Das Wetter spielt verrückt (Teil III)

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Kippelement atmosphärische Zirkulation (Teil III)

Exkurs Golfstrom

Über den Einfluss eines modifizierten, abgeschwächten Golf- bzw. Nordatlantikstroms kann man nur mutmaßen. Es ist nicht auszuschließen, dass der Absinkvorgang des warmen Wassers aus dem Süden bereits geschwächt ist. Durch die Erwärmung des Nordatlantik und des Nordmeeres, hat das Wasser ja eine geringere Dichte und der massive Süßwassereintrag wegen erhöhter Niederschläge und aufgrund der Schmelze des Grönlandeises und des arktischen Meereises dürfte die Tiefenkonvektion gleichfalls beeinflussen.

Ob dies nun aber, wie vielfach behauptet wurde, zu einer Abkühlung der Region und Nordwesteuropas führen kann, oder schon geführt hat, ist allerdings mehr als fraglich, denn die Erwärmungstendenz ist ja ungebrochen und bricht 2016 sogar alle Rekorde, siehe oben. Möglicherweise hat ein geschwächtes Absinken ja auch die Folge, dass das warme Wasser länger an der Oberfläche verbleibt, was die Region eigentlich sogar zusätzlich erwärmen müsste.

Auch der immer weitere Rückzug des arktischen Meereises könnte ein längeres Verbleiben des warmen Wassers an der Oberfläche bewirken. Absinkvorgänge finden ja auch aufgrund der Abkühlung und der Meereisbildung an der Schelfeiskante, z.B. der Barentsee statt. Durch die Eisbildung aus Süßwasser erhöht sich der Salzgehalt und die Schwere des übrigen Wassers und es beginnt abzusinken. Wenn diese Eisbildung aber immer weiter im Norden und Osten passiert, dann können die Abkühlung und damit das Absinken auch erst später – wenn überhaupt – erfolgen. Das warme Wasser strömt also weiter nach Norden und Osten, ehe es sich abkühlen und absinken kann. Es gibt quasi einen Warmwasserstau, da die Tiefenverfrachtung des warmen Wassers schwächelt.

Verstärkter Wärmetransport polwärts

Bereits 2005 stellten Bryden und Cunningham vom National Oceanography Center (NOC) in Southhampton nach einer aufwändigen Langzeitstudie eine Reduzierung der südwärts gerichteten kalten Tiefenströmung um über 30% fest ( Nature, 01.12.2005). Eine ähnlich große Schwächung der nordwärts gerichteten warmen Oberflächenströmung ist dagegen bisher nicht nachgewiesen. Der Golfstrom ist ja auch wesentlich windgetrieben und ein Teil der globalen Meeresströmungen. Er ist also keineswegs nur von der Tiefenkonvektion im Norden abhängig und käme nicht gleichzeitig mit dieser zum Erliegen. Stefan Rahmstorf: „Angetrieben wird der Golfstrom zum überwiegenden Teil durch den Wind. Er bildet den westlichen Randstrom des nordatlantischen Subtropenwirbels…“ (Ökolexikon, 2003).

Als Teil des Globalen Förderbandes wird er aber auch vom Süd-Äquatorialstrom, vom Antillenstrom und der Karibischen Strömung angetrieben. 2008 konstatierte ein internationales Forscherteam gar einen zunehmenden atmosphärischen und ozeanischen Hitzetransport polwärts (Zhang, 2008). Ursache sei eine drastische Umstellung der atmosphärischen Zirkulationsmuster im Hohen Norden. Die Heizung Europas ist also in Takt und eher zu weit aufgedreht.

2012 ergab eine weitere Studie (Lixin Wu, et al., in Natur Climate Change) eine besonders starke Erwärmung der warmen Meeresströmungen (z.B. des Golfstroms) und deren Verschiebung in Richtung der Pole. So hat sich der Golfstrom mit einem Grad, mehr als zweimal so schnell erwärmt, wie der Atlantik insgesamt, mit 0,4 Grad. „Alles deutet auf eine Veränderung der globalen Ozeanzirkulation durch den Klimawandel hin – mit expandierenden Subtropen.“, äußerte sich Martin Visbeck vom Geomar in Kiel zu der Studie. Das bedeutet: Der Wärmetransport nach Norden hat nicht nachgelassen, ganz im Gegenteil – aber die Tiefenkonvektion ist möglicherweise vermindert und offensichtlich die Tiefenströmung nach Süden. Nicht die Wärmezufuhr vermindert sich also, sondern die Wärmeabführung.

Wir haben damit einen im Norden verbleibenden Wärmeüberschuss und eine Erwärmung statt der erwarteten Abkühlung. Das stimmt mit den aktuellen Temperaturentwicklungen überein und entspricht im Übrigen auch völlig dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik, wonach sich Temperaturunterschiede in Systemen ausgleichen und nicht vergrößern.

Ein anderer Grundsatz der Thermodynamik besagt, dass der Temperaturausgleich immer von warm nach kalt erfolgt. Wenn sich auch noch erdsystemische Ordnungsstrukturen – hier die Zirkulationsmuster der Ozeane und der Atmosphäre – verändern oder gar verloren gehen (wie die Westwinddrift und der Polarwirbel), setzt sich diese naturgesetzliche Tendenz der Entropieerhöhung beschleunigt durch. Die erwartete Abkühlung aufgrund eines abgeschwächten Golf- bzw. Nordatlantikstroms ist nirgendwo erkennbar, sondern das Gegenteil ist der Fall.

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass veränderte Meeresströmungen zur extremen Erwärmung der Arktis beitragen und verstärkt beitragen werden. Selbst eine warme Strömung durchs Polarmeer bis zur Beringstraße ist nicht völlig auszuschließen.

