Vom Leben nicht verwöhnt...

Birgit Wüstenberg im Rollstuhl
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Birgit Wüstenberg lebt seit 1999 in Gersthofen. Ihre Jugend verbrachte sie in der ehemaligen DDR. Das Arbeitsleben begann sie als Maschinistin in dem Gaswerk das zum Kombinat „Schwarze Pumpe“ bei Hoyerswerda gehörte. Sie führte das Leben einer jungen Frau, die mit Erwartungen in die Zukunft blickte. Dann kam der schreckliche Verkehrsunfall im Mai 1978, der dem Leben der damals 20-Jährigen eine grausame Wendung gab. Sie wurde aus dem Auto geschleudert und brach sich dabei den 7. und 8. Rückenwirbel. Folge: Querschnittslähmung. Danach folgte eine Zeit, über die sie nicht gerne spricht. Das muss erst mal verkraftet werden. Kann man das verkraften? „Ich habe mich damit abgefunden“, sagt Wüstenberg. „Ich versuche jetzt mein Leben so eigenständig wie möglich zu führen.“ Sie bezeichnet sich selbst als lebensfrohen Menschen, für den das Motto „Leben und leben lassen“ gilt. Und: sie ist gläubige Christin – ihr Glaube war und ist für sie eine starke Stütze.

Zu der Lähmung kamen noch starke Schmerzen hinzu. In einer aufwändigen Operation wurde sie 1984 von einem Spezialisten in Moskau am Rückenmark operiert. Seitdem geht es ihr besser. Eher schlechter waren ihre Erfahrungen mit Lebenspartnern. Der erste Mann entpuppte sich als Alkoholiker mit all seinen Erscheinungen. Nach der Scheidung war erst mal Pause. Dann kam ein zweiter Mann; man heiratete und alles ließ sich gut an. Es wurde der Schritt in die Selbständigkeit mit einer Firmengründung gewagt. Das ging gründlich daneben – was übrig blieb sind Schulden von einigen Tausend Euros die Wüstenberg mit abzahlen muss. Dann kamen noch andere Frauen ins Spiel. Man trennte sich nach 18 Jahren wieder. Eine Scheidung ist noch nicht ausgesprochen; es gibt Gerangel um den Unterhalt. Die Trennung vom zweiten Mann hat dem 12-jährigen Sohn Lukas schwer zu schaffen gemacht. Seine schulischen Leistungen sanken rapide ab; er besucht eine heilpädagogische Schule.
Soweit die Vorgeschichte. Wie schaut das „Jetzt“ aus? Die Rollstuhlfahrerin lebt derzeit noch in einer 2-Zimmer Wohnung, die behindertengerecht eingerichtet ist. Breite Türen, geräumiges Bad, keine Schwellen und Lift im Treppenhaus. Sie erhält EU-Rente, Wohngeld, Kinder- und Pflegegeld. Zusammen ca. 1.400 Euro. Hört sich eigentlich nicht so schlecht an, relativiert sich aber rasch, wenn die Miete allein schon fast 800 Euro beträgt. Vom Rest müssen die üblichen Lebenshaltungskosten für sie und ihren Sohn bestritten werden. Wüstenberg zieht im Dezember in eine neue, billigere WBL-Wohnung um. Was ihr schlaflose Nächte bereitet ist die Einrichtung der Küche. Mit den Standardküchen kann sie nur schwer zurecht kommen. Sie braucht für ihren Rollstuhl entsprechende Bewegungsfreiheit bei Arbeitsplatte und Schränken. Die alte Küche kann nur teilweise mitgenommen werden; die neue ist kleiner. Finanziell kann sie sich keine Sonderanfertigung leisten – sie reagiert auch fast allergisch auf Kreditangebote. „Neue Schulden kommen für mich nicht in Frage“, erklärt Wüstenberg bestimmt und weist auf die Schuldnerberatung hin, die sie in Anspruch genommen hat. Weiteres Kopfzerbrechen bereitet ihr der Rollstuhl. Sie wünscht sich eine Antriebsart ähnlich wie beim Fahrrad. Mittels „Handy-Bike“ könnte eine bessere Kraftübertragung erfolgen und es würden mehr Muskeln besser bewegt werden – wichtig für Gewichtseinhaltung. Zusammen mit einem kleinen Elektro-Zusatzmotor könnte sie dann auch besser Steigungen verkraften. Die AOK hat ihre das drei mal abgelehnt – jetzt läuft ein Verfahren vor dem Sozialgericht.
Wie kommt sie in Gersthofen als Behinderte zurecht? „Gut“, freut sich Wüstenberg. Oft wird ihr Hilfe von Leuten beim Bewältigen von Steigungen angeboten. „Fragen Sie mich in zehn Jahren. Vielleicht dann“, pflegt sie dann lachend zu entgegnen. Sie muss auch beim Einkaufen nicht lange anstehen – sie wird immer vorgelassen. Die Hausnachbarn sind sehr nett und hilfsbereit. „Ich werde sogar regelmäßig von einer älteren Dame mit Lebensmittel von der Augsburger Tafel versorgt“, erzählt sie. Vom BRK Gersthofen wird sie regelmäßig eingeladen. Die 32-jährige Tochter, die in Dinkelscherben lebt, ist eine wertvolle Hilfe. Und von der Stadt Gersthofen hat sie auch schon im Rahmen der Aktion „Hilfe in Not“ ein Weihnachtsgeld erhalten. Darüber ist sie dankbar. Verbessern könnte man ihrer Meinung nach allerdings das Zusteigen in öffentliche Verkehrsmittel. Sie scheut die Benutzung von Bussen, weil sie hier auf fremde Hilfe angewiesen ist.

Was wünscht sich die Rollstuhlfahrerin? „Ich will auf keinen Fall bemitleidet werden“, lautet die entschiedene Antwort. Das eigene Leben selbst zu bestimmen – möglichst ohne fremde Hilfe. Sie hat die vage Aussicht, einen Job in einem Call-Center zu finden. Der Verdienst wird dann natürlich auf die Rente angerechnet. Aber sie hätte dann wenigsten wieder eine Beschäftigung. Und da wäre natürlich noch die Küche in der neuen Wohnung. „Mehr sog’ i net“, würde vielleicht jetzt jemand sagen....

Bürgerreporter:in:

Gerhard Fritsch aus Gersthofen

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