Income“, New York 1966 bei Doubleday, dann innerhalb der Gesamtausgabe der Werke Fromms bei der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart 1981 Band 5

Mein Beitrag beschäftigt sich nicht mit der Finanzierung und Organisation eines bedingungslosen Grundeinkommens, sondern mit den psychologischen Aspekten, die dafür sprechen und den Einwänden, die dagegen vorgebracht werden können.

Psychologische Aspekte des bedingungslosen Grundeinkommens

Mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) verbinden die Befürworter in erster Linie die Hoffnung, die Freiheit des Einzelnen deutlich zu erweitern. In der bisherigen Geschichte wurde die Freiheit vor allem durch die Macht der Herrschenden eingeschränkt und zum anderen galt (und gilt in weiten Teilen der Gesellschaft) der Satz: Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen. Das heißt, die Menschen, die nicht bereit waren die auferlegten Bedingungen in Bezug auf Arbeit und sozialer Existenz zu akzeptieren, waren im Extremfall vom Hungertod bedroht.

Im Zeitalter der Milchseen und Butterberge, von zur Preisstützung tonnenweise ins Meer gekippter Früchte, im Zeitalter des wirtschaftlichen Überflusses ist es erstmals in der Geschichte der Menschheit möglich, an ein garantiertes Einkommen zu denken und den einzelnen Menschen von der Drohung des Hungertodes zu befreien. Somit aus wirtschaftlicher Abhängigkeit zu lösen und wahrhaft frei und unabhängig werden zu lassen.

„Freiheit“ wird durch ein BGE Realität. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben. Dieses zutiefst religiöse und humanistische Prinzip kann nicht eingeschränkt werden. Es ist unabhängig davon, ob ein Mensch für die Gemeinschaft „von Nutzen“ ist oder nicht.

Zudem ist ein BGE ein Ausdruck für den Übergang einer Psychologie des Mangels zu einer Psychologie des Überflusses. Die Psychologie des Mangels brachte in der Vergangenheit vor allem Angst, Neid und Egoismus hervor, besonders gut in kleinbäuerlichen Gesellschaften zu studieren. Die Psychologie des Überflusses wird vor allem Initiative, den Glauben an das Leben sowie Solidarität hervorbringen. Zudem wird das BGE, verbunden mit einer starken Arbeitszeitverkürzung für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft insgesamt, existenzielle Fragen in den Mittelpunkt des Lebens rücken.

Der häufigste psychologische Einwand gegen ein BGE lautet, dass ein BGE die Arbeitsmoral untergrabe. Ist das wirklich so? Ist der materielle Anreiz tatsächlich das einzige oder das stärkste Motiv sich anzustrengen und zu arbeiten? Sind nicht auch Stolz auf die eigene Leistung, Anerkennung, Freude am Tätig sein und Neugier, nicht wirksame und mächtige Antriebskräfte im menschlichen Leben? Wie sonst sind außergewöhnliche Leistungen im nicht bezahlten Sport oder bei Hobbies zu erklären? Viele Studien zur Arbeitsmoral belegen, dass Mitbestimmung und Beteiligung der ArbeiterInnen an der Organisation der Arbeitsabläufe, die Arbeitsproduktivität erheblich steigert. Auch die sprichwörtliche Arbeitsmoral der preußischen Beamten ist ein gutes Beispiel für die Wirksamkeit nicht materieller Anreize im menschlichen Leben. Der preußische Beamte wurde schlecht bezahlt, genoss aber hohes Ansehen.

Müßiggang ist vielleicht kurzfristig ein Anreiz für viele Menschen. Andererseits leiden die Menschen sehr schnell an den Folgen von Untätigkeit. Empirische Studien zeigen, dass Antriebslosigkeit eine Krankheit ist und erzwungene Arbeitslosigkeit macht die Menschen nicht nur wegen der fehlenden Anerkennung krank.

Um die psychologischen Effekte eines BGE realistisch einschätzen zu können, ist es notwendig einen Blick auf die Charakterzüge des modernen Menschen zu werfen. Der moderne Mensch ist ein homo consumens. Das heißt er ist passiv, apathisch und seine innere Leere wird mit wachsendem Konsum übertüncht. Der Konsum von Zigaretten, Alkohol, Sex, Fernsehen, Filmen und selbst Bildungsgütern wie Bücher, Vorlesungen oder Kunst, vermittelt den Eindruck eines aktiven und angeregten Lebens. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist ein einsames, deprimierendes und langweiliges Leben. Um diesem zu entkommen, wird die Dosis des Konsums gierig gesteigert. Die Gier kennt keine Grenzen.

