Niemals geht man so ganz!

04.06.1993
Es ist mitten in der Nacht, als das Telefon klingelt.
„Babs, Du musst sofort vorbei kommen, Sally hat Krämpfe, ich weiß nicht was los ist!“ höre ich die aufgeregte Stimme eines Freundes. Sally ist die kleine englisch Bulldog Dame die zusammen mit dem riesen Rottweiler Rüden Dusty bei ihm lebt. Die beiden sind seine Familie, ich fahre los!
Als ich ankomme liegt Sally´s erster Krampf schon neben ihr und nuckelt selig an seiner Mama. Sally wirkt erschöpft und die Wehen kommen schnell und stark. Vorsichtig taste ich Sie ab. Der Leib ist stark aufgetrieben. Die nächste Wehe kommt und ich drehe ganz sanft den Welpen und helfe beim pressen. Drei Minuten später fällt Sie mir quasi in die Hände. Wunderschön ist Sie, hellbraun mit schwarzer Schnauze und Augen wie von Kajalstift umrandet. Chayenne!
Es war Liebe auf den ersten Augenblick und ich wusste gleich, dieser Hund wird bei mir leben. Niemand konnte sich bei dieser kuriosen Mischung vorstellen wie die Hunde wohl später einmal aussehen werden. Jetzt waren sie dicke Fellpuschel die nur aus Falten zu bestehen schienen.
Nach Chayenne bekam Sally noch fünf Krämpfe, die ich alle zur Welt brachte. Als der Tag endlich gekommen war und Chayenne bei mir einzog war mein Leben komplett. Von Anfang an liebte Chayenne jedes Leben, egal ob Mensch oder Hund. Freundlich ging Sie auf jeden zu, zog jedes Baby groß, egal welcher Gattung die Mutter angehörte, und erzog mit liebevoller Konsequenz und unglaublicher Geduld all die Hunde die anschließend noch bei mir lebten.
Sie war nicht einfach mein Hund, Sie war Gefährtin, Vertraute, Seelenverwandte und immer meine Nummer Eins. Schwere Zeiten begannen in meinem Leben. Chayenne war zuverlässig an meiner Seite, tröstete mich wenn ich traurig war, trocknete meine Tränen mit Ihrem weichen Fell, brachte mich zum Lachen wenn mir gar nicht zum Lachen war, und zog mit mir um in mein neues Leben. Sie war immer an meiner Seite, still und zuverlässig. Meinen Töchtern war Sie Kuscheltier, Babysitter und Spielkamerad. Eifrig darauf bedacht Sie nie aus den Augen zu verlieren.
Wir waren nie getrennt. Den Begriff Urlaub gab es in meinem Leben nicht und wo immer ich für ein paar Tage hinfuhr, war Chayenne an meiner Seite.
Pfingstmontag 2008
Chayenne ist müde, will nicht aufstehen und nicht fressen. Das Atmen bereitet ihr Probleme. Wir gehen zum Tierarzt. Es ist das Herz! Chayenne bekommt Medikamente die ihr Erleichterung verschaffen. Es geht ihr bald wieder besser. Spazierengehen möchte Sie nicht mehr, Sie liegt lieber unter der kleinen Birke im Garten in der Sonne. Wenn die anderen mich zum Tierheim begleiten folgt Sie uns bis zur Tür, dreht sich dann um und legt sich zum Schlafen in ihr Körbchen. Die ehemals schwarze Schnauze ist schon lange weiß geworden und Ihre Augen strahlen außer Freundlichkeit jetzt auch ein tiefes Wissen aus.
Das Schicksal will es dass ich Ende August vereisen muss. Auf der anderen Seite der Welt, in Costa Rica, wartet mein Krebskranker Onkel auf meinen ersten und letzten Besuch bei ihm. Ich will nicht fliegen, sorge mich um Chayenne. Meine Tierärztin beruhigt mich. Es geht ihr gut, die Medikamente helfen zuverlässig, ein letzter Check, alles ok! Die Versorgung der Tiere ist bestens geregelt. Also fliege ich. Am Morgen des Fluges setzte ich mich zu Chayenne auf die Erde, streichel Sie und erzähle ihr dass ich bald wiederkomme. Ich bitte Sie auf mich zu warten und Ihre klugen Augen blicken mich verstehend an.
Samstag, 30.08.2008
Meine Tochter schreibt per E-Mail: „Alles bestens, mach Dir keine Sorgen. Chayenne geht es gut!“ Ich bin beruhigt, genieße die letzten Tage die ich mit meinem Onkel verbringen darf.
Montag, 01.09.2008
Wieder ein E-Mail von meinem Kind.
