ALT ???

Teneriffa. In meinen seligen Kindergartentagen waren alle Kinder über fünf Jahre schon sehr alt für mich, weil sie bereits in die Schule gingen. Als ich dann selbst ein Pennäler war, schaute ich auf zu den „großen“ Kindern über 11 Jahre. Erwachsene waren alle Personen über 16. War ich dann selbst schon 12 Jahre alt, so wünschte ich nichts sehnlicher, als möglichst schnell 16 und „groß“ zu werden. Mit 17 wollte ich nur noch eins: ganz schnell volljährig (damals 21) werden. Die Studenten an der Universität erschienen mir wie richtige Erwachsene mit absoluter Autonomie. Über 20 schielte ich nicht mehr so sehr nach dem bisherigen Zeitraffer, und plötzlich verging Jahr für Jahr viel schneller als ich wollte. Ab 30 dann hatte ich das Gefühl, dass die Zeit rennt und ich gerne bremsen würde, wenn ich nur könnte. Doch das ging nicht und schon waren die 40, die 50 und die 60 überschritten.

Nun bin ich also älter geworden als meine damals so alten Eltern und fühle mich trotzdem nicht alt. Ich stelle fest: es hat sich viel verändert, das Verhältnis unserer Kinder zu uns, ihren Eltern, und das Verhältnis unserer Familie zum Staat. Damals empfand sich die Familie als kritikloser, loyaler Teil des Staates, heute halten wir kritischen Abstand zu Politikern, von denen wir meinen, dass sie es nicht anders verdient haben.

Wir selbst rebellierten 1968 gegen die Bevormundung durch „die Alten“ und ihre verlogene Moral, gegen die „Institutionen“ und die „Bosse“ und ihr gestriges Weltbild, gegen die Legislative und die Exekutive und schließlich gegen das „System“ an sich. Da glaubten wir, wir wären schon erwachsen und wüssten es besser als „die Alten“. Wir hatten sogar Recht, denn wir erstritten Freiheit für den eigenen Geist und Körper. Wäre dies nicht geschehen, so wäre heute der Alltag von uns „Alten“ genau so dumpf wie damals für unsere Eltern. „When I’m sixty-four“ sangen die Beatles, denn mit 64 war man damals schon richtig „alt“. Hatten unsere Eltern in ihrem Leben zwei Mal allen Besitz verloren und deshalb materielle Sicherheit als oberstes Ziel für sich und ihre Kinder gesetzt, so können wir, die Friedensgeneration, geboren in den letzten Jahren des Krieges, es uns heute körperlich und mental leisten, aktiv, kritisch und immer noch renitent zu sein. Wir leben einfach bunter als unsere Vorfahren. Die Zeile aus dem Beatles Song gilt nicht für uns.

Doch wie sagt der Spanier: „Die Jahre vergeben nicht!“ Hier und da kommen wir „Alten“ auch heute schon an gewisse Schranken. Sei es am PC, TV, Handy, i-Pod, Fotoapparat, Video-Kamera oder bei der Suche nach dem Knopf im Auto, um den Sitz elektrisch zu verstellen. Da schielen wir schon gerne nach den Kindern oder Enkeln, um uns helfen zu lassen. „Vater, das habe ich Dir doch schon dreimal gezeigt“ sagte ich damals auch zu meinem Vater, als er nicht wusste, wie der Plattenspieler ans Radio angeschlossen wird. Heute ärgert mich dieser Satz meines Sohnes, denn ich möchte nicht den Kindern zur Last fallen, meine Autonomie, Selbständigkeit und die Kontrolle über meinen Alltag und Körper so lange wie möglich bewahren.

Ach ja – und noch etwas ist erwähnenswert: als Kind weinten wir schnell über Negatives, wenn etwas schmerzte, ungerecht war und weh tat. Heute treiben uns Glück, Schönheit, Kunst, Ästhetik, Musik und kleine Aufmerksamkeiten positive Tränen in die Augen – je älter desto mehr! Schon bemerkt?

Bürgerreporter:in:

Hans-Rudolf König aus Marburg

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