Der Gierige wird immer Mangel leiden, weil psychologisch nie eine Sättigung eintreten kann. Nur eine Änderung der Charakterstruktur, weg vom „Haben“ hin zum „Sein“ kann hier Abhilfe schaffen. Um ein BGE psychologisch vorzubereiten, müssen zumindest erste gesellschaftliche Schritte weg von einem maximalen Konsum hin zu einem optimalen Konsum gegangen werden. Die Veränderung der Produktionsmuster, weg von individuellen Gütern hin zu Gemeingütern, ist dabei ein wichtiger Schritt. Eine Renaissance der humanistischen Werte, wie menschliche Produktivität und wahrer Individualismus, sind dabei ebenso notwendig, wie ein Zurückdrängen des rein betriebswirtschaftlichen Materialismus des geschäftigen Organisationsmenschen.

An dieser Stelle ist zu überlegen, ob es objektiv gültige Kriterien gibt, anhand derer zwischen rationalen und irrationalen oder guten und schlechten Bedürfnissen unterschieden werden kann. Oder hat jedes subjektiv empfundene Bedürfnis den gleichen Wert? Bei Drogen, Alkohol oder Fettsucht ist die gesellschaftliche Antwort: Ja, es gibt Kriterien nach denen zwischen guten und schlechten Bedürfnissen unterschieden werden kann. Daher sollte es möglich sein, sich gesellschaftlich darauf einigen zu können, was ein den jeweiligen Verhältnissen entsprechender, angemessener Lebensunterhalt darstellt.

An Stelle von Geldeinkommen ist auch zu prüfen, ob bestimmte Gebrauchswaren wie Lebensmittel oder Wohnraum nicht kostenlos zur Verfügung gestellt werden können. Sicherlich würde der Gierige anfangs mehr nehmen als er gebrauchen könnte. Aber in sehr kurzer Zeit würde sich das geben und eine neue Dimension menschlichen Lebens würde erreicht, ein völlig neues Erlebnis von Freiheit. Der größte psychologische Widerstand gegen die Möglichkeit die Grundbedürfnisse kostenfrei abzudecken kommt auch hier wider von der Einstellung: Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen.

An dieser Stelle ist es angebracht die philosophischen, politischen und psychologischen Aspekte des Begriffes der „Freiheit“ kurz zu beleuchten. Unter „Freiheit“ verstanden die meisten Menschen, frei zu sein von der Abhängigkeit gegenüber einer Obrigkeit und frei zu sein, Privateigentum zu schaffen und zu nutzen. Heutzutage verstehen die meisten Menschen unter „Freiheit“ vor allem die uneingeschränkte Möglichkeit, alle möglichen und unmöglichen Dinge nach Herzenslust zu konsumieren. Jede Einschränkung des unbegrenzten Konsums wird als Angriff auf die persönliche Freiheit verstanden.

Hier wird jedoch eine Illusion von Freiheit erzeugt. Denn nur die wirklich Reichen und Superreichen haben tatsächlich „die freie Auswahl“. Für die meisten Menschen beschränkt sich diese „Freiheit“ auf die Möglichkeit zwischen verschiedenen Handklingeltönen oder Waschmitteln auszuwählen. Dies ist eine Karikatur von Freiheit.

Die Schlussfolgerungen für die Einführung eins BGE aus psychologischer Sicht lassen sich wie folgt zusammenfassen. Das BGE ist nur dann ein emanzipatorisches Projekt, wenn sich der homo consumens in einen produktiv tätigen Menschen verwandelt, wobei produktiv Tätig sein heißt, aktiv zu sein und nicht passiv zu konsumieren. So ist zum Beispiel eine Meditationsübung auch ein aktives Tätig sein. Weiterhin ist es notwendig, dass sich gesamtgesellschaftlich zumindest Ansätze eines neuen Humanismus herausschälen, sei es ein theistischer oder nichttheistischer Humanismus. Und drittens ist es unabdingbar, dass die demokratischen Strukturen mit Leben erfüllt werden. Das meint eine aktive Beteiligung der Mehrheit der Bevölkerung in allen ökonomischen, politischen und sozialen Belangen. Die Instrumente hierfür, wie Bürgerpaneel, Planungszelle, Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung, und so weiter sind vorhanden. Sie müssen nur angewandt und eingesetzt werden. Ohne diese Randbedingungen bleibt das BGE ein teures Almosen für den ökonomisch und sozial abgehängten Teil der Bevölkerung.

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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