„Ich weiß nicht ob es richtig ist, es Dir jetzt und so zu sagen, aber ich denke Du willst es wissen. Chayenne ist heute Mittag gestorben. In Ihrem Körbchen eingeschlafen. Sie sah ganz friedlich aus. Wir haben Sie im Garten unter der kleinen Birke begraben und ich habe ihr einen Deiner Engel geschenkt. Bitte mach Dir keine Vorwürfe!“
Der Boden unter meinen Füßen öffnet sich, ich stürze in ein tiefes, schwarzes Loch am anderen Ende der Welt. Tränen überfluten mein denken, weinend breche ich am Computer zusammen. Mein erschreckter Onkel fragt:“ Jetzt willst Du sicherlich gleich nach Hause?“
Nach Hause??? Das gibt es nicht mehr! Wie soll dieses Haus noch leben, in dem mir Chayenne nicht mehr wedelnd entgegenkommt? Wie soll ich den Blick in ihr verwaistes Körbchen ertragen, wissend dass ihre sanften Augen mich nicht mehr verfolgen, ich nie mehr ihre warme Zunge auf meinen Händen spüren werde, sie mich niemals mehr sanft an schubst wenn Sie glaubt es ist Zeit zum fressen? Nein, ich will nicht mehr nach Hause!
Eine Woche später landet unser Flugzeug wieder in Deutschland. Zitternd schließe ich die Türe auf, betrete das leere Haus. Die Leere in mir ist viel größer als dieses Haus. Ich gehe in den Garten. Das Grab, unter der kleinen Birke wo Sie so gerne lag, ist eingezäunt. Mit Blumen übersät und Kerzen erleuchten es hell. Engel sitzen darauf und ein Schild sagt Chayenne, dass wir Sie nie vergessen. Wieder bricht eine Flut von Tränen aus mir hervor. Ich ertrage den Anblick nicht! Breche neben dem Grab weinend zusammen. Vorwürfe ersticken mich! 15 Jahre war Sie immer zuverlässig an meiner Seite, ging durch dick und dünn mit mir, verstand mich wenn niemand sonst mich verstand, bewachte mein Haus und meinen Schlaf, und ich……..? Ich hatte Sie in Ihrer letzten Minute allein gelassen! War nicht für Sie da, als Sie die letzte Reise angetreten hat. Ich hatte versagt!!! Wird Sie mir jemals verzeihen können? Ich verzeihe mir nicht!
Heute, einen Tag später, überkommt mich plötzlich Ruhe und die sichere Gewissheit, dass meine kluge, selbstlose Freundin in Ihrer grenzenlosen Liebe zu mir den Weg gegangen ist den Sie glaubte, gehen zu müssen. In meiner egoistischen Liebe zu ihr habe ich geflissentlich übersehen, dass Ihre Kraft zum Leben schon längst nicht mehr ausreichte. Wie schwer es ihr fiel aufzustehen oder sich wieder hin zu legen, welche körperliche Mühe ihr die Hitze des Sommers machte, wie müde Sie wirkte. Ich hielt Sie fest, mit aller Macht! Sie ging, als ich Sie loslassen musste!
Wenn ich jetzt ihr Grab besuche überkommt mich Stille, Ruhe, immer noch Schmerz und Tränen, aber auch die Gewissheit das Chayenne mit tiefer Liebe zu mir gegangen ist. Kein Vorwurf ist zu spüren, nur Frieden!
Schlaf meine Liebe, Du wirst immer in meinem Herzen sein. Auch der Tod kann uns nicht trennen! Irgendwann einmal werde ich lächelnd an Dich denken können. Irgendwann einmal wird vielleicht ein anderer Hund mein Herz berühren wie bisher nur Du es konntest. Irgendwann einmal werde ich Dein Bild ansehen können ohne zu weinen. Irgendwann einmal, wenn auch ich mich aus diesem Leben verabschiedet habe, werden wir uns wieder sehen! Niemals geht man so ganz!!!
Solange jemand in Liebe an Dich denkt, bist Du unsterblich!
Danke, dass Du Dein Leben mit mir geteilt hast, und Danke dass Du immer die richtigen Entscheidungen getroffen hast. Danke auch, dass Du mir gezeigt hast was Liebe ist. Grenzenlose, uneigennützige, alles überlebende Liebe!
In tiefer Liebe zu Dir verabschiede ich mich heute von Deiner Hülle, wohl wissend, dass Deine Liebe und Deine Seele mich immer umgeben wird!

Bürgerreporter:in:

Barbara Wolf aus Wertingen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

6 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.