Exkurs Eisschmelze

Im 5. Sachstandsbericht des IPCC veröffentlichte der Weltklimarat erschreckende Zahlen über die weltweite Eisschmelze und deren weitere Beschleunigung, die wohl allerdings von den Realitäten des Jahres 2016 noch weit übertroffen werden.
• Die Gletscherschmelze hat sich von 1993-2009 von 140 auf 410 Gt/Jahr (Gigatonnen oder Milliarden t) fast verdreifacht.
• Das arktische Meereis verliert inzwischen (2012) jedes Jahrzehnt 13,6% mehr an Fläche (Minimum der sommerlichen Eisbedeckung). NASA- Experten geht davon aus, dass die Arktis schon in zehn Jahren im Sommer eisfrei sein könnte.
• Das grönländische Eis schmilzt gleichfalls stark beschleunigt. Zwischen 2001 und 2011 erhöhte sich die Schmelzrate von 74 auf 274 Gt/Jahr, das ist fast eine Vervierfachung in einem Jahrzehnt (8x der Bodensee, oder 1 Million Supertanker).
• Auch der Antarktische Eisschild (Westantarktis) schmilzt immer schneller. Zwischen 2002 und 2011 erhöhte sich der Eisverlust von 72 auf 221 Gt/Jahr, also eine Verdreifachung.

Das Schmelzen der Eisschilde dominiert inzwischen den Meeresspiegelanstieg und sowohl der IPCC, als auch 2/3 aller Meeresspiegel-Experten erwarten inzwischen einen teils deutlich höheren Anstieg der Ozeane bis zum Jahrhundertende; da ist auch schon mal von mehreren Metern die Rede.

Doch es könnte auch noch schlimmer kommen, wie das erste Halbjahr 2016 eindringlich vor Augen führt. Die globale Mitteltemperatur für diesen Zeitraum erhöhte sich um fast ein halbes Grad und in der Arktis kam es zu teilweise bizarren Temperaturrekorden. Bereits im Juli 2012 kam es ja über Grönland innerhalb von vier Tagen zu einer großflächigen Erwärmung, so dass fast die gesamte Oberfläche von Schmelzvorgängen betroffen war – eine Zunahme um 2/3 in so kurzer Zeit.

Im Frühjahr 2016 begann hier nach einem Warmluftvorstoß die Eisschmelze – drei Wochen eher als bisher üblich – und Anfang Juni kam es zu einer neuen Hitzewelle mit sehr warmer Luft aus dem Süden.

Eisschmelze und atmosphärische Zirkulation

Auch dies ist wahrscheinlich durch den extrem mäandernden Jetstream, also die veränderte atmosphärische Zirkulation bewirkt. Das lässt für den Sommer nichts Gutes, nämlich eine Rekordeisschmelze, erwarten. Beim Arktischen Meereis gab es 2016 einen neuen Minusrekord bei der winterlichen Eisbedeckung, mit vielfach noch dünnerem Eis als im bisherigen Rekordjahr 2012, was auch hier für den Sommer Schlimmes befürchten lässt.

Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts befürchten einen massiven Abtransport von mehrjährigem Packeis in den Nordatlantik und ein neues Rekordminimum(Pressemitteilung des AWI, 21.04.2016, Nicolaus, M., Hendricks, St.). Auch die großen Eisschilde scheinen zunehmend instabil und haben nach Auffassung vieler Wissenschaftler entscheidende Kipppunkte bereits erreicht oder überschritten (siehe u.a.PIK).

Aber auch, wenn die Beschleunigung der Schmelzprozesse „nur“ im selben Tempo weiterginge, und absehbare Kippprozesse gar nicht einbezogen werden, kann man sich ausrechnen (exponentielles Wachstum), wann die Eisschilde abgeschmolzen sein werden: Das wird möglicherweise nicht erst in ein paar tausend Jahren sein, sondern sehr viel früher.

Jürgen Tallig 2016
tall.j@web.de

Literatur
IPCC, 5. Sachstandsbericht, Teilbericht 1
• Semenov, V. „Arctic warming favours extremes“ , Nature Climate Change 2, 315–316, (2012)
• Schimanke, S., „Plötzliche Stratosphärenerwärmungen: Langfristige Variabilität sowie zukünftige Trends“, Diss. 2011
• Tallig, J. Vom Wetter zum Unwetter , 2013; siehe auch Tarantel 61, S. 20
• Horton/ Rahmstorf e.a., „Expert assessment of sea-level rise by AD 2100 and AD 2300“ , 2013
• “Mehr Wetterextreme durch Aufschaukeln riesiger Wellen in der Atmosphäre”; Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung 12.08.14
• Zhang, X., et al. “Recent radical shifts of atmospheric circulations and rapid changes in Arctic climate system”, 2008
• Wu, Lixin, et al., „Enhanced warming over the global subtropical western boundary currents“; „Nature Climate Change”, 2, 161–166, (2012)
• Stefan Rahmstorf: “Westantarktis überschreitet den Kipppunkt”, 2014
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Fussnote(n)
Erklärung siehe Wikipedia: „Planetarische Zirkulation“;
Siehe dazu Tallig, J. „Vom Wetter zum Unwetter“ in Umwelt aktuell 07/2013 oder Tarantel 61 S. 20
zu Prozessen in der Stratosphäre siehe auch
Forscher schlagen Alarm: Rätselhafte Störung der Atmosphäre könnte zur Gefahr werden oder
Wetterlexikon Stratosphäre
siehe auch Tallig, J. 2013 und PIK 2014

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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